zum Hauptinhalt
Unter anderem durch Salzwasser und Verschmutzungen der Themse wurden die Kalksteinbögen der Blackfriars Bridge in London mit der Zeit erheblich beschädigt.

© Wikimedia Commons/Collection: Yale Center for British Art

Umweltverschmutzung und Geschichte: Der Himmel über London

Die Historikerin Birgit Näther untersucht, welche Vorstellungen von Luftverschmutzung die Menschen im London der frühen Neuzeit hatten.

Wer eine Vorliebe für historische Romane oder Filme hat, wird sich diese Fragen vermutlich schon oft gestellt haben: Wie muss es in den Städten früher gestunken haben? Wie haben die Menschen das bloß ausgehalten? Für die Historikerin Birgit Näther sind Gerüche nur ein Aspekt ihrer Forschung – allerdings ein wichtiger. Sie sagt: „Gerüche waren für die Zeitgenossen ein zentraler Hinweis darauf, dass die Luftqualität schlecht war. Und natürlich haben sie versucht, etwas dagegen zu tun.“ Romane wie Patrick Süskinds „Das Parfum“ liest sie auch aus diesem Grund gerne, als Historikerin verweist sie viele Beschreibungen des Umgangs mit Gerüchen allerdings in das Reich der Fantasie. Welche Vorstellungen die Menschen zwischen 1650 und 1850 tatsächlich von der Luft und ihrer Bedeutung für die Gesundheit hatten, untersucht Birgit Näther in ihrem Habilitationsprojekt am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität „Smelling the Metropolis. Emission, Infektion und Olfaktion in London“. Sie hofft, damit eine Verbindung zu schaffen zwischen einer Stadt- und Sozialgeschichte Londons und der umwelt- und medizinhistorischen Forschung der frühen Neuzeit.

Probleme explodierten

Dem Geruchssinn widmet sie dabei verstärkte Aufmerksamkeit, weil sie in der historischen Forschung auf einen Widerspruch stieß: „Man nimmt an, dass die Wissenschaft im 18. Jahrhundert den Geruchssinn als ‚zu subjektiv‘ disqualifizierte. Im Alltag hingegen sei der Geruch plötzlich sehr wichtig geworden: Die Menschen begannen, alles zu desodorieren. Gerüche, die vorher akzeptiert wurden, waren nun peinlich“, sagt Näther. „Warum gab es diesen Umbruch? Die Menschen hatten doch auch vorher Nasen.“ Noch steht sie am Anfang ihres Forschungsprojektes, konnte wegen der Corona-Pandemie viele Archive nicht besuchen. Doch einer ersten Erklärung für diesen Widerspruch ist sie bereits nähergekommen: „Probleme mit der Luftqualität wurden auch schon im Spätmittelalter wahrgenommen. Aber weil die Bevölkerung stetig wuchs und die Städte immer größer und enger wurden, war irgendwann ein Schwellenwert überschritten, und die Probleme explodierten.“

In London kam zum schnellen Stadtwachstum ein neuer Brennstoff hinzu: „Historisch einmalig früh gingen die Londoner dazu über, Schwemmkohle statt Holz zu verfeuern. Und zwar flächendeckend in der gesamten Stadt, zum Beispiel befeuerten auch Bäcker ihre Öfen mit Kohle.“ Dazu kamen die Ausdünstungen von Viehmärkten und Schlachtungen, Klärgruben und Unrat. Birgit Näther wertet Beschwerden und Gerichtsakten aus, die sich mit Luftverschmutzung befassen. Hier findet sie nicht nur Hinweise auf das Ausmaß des Problems, sondern auch darauf, wovon die Zeitgenossen sich eigentlich bedroht sahen: „Die Menschen gingen davon aus, dass nicht nur ihr Eigentum, sondern auch ihre Körper vom ‚smoke‘ zerfressen werden konnten.“ Bevor die Wissenschaftler im 19. Jahrhundert Bakterien als Auslöser von Krankheiten entdeckten, galt die Luft selbst als potenziell gefährlich. „Man glaubte, dass alles sogenannte Miasmen ausdünstete: Lebewesen, tote Materie, sogar der Erdboden selbst. Und dass Menschen diese Miasmen nicht nur einatmeten, sondern auch über ihre Haut aufnahmen.“ War die Luft so stark verschmutzt, dass sie „umkippte“, entstand in der damaligen Vorstellung eine unsichtbare Gefahr, der man sich kaum entziehen konnte.

