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Mit chemischer Hilfe zum Sieg: Der russischen Dreispringerin Tatiana Lebedeva (hier bei der Leichtathletik-WM 2009) wurde die Silbermedaille aberkannt, die sie bei den Olympischen Spielen in Peking errungen hatte. Sie hatte mit Oral-Turinabol gedopt, einem anabolen Stereoid, das auch beim DDR-Staatsdoping eingesetzt worden war.

© Robert Ghement/picture-alliance/dpa

Pharmazie: Riesensprung in der Doping-Analyse

Maria Parr erforscht, wie die Einnahme verbotener Substanzen mithilfe gelagerter Urinproben von Athleten noch Jahre später nachgewiesen werden kann

Als das Internationale Olympische Komitee (IOC) Anfang des Jahres dem Leichtathleten Usain Bolt die Goldmedaille in der 4x100-Meter-Staffel bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 aberkannte und damit eines seiner drei legendären „Triple“ zerstörte, war Doping wieder in den Schlagzeilen. Dabei ging es gar nicht um Bolt, sondern um Nesta Carter, einen der anderen Staffelläufer. Er hatte mit Methylhexanamin gedopt, einer dem Amphetamin verwandten Substanz.

Carter war nur einer von 98 Athleten, denen die Doping-Kontrolllabore der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in einer Nachanalyse von 1243 Proben der Sommerspiele in Peking und London quasi im Rückblick – nach mehr als acht beziehungsweise vier Jahren – Doping nachweisen konnten. Die meisten hatten anabole Steroide konsumiert. Diese „Anabolika“ zählen zu den am häufigsten eingesetzten Dopingmitteln im Sport. Vor allem da, wo es auf Kraft und Muskelmasse ankommt, sind die künstlich hergestellten Derivate des männlichen Sexualhormons Testosteron beliebt.

Dafür, dass noch Jahre später Athletinnen und Athleten die Medaillen aberkannt werden konnten, weil sie unter unfairen Voraussetzungen erkämpft wurden, hat Maria Parr mit ihrer Forschung im Jahr 2010 die Grundlage gelegt. Parr, seit 2012 Professorin für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Freien Universität, arbeitete damals noch im Labor der WADA in Köln. In Berlin beschäftigt sich die Wissenschaftlerin weiterhin mit dem Nachweis von Abbauprodukten der verbotenen leistungssteigernden Mittel.

Bei der erneuten Überprüfung der Urinproben fanden Doping-Kontrolleure verschiedene Substanzen. Aufmerksamkeit erregte unter anderem die Analyse der Probe von Tatiana Lebedeva, die in Peking die Silbermedaille im Dreisprung gewonnen hatte. Sie hatte mit dem synthetischen Steroid Oral-Turinabol gedopt.

Und sie war nicht die Einzige. Besonders pikant: Im Hochsprungwettbewerb der Frauen in Peking fanden die Kontrolleure nicht nur bei der russischen Bronzemedaillengewinnerin, sondern auch bei den beiden Nachrückerinnen aus Russland und der Ukraine jeweils Hinweise auf Turinabol-Missbrauch. „Oral-Turinabol gehörte zu den wichtigsten Doping-Mitteln im DDR-Staatsdoping“, sagt Maria Parr. Es war beliebt, weil es damals kaum jemand kannte und weil es bequem als Tablette eingenommen werden konnte. „Nach der Wende galt Turinabol als weitgehend verschwunden. Seit 2005 erlebt es eine Renaissance, obwohl es nirgends mehr legal hergestellt wird.“

Die Wissenschaftler entdeckten ein bisher unbekanntes Abbauprodukt

Aus Sicht der Athleten hat Turinabol Charme. Ähnlich wie bei Oxandrolon und Stanozol, zwei weiteren synthetischen Steroiden, die in der aktuellen Analysewelle des IOC nachgewiesen werden konnten, war lange Zeit unklar, wie dieses Steroid im Körper abgebaut wird. „Wir kannten eine Reihe von Abbauprodukten von Turinabol, aber die ließen sich nur über begrenzte Zeiträume nachweisen“, sagt Maria Parr.

Das änderte sich vor einigen Jahren, als es der Pharmazeutin mit Kolleginnen und Kollegen im Kölner Doping-Kontrolllabor der WADA gelang, weitere Stoffwechselprodukte von Oxandrolon und Turinabol zu entschlüsseln. Dabei fand die Wissenschaftlerin unter anderem ein bis dahin völlig unbekanntes Abbauprodukt, das sich chemisch in einigen Strukturelementen von den bis dahin bekannten unterscheidet. Durch seinen besonderen Aufbau verteilt es sich im Körper anders und ist deutlich länger im Urin nachweisbar.

Auf der Grundlage dieser Arbeiten gelang Kollegen von Maria Parr im WADA-Dopingkontrolllabor in Moskau ein weiterer Erfolg: Sie fanden ein bislang unbekanntes Abbauprodukt des Turinabol, das ebenfalls sehr lange im Urin nachweisbar ist. Damit kannte die WADA plötzlich zwei neue Substanzen, nach denen sie in Doping-Tests suchen lassen konnte. Das wurde dann auch getan, berichtet Parr: „Es dauerte noch ein wenig, bis das Testverfahren einsatzbereit war. Aber letztlich beruht die aktuelle Welle von Nachanalysen auch auf den beiden Abbauprodukten, die wir und die Moskauer Kollegen vor vier Jahren beschrieben haben.“

Einfach sind die Nachweise allerdings nicht. Bei gewöhnlichen Dopingtests werden in oft weniger als 100 Millilitern Urin mehrere Hundert verschiedene Substanzen bestimmt. Bei den anabolen Steroiden hantieren die Experten mit Konzentrationen in der Größenordnung von zwei Nanogramm pro Milliliter. Zum Vergleich: Das ist so, als würde ein Stück Würfelzucker in einem Schwimmbecken mit acht 50-Meter-Bahnen aufgelöst. Bei den neuen Metaboliten ist die Konzentration nochmal um den Faktor zehn und mehr niedriger. „Wir suchen nach einer Prise Zucker in einem Olympiaschwimmbad“, sagt Parr.

Kooperation mit Kollegen aus China und Rom

Auch deshalb ist weitere Forschung nötig, um den Nachweis zu optimieren. Aktuell tüftelt Maria Parrs Arbeitsgruppe an der Freien Universität gemeinsam mit Kollegen aus China und Rom, finanziert durch Fördergelder der WADA, an der synthetischen Herstellung der beiden Turinabol-Abbauprodukte. Denn bisher kennen die Doping-Experten „ihre“ Substanzen nur aus chromatografischen und massenspektrometrischen Untersuchungen von Urinproben – beides Verfahren, mit denen sich Stoffmischungen analysieren lassen. Ein Pulver gibt es noch nicht.

Genau das wäre aber hilfreich, denn damit ließen sich Referenzlösungen herstellen, die für Vergleichsmessungen verwendet werden könnten. Auch aus einem anderen Grund wäre das ein Fortschritt: Bisher werden Freiwillige mit festgelegten Mengen synthetischer Steroide „gedopt“, um Referenz-Urin für die Messungen zu gewinnen. „Das ist natürlich nicht ideal“, so Parr. „Davon würden die Doping-Kontrolllabore gerne wegkommen.“

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