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Mit 79 Jahren die älteste Finalistin. Sylvie Schenk.

© dpa/Christian Charisius

Stimmen der Gegenwart: Die Shortlist des Deutschen Buchpreises

Am 16. Oktober wird bekannt gegeben, wer den „Roman des Jahres“ geschrieben hat. Oder ist das vielleicht ein Missverständnis?

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Ob die Shortlist des Deutschen Buchpreises lauter literarische Spitzenleistungen versammelt, wagt zum Glück niemand mehr zu fragen. Schon die Longlist mit ihren 20 Titeln geht seit Jahren in die Breite und lebt von einem Repräsentationsgedanken, der sich thematisch wie stilistisch niederschlägt: Auch die gehobene Unterhaltung ist Teil dieses vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisierten Marketingpreises.

Die Auswahl der „Romane des Jahres“ unter jährlich wechselnden Jurys gehorcht durchaus außerliterarischen Kriterien – immer in der Hoffnung, diese ließen sich mit literarischen Ansprüchen versöhnen. Das zwangsläufig Kompromisslerische des Buchpreises kann man mit guten Gründen verteidigen: Es sorgt für ein Gespräch über Bücher, das auch Gelegenheitsleser einbezieht. Aber spätestens auf der Shortlist kommen sich die Kriterien für die einzelnen Plätze ins Gehege.

Am unwahrscheinlichsten ist trotz seines einhellig gefeierten literarischen Rangs ein Sieg von Terézia Moras Roman „Muna oder Die Hälfte des Lebens“ (Luchterhand Literaturverlag). Der Auftakt zu einer „Trilogie der Frauen“ erzählt von einer aus der DDR stammenden Frau, die sich in ein schweres Abhängigkeitsverhältnis mit einem Mann begibt. Mora hat vor genau zehn Jahren mit „Das Ungeheuer“ schon einmal gewonnen. Bessere Chancen hat schon deshalb Necati Öziris „Vatermal“ (Claassen), ein intensives Stück Lebens- und Familiengeschichte zwischen der Türkei und Deutschland.

Anne Rabe widmet sich ihrem autofiktionalen Roman „Die Möglichkeit von Glück“ (Klett-Cotta) den Spätfolgen der DDR-Diktatur im Spiegel der eigenen Herkunft. Nach dem Streit um die historische Authentizität von Charlotte Gneuß‘ „Gittersee“ über eine Jugend in der DDR ist nicht die DDR-Nachgeborene, sondern die drei Jahre vor der Wende in Wismar geborene Autorin übriggeblieben.

Mit Tonio Schachinger und seinem Wiener Internatsroman „Echtzeitalter“ hat es ein Österreicher auf die Shortlist geschafft. Die Deutschfranzösin Sylvie Schenk hat in ihrem sichtlich von Annie Ernaux beeinflussten Roman „Maman“ (Hanser) ihrer schwierigen Mutter ein Denkmal gesetzt. Und Ulrike Sterblich sorgt mit ihrem skurrilen Männerfreundschaftsroman „Drifter“ (Rowohlt Hundert Augen) für etwas leichtere Töne.

Katharina Teutsch, die Sprecherin der siebenköpfigen Jury, charakterisiert die Shortlist so: „Sechs Romane, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Sie spielen zu unterschiedlichen Zeiten, beschreiben unterschiedliche Milieus in unterschiedlichen Ländern und finden dafür die je überzeugendsten Ausdrucksmittel. Legt man diese Sechs aber nebeneinander, kommen sie unweigerlich miteinander ins Gespräch. Dieses Gespräch handelt von unseren Prägungen: von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration – von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert.“

Am 16. Oktober, wenn der Buchpreis zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers verliehen wird, wird sich zeigen, was das heißt. Der Sieger oder die Siegerin erhält 25 000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2500 Euro. (dotz)

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