zum Hauptinhalt
Stephan Kramer leitet des Thüringer Verfassungsschutz.

© imago/pictureteam

Verfassungsschutz in Thüringen: Ramelows Kontrolleur

Stephan Kramer war Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Nun leitet er den skandalgeplagten Thüringer Verfassungsschutz. Das wird spannend.

An Selbstbewusstsein mangelt es Stephan Kramer auch bei seiner neuen Aufgabe nicht. „Wenn es uns gelingt, einen zukunftsfähigen Verfassungsschutz in Thüringen zu schaffen, kann das auch zum Vorbild für andere Bundesländer werden“, sagt er nicht ohne Stolz. „Strahlkraft“ wolle er zusammen mit seinen Mitarbeitern auch über die Grenzen Thüringens hinaus entfalten. Das Ziel ist ambitioniert, denn der frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden leitet seit Dezember vergangenen Jahres eine Behörde, die wie kaum eine andere in Deutschland im Kreuzfeuer der Kritik stand: das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz. Dem in Erfurt ansässigen Nachrichtendienst mit seinen rund 100 Mitarbeitern wird vorgeworfen, die Entstehung der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in Thüringen nicht verhindert und möglicherweise sogar begünstigt zu haben. Die schwierige Ausgangslage habe ihn ganz besonders gereizt, sagt Kramer. Nach dem „absoluten Versagen“ des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden in der NSU-Affäre sei die Reform des Inlandsnachrichtendiensts „eine ziemlich große Herausforderung“.

Der 47-Jährige macht kein Geheimnis daraus, dass er den Job als Behördenchef seinem guten Verhältnis zu Thüringens linkem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zu verdanken hat. Dessen Partei würde den Verfassungsschutz am liebsten abschaffen, konnte diese Forderung in den Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen aber nicht durchsetzen. Als Ramelow dann überlegte, wen er zum Leiter der seit dem NSU-Skandal nur kommissarisch geführten Behörde machen sollte, kam er auf Kramer, der gerade eine neue Aufgabe suchte. Unproblematisch war das nicht, denn das Landesgesetz schreibt vor, dass das Amt von einem Volljuristen geleitet werden soll – „soll“, nicht „muss“, darauf beruft sich Rot-Rot-Grün jetzt. Denn Kramer hat zwar über viele Jahre hinweg Jura studiert und wurde auch auf seiner Wikipedia-Seite lange als Jurist bezeichnet, hat aber nie ein Examen in diesem Fach gemacht. Immerhin verfügt er mittlerweile über einen Masterabschluss in Sozialpädagogik von der Fachhochschule Erfurt.

„Das war kein guter Start“, kommentiert der innenpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Wolfgang Fiedler die anfängliche Konfusion um Kramers akademische Vita, hält sich aber ansonsten mit Kritik an dem Seiteneinsteiger zurück: „Beim Verfassungsschutz gibt es ohne Frage Reformbedarf, und wir wollen Kramer eine faire Chance geben“, sagt der erfahrene Innenpolitiker, der schon seit 1990 im Landtag sitzt.

Ein Sicherheitsexperte

Kramer selbst sieht in seinem fehlenden Jura-Examen keinen Mangel. „Meine Vorgänger waren schließlich alle Juristen, aber das hat sie ja offenbar auch nicht davor geschützt, dass diese Katastrophe passiert ist“, sagt er etwas spitz. Und er verweist darauf, dass er beim Zentralrat der Juden seit 2004 ja nicht nur Generalsekretär, sondern auch für Sicherheitsfragen zuständig war. Dabei sei es keineswegs nur um die Dicke von schusssicherem Glas oder die Poller vor Synagogen gegangen, „sondern auch um Lagebeurteilungen und Bedrohungsszenarien“. Dass es allerdings nicht unbedingt diese Expertise war, die ihn zum Kandidaten Ramelows werden ließ, gibt auch Kramer zu. Als führender Vertreter des Zentralrats sei er seit 2004 immer wieder mit dem damaligen Oppositionspolitiker zusammengetroffen und habe dessen Engagement gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus sehr geschätzt. „Wir haben schon damals mit deutlicher Zuneigung und dem gebührendem Respekt zusammengearbeitet“, beschreibt Kramer sein Verhältnis zu Ramelow. Ein auch öffentlich ausgetragener Streit in der deutsch-israelischen Gesellschaft um den Boykott von Waren aus dem Westjordanland – Ramelow war dafür, Kramer dagegen – hat die Freundschaft nicht dauerhaft beschädigt. Der für den Verfassungsschutz zuständige SPD-Innenminister Holger Poppenhäger ließ sich dann auch rasch von der ungewöhnlichen Personalie überzeugen. Kramer ist in der SPD, war aber auch schon Mitglied der CDU und der FDP.

Umstellen muss sich Kramer vor allem bei seinen öffentlichen Äußerungen, machte er beim Zentralrat doch auch gerne mal mit einer Provokation auf sich aufmerksam. Mal schlug er Thilo Sarrazin vor, in die NPD einzutreten, mal beschuldigte er deutsche Medien, unterschwelligen Antisemitismus zu verbreiten. Jetzt muss er mehr im Hintergrund wirken, verweist aber auch darauf, in der Thüringer Landesregierung habe sich ja wohl niemand der Illusion hingegeben, dass aus ihm „jetzt der klassische Verwaltungsbeamte wird, der sich nur noch mit Aktendeckeln und Verwaltungsvorschriften befasst“.

Zum Judentum konvertiert

1968 in Siegen geboren, arbeitete er in den 90er Jahren für mehrere Bundestagsabgeordnete und wurde 1998 persönlicher Referent von Ignatz Bubis beim Zentralrat der Juden. In diese Zeit konvertierte er auch zum Judentum, wobei Kramer den Begriff „Konversion“ ablehnt und stattdessen davon spricht, er habe damals zum jüdischen Glauben gefunden. Keinesfalls sei die Entscheidung jedenfalls aus Karrieregründen gefallen. 2004 wurde er Generalsekretär des Zentralrats und stand seitdem mit Spitzenpolitikern aus dem In- und Ausland in Kontakt. Die Fotos vieler dieser Begegnungen zieren nun auch sein Büro in Erfurt. Bei seiner Demission 2014 spielte vermutlich auch ein Streit mit dem damaligen Präsidenten Dieter Graumann um das NPD-Verbot eine Rolle. In Brüssel leitete Kramer anschließend ein Büro des American Jewish Comittee (AJC), wollte aber gerne wieder nach Deutschland zurück. Da kam das Angebot Ramelows gerade recht.

Kramer residiert nun im achten Stock eines tristen Plattenbaus in einem Gewerbegebiet Erfurts. Den Tresor, den er von seinem skandalumwitterten Vorgänger Helmut Roewer übernommen hat, lässt er in seinem Büro demonstrativ offen stehen. Die Prioritäten der Behörde sieht er zuerst in der Bekämpfung des Rechtsextremismus, dann des Islamismus und mit großem Abstand des Linksextremismus. Einen Disput mit der rot-rot-grünen Koalition hat sich Kramer auch schon geleistet. So kritisierte er in einem Interview die Vorgabe, dass V-Leute in Thüringen nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen eingesetzt werden dürfen. Die Koalition pfiff ihn zurück.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 26. April 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

Joachim Riecker

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false