
Pierre Littbarski: "Wer du sagt, sagt schneller Arschloch"
Wolfsburgs Interimstrainer Pierre Littbarski spricht im Interview über die Diva Diego, Handys beim Essen und Dieter Hoeneß.
Herr Littbarski, wie gehen Sie damit um, vom Duzfreund der Spieler zum Cheftrainer befördert worden zu sein?
Ich spiele hier beim VfL Wolfsburg eine Rolle. Eben noch als Kotrainer und nun als Cheftrainer. Jetzt muss ich die Mannschaft führen und Respektsperson sein, aber nicht mehr Schwein sein als vorher. Ich habe meine Art, Dinge von Spielern einzufordern, ohne einen Menschen kaputt zu machen. Bei mir hat jeder Profi immer eine Hintertür. Der Spieler ist ein Partner, dem man Respekt entgegenbringen muss.
Trotzdem müssen die Spieler einen, der eben noch ihr „Litti“ war, wieder siezen?
Wer du sagt, sagt auch schneller Arschloch, als wenn er siezen muss. Wir müssen eine neue Distanz aufbauen, weil ich als Cheftrainer andere Dinge erwarte. Als Kotrainer habe ich darauf geachtet, dass Regeln befolgt wurden. Jetzt gebe ich die Regeln vor. Zum Beispiel, dass beim Essen nicht mit dem Handy rumgespielt wird. Auch dafür brauche ich Distanz. Ich selbst duze die Spieler aber.
Darf auch niemand mehr „Litti“ sagen?
Den Namen hat Toni Schumacher damals beim 1. FC Köln herausgebracht. Wenn mich Kollegen von früher so nennen, ist das in Ordnung. Für die Spieler des VfL Wolfsburg ist das im Moment nicht angebracht. Die Lage ist ernst, wenn man die Tabelle sieht. Aber ich werde den Teufel tun und meinen Spielern Angst machen. Es geht für mich nicht darum, mich plötzlich als pseudostarker Mann zu produzieren.
Sie haben mit Diego Ihren teuersten Spieler für ein Spiel suspendiert und die Arbeit Ihres Vorgängers Steve McClaren kritisiert. Das passt nicht zum Litti-Image.
Die Sache mit Diego ist mit seiner Suspendierung für mich erledigt. Er ist mir nicht vor Begeisterung um den Hals gefallen. Aber ich werde einen unserer besten Spieler nicht auf Dauer aus dem Team nehmen. Mit Diego wurden sehr klare Worte gesprochen. Es geht hier um Akzeptanz und Respekt untereinander.
Wie fühlt es sich für Sie an, den Job Ihres bisherigen Chefs übernommen zu haben?
Wir haben uns immer gut verstanden, ich war ihm gegenüber immer loyal. Ich habe Steve McClaren geschrieben, dass er sich entspannen soll und dass ich jetzt den Druck habe. Mittlerweile haben wir auch telefoniert und uns gesehen. Der Trainerjob ist der zweitbeste der Welt, nach dem der Spieler. Doch mit dem Risiko, schnell entlassen zu werden, muss man leben. Sonst muss man etwas anderes machen. Ich habe im Finanzamt gelernt, dann müsste ich dahin zurückgehen. Wir Trainer sind Teil einer Leistungsgesellschaft und verdienen viel Geld. Ich habe keine Angst zu scheitern.
Es wird ganz offen darüber debattiert, dass Sie eine Zwischenlösung sind und im Sommer von Ralf Rangnick als neuem Wolfsburger Cheftrainer abgelöst werden.
