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Drang nach Bewegung. Gerade Kinder und Jugendliche treffen die Maßnahmen im Sport hart.

© imago/Frank Sorge

LSB-Präsident Härtel über Kinder ohne Bewegung im Verein: „Wenn der Sport wegbricht, hat das verheerende Folgen“

Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes Berlin, über die Krise der Vereine in der Pandemie und was sie für Kinder und Jugendliche bedeutet.

Stand:

Thomas Härtel, 69, war von 2007 bis 2011 Sportstaatssekretär in Berlin. 2018 wurde der SPD-Politiker zum Präsidenten des Landessportbundes Berlin (LSB) gewählt.

Herr Härtel, der organisierte Breitensport in Berlin steht weiter größtenteils still. Halten Sie das angesichts der Pandemieentwicklung für richtig?

Der Sport will auf keinen Fall zu einer Erhöhung der Infektionen beitragen und hat in den vergangenen Monaten sehr viel dafür getan, damit das nicht passiert. Ich denke, dass der Sport mehr Freiheiten bekommen sollte.

Die Politik und auch viele Epidemiologen argumentieren damit, dass die Kontakte heruntergefahren werden müssen und es beim Sport in der Regel eben zu vielen Kontakten kommt.
Unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen kann das Risiko von Ansteckungen sehr stark reduziert werden. Die Sportvereine in Berlin und in Deutschland haben sehr viel für den Infektionsschutz getan. Hygienekonzepte sind erstellt und konsequent umgesetzt worden. Abstände sind eingehalten, Übungsleiterinnen und Übungsleiter geschult worden. Es ist nur noch in kleinen Gruppen trainiert worden, viele Schnelltests sind organisiert worden und vieles mehr. Wenn all das keinen Wert hat, dann hat man das Gefühl, dass diese ganze Arbeit für den Papierkorb war. Der Unmut aus dem Sport wird jedenfalls immer größer.

Es gibt Maßnahmen, aber eben auch Menschen, die diese einhalten müssen. Denken Sie, dass das immer reibungsfrei klappt?
Mir ist auch klar, dass es eine Diskrepanz zwischen Theorie und praktischer Umsetzung gibt. Und ich habe auch schon bei Fußballspielen von Jugendlichen gesehen, wie die Eltern in zu großen Gruppen zu dicht beieinandergestanden haben. Dennoch: Der Sport sieht sich eher als Teil der Lösung denn als Problem.

Das müssen Sie erklären.
Die Befolgung von Regeln wird in keinem anderen gesellschaftlichen Teil konsequenter gelernt und praktiziert als im Sport. Das Regelwerk ist dem Sport immanent. Das Einhalten von Abstandsregeln kann hier gerade den Kindern und Jugendlichen besser vermittelt werden als irgendwo sonst. Und ich sehe das fast jeden Tag. Erst am Wochenende habe ich in Zehlendorf gesehen, wie eine kleine Gruppe von Jugendlichen Basketball unter Anleitung trainiert und diszipliniert die Abstandsregelungen eingehalten hat.

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Ich habe in Neukölln am Wochenende sehr große Gruppen gesehen, die ohne Einhaltung der Abstandsregeln Fußball gespielt haben.´
Diese Gruppen sehe ich beim Joggen durch meinen Park auch. Das sind freie Sportgruppen, die sich verbotenerweise in größeren Gruppen organisieren. Diese Gruppen bekommen natürlich jetzt, wo der organisierte Sport in der Breite fast stillsteht, größeren Zulauf. Aber ich kann das alles ja auf eine Art verstehen.

Inwiefern?
Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist der Drang nach Bewegung sehr groß. Außerdem brauchen sie die sozialen Kontakte über den Sport. Wenn das komplett wegbricht, hat das verheerende Auswirkungen für sie. Ich fordere ja nicht, dass die Politik lockert, wenn die Infektionszahlen ins Unermessliche steigen. Aber ich plädiere für ein größeres Abwägen, zumal gerade bei Kindern und Jugendlichen die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Infektionsgeschehen sehr widersprüchlich sind.

Härtel: Der Berliner Sonderweg macht keinen Sinn

In Berlin dürfen derzeit 20 Personen bis einschließlich zwölf Jahre im Freien Sport treiben. In allen anderen Bundesländern ist die Regelung lockerer. Die Kinder und Jugendlichen dürfen bis einschließlich 14 Jahre alt sein. Verstehen Sie das?
Überhaupt nicht. Es macht keinen Sinn, dass Berlin hier ausschert. Zumal der Senat auch sonst nicht die vom Bund verordnete Notbremse zieht. Warum die Härte in diesem Punkt beim Sport? Ich hoffe sehr, dass der Senat diesbezüglich den Blick für die Sorgen der Kinder und Jugendlichen schärft. Warum soll hier nicht erlaubt sein, was in anderen Großstädten wie in Hamburg erlaubt ist?

Wie schlägt sich die Pandemie bislang auf die Mitgliederentwicklung aus?
Wir haben rund 33 000 Mitglieder verloren. Das ist ein Minus von fünf Prozent. Das stimmt mich natürlich traurig, zumal der prozentual größte Austritt bei Kindern und Jugendlichen zu verzeichnen ist. Besonders bitter ist natürlich, dass auch der Behinderten- und Rehabilitationssport nur sehr eingeschränkt stattfindet. Das ist alles nicht schön, und trotzdem muss man bilanzieren, dass fünf Prozent Austritte unter diesen Umständen im Verhältnis wenig sind. Diese Zahl zeigt letztlich, dass die Berlinerinnen und Berliner dem Vereinssport sehr treu geblieben sind. Aber klar ist auch, dass sich das sehr schnell ändern kann, wenn der Sport nicht wiederbelebt wird. Das Problem ist, dass wir sonst gerade im Frühjahr die meisten Vereinsbeitritte haben. Das wird in diesem Jahr natürlich nicht der Fall sein.

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Und wie ist die finanzielle Situation im Berliner Sport?
Der Senat hat in seinem Rettungsschirm sechs Millionen Euro für den Breiten- und zwei Millionen Euro für die Profiklubs lockergemacht. Dafür sind wir sehr dankbar. Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass aktuell durch diese Hilfsmittel keine existenziellen Sorgen bei den Vereinen herrschen. Dennoch haben die Vereine in Berlin insgesamt im Jahr 2020 Verluste in Höhe von rund zehn Millionen Euro gemacht, also mehr als bislang Hilfen zugesagt und ausgezahlt worden sind. Aber auch diesbezüglich ist uns von der Verwaltung schon zugesagt worden, dass die Hilfen erhöht werden. Das ist auch weiter nötig. Die Vereinsgaststätten nehmen weiter nichts ein, Veranstaltungen finden weiter nicht statt, und wir verlieren derzeit auch weiterhin Mitglieder.

Sollte die Pandemie doch bald vorbei sein, mit welchen Folgewirkungen muss der Sport dann rechnen?
Das ist schwer zu sagen. Sicher aber ist, dass die neu eingeführten Regeln zum Infektionsschutz dann nicht einfach so beiseitegeschoben werden. Einige Regeln werden wohl überleben müssen. Der Sport hat die Gesundheit immer im Blick. Deswegen glaube ich ja, dass der Sport ein Teil der Lösung der Pandemie sein kann und auf keinen Fall das Gegenteil.

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