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Sport: „Wo es Blei regnet, ducke ich mich nicht“

DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder über die Kritik an seiner Person, eigene Fehler und Bundestrainer Jürgen Klinsmann

Herr MayerVorfelder, Sie sollen früher gerne folgende Geschichte erzählt haben…

…oh, da bin ich gespannt!

Also: Treffen sich zwei Buben in der Schule. Sagt der eine: Das ist doch der Präsident des VfB Stuttgart. Sagt der andere: Das ist doch der Minister. Sagt der Erste: Nein, das ist doch der VfB-Präsident, der Minister ist nämlich ein Arschloch. Was sagt uns diese Geschichte über Sie?

Die Geschichte habe ich erzählt, weil sie sich so zugetragen hat im ländlichen Raum. Sie sagt, dass ein politisches Amt zwangsläufig Gegnerschaften erzeugt, und dass man so etwas auch in anderen Bereichen nicht mehr los wird. Damals war ich noch aktiv in der Politik, und die Menschen ordnen einen in das Parteienspektrum ein.

Sie gehörten nicht gerade zum linken Flügel der CDU.

Deswegen war ich eben für viele der konservative Mann. Und das hat nicht jedem gepasst. Ich wollte mit der Geschichte auch sagen, dass Leute wie ich, die Entscheidungen zu treffen haben, klarkommen müssen mit Kritik. Ich hatte damit nie ein Problem: Wo es Blei regnet, ducke ich mich nicht.

Sie haben gesagt, mit dem Stil, den Sie als Minister hatten, haben Sie auch als DFB-Präsident agiert. Ihre Kritiker nennen den Stil selbstherrlich und wollten Sie deshalb loswerden.

Das stimmt. Mein Führungsstil als DFB-Präsident ist mit dieser Kritik angegriffen worden. Ich aber empfinde meinen Stil nicht als selbstherrlich. Ich habe diesen Stil, um in einem föderalen und deshalb komplizierten Verband zu raschen und notwendigen Entscheidungen zu kommen. Sicherlich muss das Präsidium informiert werden, aber ich habe die Verantwortung für die Entscheidung.

Vielleicht ist Ihre Wahrnehmung falsch.

Mag sein. Ich bin bereit, hier zu lernen. Mein Fehler war es, dass ich in der Trainerfrage nach dem Rücktritt von Rudi Völler nicht alle, die an diesem Entscheidungsprozess zu beteiligen gewesen wären, rechtzeitig eingebunden habe.

Weil Sie allein den neuen Trainer präsentieren wollten?

Nein, das ist doch Unsinn. Sie können doch nicht mit fünf Leuten versuchen, einen Trainer wie Ottmar Hitzfeld zu überzeugen. Der fühlt sich nur bedrängt. Aber unabhängig von dieser Geschichte: In einem föderalen Verband ist es grundsätzlich sehr schwierig, Einigkeit zu erzielen. Du hast 21 Landesverbände und fünf Regionalverbände. Der Vergleich ist jetzt hochgezogen, aber auch der Bundeskanzler hat große Probleme, den Bundesrat auf seine Seite zu bekommen. Diese Grundproblematik findet man in jedem föderalen Verband. Ich habe immer gesagt: Ich bin Präsident des Verbandes und nicht der Obertelefonist.

Sie konnten Völler nicht halten. Warum?

Er hat mir gesagt, dass er mit seiner Frau gesprochen habe. Es sei keine Bauchentscheidung. Hinterher habe ich erfahren, dass er schon mit Dritten und Vierten darüber gesprochen hatte. Soll ich am nächsten Tag sagen, dass ich Völlers Rücktritt nicht zur Kenntnis nehme? Man hätte doch dann sagen müssen: Untersucht den MV auf seinen Zustand.

Sie haben dann Ottmar Hitzfeld nicht überzeugen können.

Was soll ich sagen. Wir waren in allen Punkten einig, er bat sich dann aus persönlichen Gründen Bedenkzeit aus. Das Ergebnis kennen wir. So ist das, aber ich habe alles getan, was ich konnte.

Sie haben vorher Christoph Daum ins Spiel gebracht.

Das ist wieder so ein Quatsch.Ich hatte keinen Kontakt mit Daum, aber nicht, weil ich ihn nicht für einen guten Trainer halte, sondern weil er nicht vermittelbar ist. Ich finde, dass er ein hervorragender Trainer ist. Und jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.

