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Sport: Zurück aus dem Versteck

Oliver Kahn hat Farbe bekommen – es geht ihm besser. Reicht das aber, um wieder zum Titan zu werden?

Schwarz steht Oliver Kahn. Es ist ein kräftiger Farbton, der einen schönen Kontrast bildet zu seinen gegelten blonden Haaren. Seine Augen sehen entspannt aus. Portugals Sonne hat in wenigen Tagen eine zarte Tönung auf seine blasse Haut geworfen. Es scheint, als habe Oliver Kahn neben ein paar Pfunden auch ein paar Fältchen in den Augenwinkeln verloren. Überhaupt hat sich sein Gesichtsausdruck erhellt. Sein Kopf kriegt wieder Geltung, man möchte sogar meinen, der ganze Kahn kriegt wieder Geltung.

Das war vor wenigen Tagen und Wochen noch ganz anders. Der einstige Egomane hatte sich mit Fehlgriffen zwischen den Pfosten und Fehltritten außerhalb des Rasens angreifbar gemacht. Kahn sprach offen über seine Absichten, den FC Bayern in diesem Sommer verlassen zu wollen, ohne dass überhaupt ein Verein Interesse an ihm angemeldet hatte. Erst verlor Kahn den Nimbus der Unbezwingbarkeit, dann an Souveränität und schließlich an Ansehen. Fast wäre er zu einer tragischen Randfigur geworden. Wäre da nicht der nationale Auftrag, die deutsche Elf bei der Europameisterschaft in Portugal möglichst lange im Turnier zu halten. Und das geht nur mit einem großen und guten und – wenn man so will – auch gegelten Kahn. „Der Olli ist viel lockerer geworden“, sagt Teamchef Rudi Völler. Die Trainingslagertage im Schwarzwald wären ihm gut bekommen. „Er hat gut trainiert und ja auch im Privaten viel gelöst“, sagt Völler. „Er macht einen guten Eindruck.“

Kahn braucht sich nicht mehr hinter seiner mattschwarz gerahmten Sonnenbrille zu verstecken. Sie baumelt jetzt im Rundkragen seines weiten T-Shirts. „Es ist gut, dass man ein paar Dinge klärt, wenn man so untereinander ist“, sagt Kahn. Er empfindet das Binnenklima der Nationalmannschaft als reine Erholung und mentale Aufbauhilfe. „Nur wenn wir total als Mannschaft funktionieren, haben wir hier eine Chance.“ Kahn weiß das, und der Rest der Mannschaft weiß das auch.

Kahn hat an sich gearbeitet. Nach einem ganz persönlichen Plan, wie er erzählt. Der schrieb nicht vor, fit zu werden, „das würde ja bedeuten, dass ich vorher nicht fit gewesen wäre“. Nein, sagt Kahn, es ist nur darum gegangen, „noch eine Schippe draufzulegen“. Wie er das und was er damit auch immer meint; Kahn vermittelt den Eindruck, zu alter Klasse zurückgefunden zu haben. Er habe in der Vergangenheit oft bewiesen, dass „ich mich bei einem großen Ereignis auf den Punkt konzentrieren kann“. Allein den Beweis ist er diesmal noch schuldig. „Körperlich bin ich in Superform“, sagt Kahn. Aber wie sieht es mit seiner Psyche aus? In der Vorbereitung könne man für Großtaten nur die Basis legen, „aber wie man wirklich drauf ist, kann nur der Wettkampf zeigen“, sagt Kahn.

Oliver Kahn dosiert sich. Hier im EM- Quartier in Almancil spricht er nicht von Eiern, die seine Mitspieler zeigen sollen. Er redet langsam und freundlich. Wenn er die etwa 100 Meter vom Mannschaftshotel rüber zum Trainingsplatz zurücklegt, schlendert er. Kein anderer im Team braucht mehr Zeit. Erst auf dem Platz erfasst ihn seine Besessenheit. Gelegentlich spielt er „ein paar Loch Golf“, sonst aber „beschäftige ich mich 24 Stunden am Tag mit meinem Beruf und meiner Aufgabe“.

Als ihn ein Kollege von der BBC anspricht und fragt, warum viele seiner Landsleute sich sehr skeptisch über ihn äußern würden und ob er nicht ungeheuren Druck verspüre, kichert Kahn in sich hinein. Das sei doch normal, aber man dürfe nicht den Fehler machen und Freundschaftsspiele wie gegen Rumänien oder Ungarn „so ernst nehmen“. Zwischen solchen Spielen und denen eines großen Turniers „liegen Welten – verstehen Sie das?“ Früher hätte Kahn die Augen verkniffen, viel Luft zwischen seine Zahnlücken gepresst und dem Mann bissig geantwortet. Diesmal bleibt Kahn gelassen und sagt: „Ich befinden mich seit J-a-h-r-e-n unter Dauerdruck. Ich spüre keinen Druck mehr vor lauter Druck.“ Soll wohl heißen: Nicht so schwarz sehen, Leute!

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