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Sport: Wo bleibt der Derby-Zauber?

Diesmal fehlt die Brisanz - 16-Jähriger als Golfball-Attentäter gefasstDetlef Dresslein Nach dem Mittwoch-Spieltag gab es keine Ausflüchte mehr. Das Derby würde nun das folgende Spiel sein und damit gemäß geläufiger Balltreter-Weisheit auch das Wichtigste.

Diesmal fehlt die Brisanz - 16-Jähriger als Golfball-Attentäter gefasstDetlef Dresslein

Nach dem Mittwoch-Spieltag gab es keine Ausflüchte mehr. Das Derby würde nun das folgende Spiel sein und damit gemäß geläufiger Balltreter-Weisheit auch das Wichtigste. Eigentlich müsste den Münchner Traditionen zufolge der lokale Kampf Bayern München gegen TSV 1860 München das herausragende Ereignis des sportlichen Halbjahres sein. Ist es aber nicht. Am Donnerstag bemerkte 1860-Trainer Werner Lorant, wie er "so langsam in Derby-Stimmung" komme. Kollege Ottmar Hitzfeld vom (geographisch) einige hundert Meter entfernten FC Bayern verschob diese Regung auf den nächsten Tag: "Heute noch nicht, aber morgen wird man es spüren".

So wie man als Erwachsener nach dem verlorenen Glanz des Weihnachtsabends in seiner Kindheit forscht, suchen die Münchner nach dem Derby-Zauber. Was Besonderes wird es nicht mehr sein. Es wird mit Markus Babbel nur noch ein Münchner auf dem Feld stehen. Werner Lorant: "Das ist heute leider so. Wenn ich Top-Fußball machen will, finde ich die passenden Spieler nicht vor der Haustür." Auf Bäumen, ergänzt Lorant, wüchsen sie darüber hinaus ebenfalls nicht. Und überhaupt haben beide Parteien zur Zeit andere Prioritäten.

Die Bayern zum Beispiel. Kapitän Stefan Effenberg blickt auf den Kalender: "In fünf Wochen ist alles vorbei. Man kann viel erreichen oder auch nicht." Da ist der Gegner vom heutigen Spieltag nur eine Marginalie. Nicht aber die zu gewinnenden Punkte. "Wenn wir 1860 und Dortmund schlagen, dann werden wir Deutscher Meister", verspricht Torwart Oliver Kahn. Aber nagt denn wenigstens noch die 0:1-Niederlage des Hinspiels am Gemüt. Dazu Effenberg: "Unser absolutes Ziel ist die Meisterschaft und nicht gegen Sechzig zu gewinnen." Punkt.

Bei Oliver Kahn ist die Wunde schon verheilt. Ein Pflaster klebt noch neben seiner linken Augenbraue, aber gegen die Löwen steht er im Tor. Gesundheitlich hat der Golfballwurf von Freiburg keine Auswirkungen. Und psychisch? Kahn freut sich, ironisch gefärbt, "dass wir im Olympiastadion eine kleine Tartanbahn haben", und gibt sich ansonsten nachdenklich: "Ich bin seit zwölf Jahren Profi, und stelle fest, dass der Unterton in den Stadien immer aggressiver wird."

Dank aktiver Mithilfe aus der Bevölkerung hat die Freiburger Polizei den "Golfball-Attentäter" inzwischen ermittelt. Dabei handelt es sich um einen 16-jährigen Schüler aus dem nahegelegenen Elztal. Freiburgs Vereinsführung hatte in Zusammenarbeit mit der Polizei 1000 Mark Belohnung für sachdienliche Hinweise ausgesetzt. Außerdem will der Klub die 12 500 Mark, die er vor der Bundesliga-Partie gegen die Bayern (1:2) von der Europäischen Fußball-Union als Prämie für das Fair-Play-Verhalten seiner Fans erhalten hatte, einem sozialen Zweck stiften: Kahn darf bestimmen, wohin das Geld geht. Am 20. April muss sich der SC Freiburg dann vor dem DFB-Kontrollausschuss veranworten. "Wir haben weder fahrlässig gehandelt noch die Aufsichtspflicht verletzt und können den Vorfall nur bedauern", erklärte die Klub-Führung.

Den FC Bayern umweht seit Freiburg nun wieder die Aura der Unbesiegbarkeit. "Wir haben gespürt, in Freiburg haben wir eine große Chance", sagt Oliver Kahn und wurde noch Geheimnisvoller: "Es gibt so Signale." Und die Rote Karte nach einer Viertelstunde gegen Kuffour sei so ein Signal gewesen. Für dieses Spiel, für den Rest der Saison. Der erste Platz, das sei nun wieder "die Ausgangslage, die wir gewohnt sind und die uns stark macht" (Hitzfeld).

Auch die "Löwen" sehen derzeit eher das Große und das Ganze. Gerade sind sie dabei, sich zu häuten. In dieser Saison haben sie die Hülle des Underdogs abgelegt - auch schon deshalb, weil sie ihnen durch die freche Vorstadtkonkurrenz aus Unterhaching entrissen wurde. Kleiner, unscheinbarer und chancenloser als die Hachinger kann man nicht sein. Ergo befinden sich die Löwen auf Identitätssuche. Fünftbeste Mannschaft Deutschlands, aber in der Stadt dennoch nur die Nummer zwei. Der Zuschauerschnitt ist auch nicht toll. Logisch: In Unterhaching hat man mehr Ambiente, die Bayern spielen den besseren Fußball. Deshalb muss ein internationaler Wettbewerb her. "Über die Champions League", knarzt Werner Lorant ungemütlich, "kann jeder reden wie er will. Es ist kein Muss, aber wir wollen es mit aller Macht". Das hörte sich beim Trainer noch vor kurzem anders an. Besser als Platz neun wolle man sein, hieß es. Aber die Champions League verschafft Renommee und bringt Geld. Geld, mit dem man interessante Spieler für eine interessantere Mannschaft beschaffen könnte.

Und so werden beide Mannschaften heute ins Stadion laufen wie zu jedem ihrer Heimspiele. Vielleicht wird es langweilig, vielleicht aber auch wieder so prickelnd und aufregend wie im letzten Spiel, als sich die Löwen in eine ihrer besten Saisonleistungen hinein steigerten. Vielleicht wird man dann wieder von einem großen Derby sprechen. Mal sehen.

Detlef Dresslein

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