zum Hauptinhalt
Raues Land, stolze Tradition. Oaxaca im Süden Mexikos ist die Heimat des Mezcal.

© Susanne Salzgeber

Die Heimat des Mezcal: Der Schnaps der Sierra Madre

Die Mexikaner nennen ihn das „Elixir der Götter“, den Schnaps aus dem Herzen der Agave. Ein Besuch in der „Welthauptstadt des Mezcal“.

Welch ein Gegensatz: Dort die raucherfüllte Kleinbrennerei am Ende einer Sandpiste zu Füßen der Sierra Madre, hier Barkeeper und Spirituosenfans, die immer wieder an einem klaren Schnaps schnüffeln – nach den Spuren von grünen Aromen der Agaven, nach dem Karamell und der Rauchwürze, die bei ihrer archaischen Verwandlung in Mezcal entstehen.

Kein Destillat ist aufregender und wird ursprünglicher hergestellt, keines entfacht eine ähnliche Magie. Aus dem ärmlichen Süden Mexikos hat Mezcal einen Siegeszug in kleinen Schlucken angetreten, hat jeden Grenzzaun überwunden und den oft beneideten Nachbarn USA erobert, wird in London ebenso verehrt wie in Tokio, ohne seine Seele aufzugeben.

Der Agave-Schnaps entfaltet eine magische Aromenvielfalt

Wer sie ergründen will, muss sich aufmachen nach Oaxaca. In diesem südlichen Bundesstaat Mexikos liegt das Zentrum der Mezcal-Herstellung, rund 90 Prozent aller Flaschen stammen vor hier. Nirgendwo gibt es eine größere Vielfalt an Agaven, die der einheimischen Bevölkerung von jeher als von der Göttin Mayahuel bewohnt erschienen.

Diese faszinierenden, grünbläulichen, dem Staub trotzenden Pflanzen überleben auch bei minimalen Niederschlägen und wachsen langsam ihrer Vermehrungsreife entgegen. Sieben bis mehr als 30 Jahre dauert es, je nach Sorte, bis die Agave alles daransetzt, sich zu vermehren, und einen Art Stamm aus ihrer Mitte treibt. Diesen Moment müssen die Agavenbauern erspüren, denn vor dem Austrieb sammelt die Pflanze die größten Vorräte an Zucker.

Es ist die Zeit der Ernte, die Zeit der Macheten. Die Blätter werden abgeschlagen, nur das Herz der Agave bleibt übrig. Es wird „Piña“ genannt, weil es einer Ananas ähnlich sieht; bis zu einem Zentner kann es wiegen. Mit dem Maultiergespann oder klapprigen Pick-ups werden die Agavenherzen in eine rußgeschwärzte „Palenque“ gebracht, so heißen die Brennereien der Mezcaleros.

Santiago de Matatlan zählt 3000 Seelen und 80 Kleinbrennereien

Santiago de Matatlan nennt sich selbst „Welthauptstadt des Mezcal“. Es hat dem 3000-Seelen-Flecken auch zu etwas Wohlstand und einer geteerten Straße verholfen. 80 Kleinbrennereien soll es hier geben, die meisten aber liegen irgendwo außerhalb, am Rande von Sandpisten, die sich den Bergen entgegenwinden. Hier liegt auch die Palenque von Don Cosme Hernandez, einem traditionellen Mestro Mezcalero.

Im Hof ist eine Feuerstelle in die Erde gegraben, darin wird ein Feuer entfacht, das Lavasteine zum Glühen bringt. Auf sie schichtet man, geschützt durch nasse Agavenfasern, die Piñas, ehe der entstandene Hügel mit Erde überwölbt wird. Die Herzen kochen im Innern mindestens drei Tage. Danach sind sie weich, duften nach Karamell und sind wunderbar süß. Kinder knabbern daran, die gekochten Agaven sind ein energiereicher Lolli-Ersatz.

In einer Steinmühle werden sie nun zermahlen, den Mühlstein bewegen Muli, Esel oder Pferd so lange im Kreis, bis sich im Becken ein zäher Brei gebildet hat. Mit ihm wird die Maische in großen offenen Holzbottichen angesetzt, die Fermentation beginnt spontan durch wilde Hefen. Wer sein Ohr an den Bottich hält, hört zartes Gärungsblubbern. Am Ende sind fünf Prozent Alkohol erreicht, der Mezcalero muss den richtigen Zeitpunkt abpassen, um seine Maische das erste Mal zu brennen. Sie soll aromatisch voll sein, aber es dürfen sich bei der Gärung keine Fehltöne bilden.

Mezcalero Don Cosme Hernandez (l.) mit seinen Kindern Cirilio und Epifania.
Mezcalero Don Cosme Hernandez (l.) mit seinen Kindern Cirilio und Epifania.

© Susanne Salzgeber

Korrigierende Chemie, wie sie bei jedem Winzer im Keller steht, findet man in der Palenque nie. Es wäre gegen den Stolz der angesehenen Zunft. Über Holzfeuer wird zum ersten Mal in der Kupferblase destilliert, danach folgt der abschließende Feinbrand. Viele Stunden nehmen diese Vorgänge in Anspruch, die viel Ruhe und zugleich Wachsamkeit verlangen. Eine Hängematte oder Matratze findet man in jeder Palenque.