Pest und Cholera

Für die Londoner war das immer wieder der Fall, wenn eine der zahlreichen Seuchenwellen durch die Stadt ging. Die Zeitgenossen brachten Krankheiten wie Pest und Cholera mit der Qualität der Luft in Verbindung. Und sie versuchten, sich entsprechend zu schützen. Die schwerste Epidemie traf London mit dem Ausbruch der Pest 1665. „Ich habe dieses Ereignis 2019 in einem Seminar mit Studierenden besprochen“, erzählt Birgit Näther. „Damals haben alle geschmunzelt, weil die Londoner ihre Briefe zum Schutz vor der Pest abgewaschen haben.“ Nur wenig später, Anfang 2020, musste die Weltgesundheitsorganisation versichern, dass durch Briefe aus China keine Coronaviren übertragen werden. „Es ist frappierend, wie nah uns plötzlich historische Erfahrungen sind, von denen wir uns eigentlich weit entfernt geglaubt haben.“ Auch andere Maßnahmen gegen die Pest erscheinen nun nachvollziehbar, obwohl das heutige Wissen über die tatsächlichen Übertragungswege in der frühen Neuzeit natürlich fehlte. Die Menschen hätten ihre Umwelt aufmerksam beobachtet, sagt Näther: „Wenn sich in einem Viertel Pestausbrüche häuften, ging man dort nicht hin. Mietkutschen, die diese Viertel noch bedienten, benutzte man nicht. Enge Gassen, in denen die Luft stand, mied man.“ Andere Gegenmittel seien nur aus den Vorstellungen der Zeit zu verstehen, zum Beispiel der Versuch, „umgekippte Luft“ durch Duft und Rauch wieder zu reinigen. „Pestmasken mit großen, kräutergefüllten Schnäbeln gab es nördlich der Alpen wohl nicht, aber die Menschen trugen sogenannte Bisamäpfel: mit duftenden Rezepturen gefüllte Kugeln.“

Die doppelte Katastrophe

Die Jahre 1665 und 1666 brachten London eine doppelte Katastrophe: Nach der Pest wütete ein großes Feuer, die Stadt brannte fast völlig ab. „Der Wiederaufbau war dann auch durch die Sorge um bessere Luftqualität geprägt. Die Straßen wurden breiter angelegt, damit der Wind sie besser durchlüftete.“ Überhaupt habe sich die Stadtverwaltung sehr konkret um Beschwerden zur Luftqualität gekümmert, sagt Näther. Sogenannte Viertelmeister konnten etwa kontrollieren, dass Klärgruben nicht im Hochsommer ausgepumpt wurden oder geruchsintensive Gewerbe sich in anderen Gegenden ansiedelten.

Dass die Londoner die Umweltprobleme trotzdem nicht in den Griff bekamen, lag unter anderem an der topografisch ungünstigen Lage der Stadt: im Tal der langsam fließenden Themse, wo häufige Inversionswetterlagen den Luftaustausch behinderten. „Schon lange, bevor der Begriff ‚Smog‘ – ein Kofferwort aus ‚smoke‘ und ‚fog‘ – existierte, litten die Londoner unter diesem Phänomen“, sagt Birgit Näther. Dass selbst exklusive Wohnlagen nicht verschont blieben, beweist die überlieferte Beschwerde einer Prominenten: Über den „smoke“ rund um Schloss Whitehall zeigte sich selbst Königin Elizabeth I. „not amused“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false