Unterm Strich blieb: Das DFB–Präsidium fühlte sich verprellt und wollte Sie stürzen.

Wollte es das? Wir haben jetzt eine andere Lösung, eine Doppelspitze. Ich bin für die Nationalmannschaft zuständig und für die Talentförderung. Herr Zwanziger kümmert sich um die Verbände. Das kann er gut. Wenn wir uns nicht geeinigt hätten, die Lösung aus Überzeugung mitzutragen, dann hätte ich die Kampfkandidatur angenommen. Ich bin kampferprobt. Aber ich will betonen: Ich war es, der nach Völlers Absage versuchte, diskret zu handeln, mit der Einberufung der Trainerfindungskommission…

Über deren Abkürzung TFK ganz Deutschland gelacht hat…

Diesen Namen hat die Presse erfunden, lassen wir das. Für mich war viel unangenehmer, dass ich alles, was wir besprochen haben, in der Zeitung lesen musste.

Das hat Sie gewundert? Immerhin ist Franz Beckenbauer, der wichtigste Mann dieser TFK, vertraglich an eine große Boulevardzeitung gebunden. Eine seltsame Verquickung, in der Politik hätte es gleich Rücktrittsforderungen gegeben.

Das ist eben so, du kannst innerhalb des Fußballs nicht einen ausschließen, der die größte Erfahrung als Spieler und als Teamchef hat und international höchst angesehen ist.

Aber muss man von Franz Beckenbauer nicht Neutralität einfordern?

Auf diese Frage bekommen Sie von mir keine Antwort. Es gibt eben diese Fakten.

Ärgern Sie sich eigentlich, dass nicht Sie auf Klinsmann gekommen sind?

Nein. Ich freue mich für den Jürgen. Ich weiß, dass es nicht immer einfach sein wird, mit ihm klarzukommen. Er kann ein ganz schöner Sturkopf sein.

Dann ist er Ihnen ja ähnlich.

Ein bisschen vielleicht. Er hat mir imponiert in seinem Willen, sich weiterzubilden, sich die Welt Stück für Stück zu eigen zu machen. Aber weil er diese Eigenschaften hat und er mir mal erklärt hatte, dass er nicht mehr nach Deutschland zurückkommt, weil es in Kalifornien so schön ist, wäre ich nicht auf ihn gekommen. Von Berti Vogts kam der entscheidende Anruf.

In einem Moment der Ratlosigkeit in der TFK?

In gewisser Weise, wir waren an einem Punkt, wo wir nicht so recht weiter wussten. Da haben wir die Chance beim Schopf gepackt. Aus der Not passieren manchmal die besten Dinge.

Es war Zufall?

Und wenn schon. Wichtig ist, was jetzt herauskommt. Und der Jürgen hat nicht wie andere erst gefragt: Welche Perspektive haben wir mit diesen Spielern, wie groß ist das Risiko? Er hat einen unbändigen Willen gezeigt und eine Zuversicht und einen Optimismus, der ansteckend wirkt. Davon konnten sich beim 1:1 gegen Brasilien in Berlin alle überzeugen.

Klinsmann hat auch sinngemäß gesagt, man müsse jeden Stein im DFB umdrehen.

Ja, ja, jeden Stein wollte er umdrehen. Damals hat er noch gar nicht gewusst, wo die Steine überhaupt liegen. Und wenn er dann die Steine aufhebt, dann soll er sie aufheben und die, die vorher schon richtig gepasst haben, wieder dort hinlegen. Er wird die Erfahrung machen, dass man sich, wenn man viel bewegen will, ein blutigen Kopf holen kann. Aber diese Erfahrung ist wertvoll.

Der DFB kann sich nicht mehr viele blutige Köpfe leisten bis zur WM 2006.

Ich sehe das nicht so negativ. Natürlich wird auch bei Klinsmann durch Handauflegen nicht aus einem Spieler, der kein Techniker ist, ein Maradona. Aber wenn die deutschen Tugenden wieder zum Vorschein kommen, bis zur letzten Minute an den Sieg zu glauben, sich hundertprozentig einzusetzen und eine neue, schnellere Spielweise zu zeigen, kriegen die was hin. Davon bin ich überzeugt.

Reicht Ihre Kraft für die Zukunft?

Aber ja. Ich fühle mich jünger als ich bin. Die Spannkraft ist noch da. Ich habe aber auch Freunde, die mir sagen würden: Komm, jetzt lass es sein.

Das Gespräch führten Armin Lehmann und Michael Rosentritt.

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