Um Qualität und Alkoholgehalt zu bestimmen, braucht Don Cosme keine Technik. Er massiert das frische Destillat auf seinen Handrücken und riecht daran. Mit einem Bambusstock saugt er etwas Mezcal an und lässt ihn in eine kleine Kalebasse strömen. An der Bläschenbildung kann der erfahrene Mezcalero die Prozente erkennen, angeblich bis auf ein Grad genau. Wer Don Cosme zusieht, mag nicht mit ihm darüber streiten. Er strahlt eine herbe Würde aus und spricht mit den Besuchern kein Wort Spanisch. Seine Muttersprache ist das indigene Zapotek, das hier schon gesprochen wurde, bevor das Land von den Spaniern erobert wurde.

Mezcal ist tief in der Identität der Region verwurzelt

Sein Sohn Cirilio übersetzt und will vermitteln zwischen den Welten. Man ahnt, wie viel Mühe es ihn gekostet hat, seinen Vater davon zu überzeugen, die Palenque arbeitsfreundlicher zu gestalten, ohne dabei die traditionelle Herstellung zu verändern. Cirilio hat sich auch ein Obergeschoss ertrotzt, wo er künftig mit seiner Schwester Epifania Besucher zur Verkostung empfangen will. Noch ist es ein Rohbau, aber in ihm steckt eine Vision: ein gutes Leben führen zu können, weil man ein rares, hochwertiges Produkt selbst vermarktet. Mit der Trinkschale in der Hand geht der Blick aus dem Fenster über Staubpisten, vereinzelte Wellblechhütten und Gestrüpp, dahinter ragen schroff die Berge der Sierra Madre auf.

Agaveherzen werden drei Tage gekocht. Das Ergebnis: unverwechselbarer Mezcal.
Agaveherzen werden drei Tage gekocht. Das Ergebnis: unverwechselbarer Mezcal.

© Los Danzantes

Mezcal ist so sehr mit der Identität dieser Region verwoben, dass eine historische Frage die Gemüter erregt: Gab es die Destillation von Agaven schon vor der Eroberung oder haben erst die Spanier dieses Wissen mitgebracht? Mezcal leitet sich aus der Aztekensprache Nahuatl ab: Metl (Agave) und ixcalli (gekocht). Ansonsten steht These gegen These.

Die eine besagt: Die Spanier haben die Technik von den Mauren kopiert, woran die Wörter Alkohol und Alambique für Brennblase erinnern. Andere meinen, gefundene Tongefäße legten durchaus nahe, dass bereits die Ureinwohner Schnaps brennen konnten. Außer Diskussion steht, dass sie aus dem Saft der Agaven ein alkoholisches Getränk gebraut haben, die heute vor allem in Mexiko City wieder beliebte „Pulque“. Sie diente religiösen Riten und war nur wenigen Menschen vorbehalten. Empfindliche Brennblasen aus Ton, die nicht mehr als 80 Liter fassen, werden heute noch von Mezcaleros benutzt. Ihre Destillate dürfen sie „Mezcal ancestral“ nennen, die in Kupferblasen gebrannten heißen „Mezcal artesanal“.

Heißes Handwerk, rare Brände.
Heißes Handwerk, rare Brände.

© Susanne Salzgeber

Im Vergleich zum weiter nördlich produzierten Tequila ist Mezcal ein zutiefst handwerkliches Produkt geblieben. Während für Tequila nur eine Agavenart in industriellen Drucktanks gekocht wird, können für Mezcal bis zu 30 verschiedene Sorten in den Erdöfen verarbeitet werden. Sie bringen unterschiedliche Mezcals hervor, die von mal herbal grünen, mal schokoladigen oder erdigen Tönen geprägt sind. Den größten Unterschied aber macht jeder einzelne Mezcalero mit seinem Wissen und seiner Lesart der Tradition. Verglichen mit den Schnapsgiganten aus Tequila ist die Produktion von Don Cosme verschwindend gering, im Gegensatz zu austauschbarer Industrieware bietet sein Mezcal jedoch ein tiefes Aromenerlebnis. Eine Flasche Tequila kostet zwölf, Don Cosmes Mezcal 50 Euro.

Wer an ihm riecht, würde nie auf die Idee kommen, ihn als Shot aus dem Schnapsglas ohne Luft hinunterzustürzen. In Oaxaca sagen sie: Du sollst Mezcal wie Küsse genießen – immer wieder nippen, mit viel Zeit zum Nachspüren. Sich dem Zauber des „Elixir de los dioses“, des Elixiers der Götter, zu öffnen, gleicht einer Meditation. Mezcaltrinker erleben dabei oft einen sanften Rausch von Ruhe und Weite.

Zwischendurch kann man auf eine Orangenscheibe beißen, die mit Sal de Gusano, einer Mischung aus getrocknetem, zermahlenem Agaven-Wurm, Chili und Salz gewürzt ist. In die Flasche gehört der Wurm aber nicht. Wenn er dort dennoch schwimmen sollte, erinnert er lediglich an einen Marketinggag früherer Tage. So was gehört heute nach Tequila, wo die großen Marken wohnen.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false