Diese Spekulationen werden bleiben. Und wenn wir weiter verlieren sollten, werden es immer mehr. Das wusste ich vorher. Es überrascht mich auch nicht, weil ich informiert war, dass Dieter Hoeneß auch andere Optionen geprüft hat. Das ist normal. Aber ich stehe jetzt in der Verantwortung, ohne dass es einen neuen Vertrag für mich gegeben hat. Wir machen einfach so weiter. Meine Vorgabe ist es, Punkte zu holen. Das ist völlig unabhängig davon, ob ich ein Spiel oder fünf oder bis zum Saisonende als Trainer arbeite. Und sollte sich der Verein in Zukunft für einen anderen Trainer entscheiden, wird es für mich vielleicht wieder eine andere Aufgabe hier geben.
Wie arbeitet man mit Dieter Hoeneß zusammen, der offenbar ein sehr dominanter Vorgesetzter ist?
Er hat viel Sachverstand. Und man darf nicht vergessen: Wir waren in der Nationalmannschaft 1986 Mitspieler. Wir können uns auch Sachen sagen, ohne dass der andere gleich beleidigt ist. Wir sollten nun wirklich nicht über Kompetenzen reden, sondern uns Gedanken machen, wie wir gegen den Hamburger SV drei Punkte machen. Dieter hat mich mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet. Aber ich wäre ja blöd, wenn ich ihn bei Besprechungen nicht mit ins Boot nehmen würde. Die Zeit der Alleinherrscher ist vorbei, da gibt es nur noch ein paar Dinosaurier im Profifußball.
Brauchen die Spieler des VfL Wolfsburg eine härtere Hand?
Einige Spieler bei uns werden mehr Zeit für ihren Beruf aufwenden müssen als bisher. Und ich möchte, dass unsere Profis sich mehr mit dem Verein identifizieren. Wenn ich früher vom Trainingsplatz kam, saß mancher Spieler schon im Auto. Das wird es jetzt nicht mehr geben.
Wie denken Sie über die heutige Spielergeneration?
Ich war als Spieler sehr pflegeleicht. Der einzige Trainer, mit dem ich aneinandergeraten bin, war Rinus Michels. Und der hatte leider recht, weil ich wohl nicht kapieren konnte, was er von mir wollte. Jedenfalls habe ich immer gerne trainiert und hatte nie ein Motivationsproblem. Die heutige Spielergeneration ist anders. Heutzutage ist Kommunikation mit den Spielern sehr wichtig, sie sind feinfühliger. Vor 20, 30 Jahren ist man als junger Spieler angeschrien worden.
Und mehr auf Ihr Gehalt bedacht? Was sagt Ihnen der Begriff Söldner?
Klar, es gibt Söldner in der Bundesliga. Aber auch aus diesen Spielern muss man versuchen, das Richtige herauszuholen. Am Ende ist die Qualität entscheidend. Wir kommunizieren viel, haben Sprachkurse organisiert und Spieler integriert. Deshalb kann ich den Vorwurf nicht stehen lassen, dass wir hier Söldner haben, die nicht wissen, was Abstiegskampf bedeutet.
Weiß Diego, was Abstiegskampf bedeutet?
Auch Diego, dem seine Mitspieler Führungsqualitäten bestätigen, weiß genau, worum es geht. Ich kann das im Training sehen, ob einer arbeitet oder eine Diva ist. Diego ist keine Diva.
Was ist dann bisher schiefgelaufen?
Wir haben eine gute Mannschaft mit großem Potenzial und Qualität. Aus verschiedenen Gründen haben wir beides nicht abgerufen. Manchmal fehlt es uns auf dem Platz an der nötigen Brutalität, am Durchsetzungsvermögen. Die Spieler waren irgendwie gehemmt. Ich werde jetzt nicht alles anders machen. Aber einfach ist manchmal besser. Wir müssen mehr Zeit für unsere Taktik aufwenden. Und für die Standardsituationen. Durch unsere Verstärkungen haben wir mehr personelle und taktische Möglichkeiten, vor allem im Sturm. Da kann auch eine erzieherische Maßnahme helfen, wenn ein Topmann auf der Bank sitzt und man ihn einwechseln kann.
Das Gespräch führte Christian Otto.