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Eine Schale Südseezauber. Poke ist roher, marinierter Fisch, nicht so fein geschnitten wie Sashimi, nicht so spitz in den Aromen wie Ceviche. Der perfekte Snack zum Bier.

© Ma'lola/promo

Trendfood Poke: Der hawaiianische Fischsalat erobert die Welt

Der Lieblingssnack der Hawaiianer heißt Poke. Gerade erlebt es einen weltweiten Siegeszug. Auch in Berlin ist der Trend angekommen. Wir haben die besten Adressen.

Wann man am besten kommen soll? Egal. Voll ist es ja immer. Selbst am frühen Nachmittag, wenn die tropische Sonne senkrecht vom Himmel runterbrennt und der Asphalt zu dampfen scheint, steht eine lange Schlange auf dem Parkplatz an der Kapahulu Avenue. Die liegt im wenig postkartigen Teil von Honolulu. Von Luxushotels, Shoppingmalls und Surfromantik, wie sie ein paar Blocks weiter die Bucht von Waikiki prägen, ist hier nichts zu sehen. Hier sind nur ein Mopedhändler, ein Tätowierer, eine Kampfsportschule, Pizza Hut, Taco Bell – und dazwischen Ono Seafood.

Die Poke-Bude ist eine lokale Attraktion. Sie wird in Blogs und Reiseführern als Geheimtipp angepriesen, und weil alle Menschen Geheimnisse mögen und ziemlich viele gerade Poke, ein traditionelles hawaiianisches Gericht aus rohem, mariniertem Fisch, sammeln sich auf dem Parkplatz jeden Tag rund um die Uhr absurde Menschenmassen. Und warten.

Eine junge Kanadierin schmiert sich noch mal mit Sonnencreme ein, ein japanisches Honeymoon-Pärchen wechselt sich beim Anstehen ab: Immer einer darf zurück ins Auto, in dem die Klimaanlage läuft. Kunden dürfen hier umsonst parken. Aber nur zwei Stunden. Tatsächlich kann das schon mal knapp werden. Denn ist man einmal im Laden angekommen, wartet man zwar gut klimatisiert, aber immer noch eine ganze Weile. Die Schlange muss an ein paar Metern mannshohen Kühlschränken mit Getränken und abgepackten Kleinigkeiten wie Kimchi, gekochten Erdnüssen, Seetangsalat oder japanischen Pickles vorbei, dann ist da die Theke, wo auf einem gelblichen Leuchtkasten das – überschaubare – Angebot flimmert. Es gibt nur Poke.

In den USA gibt es in jeder Großstadt unzählige Poke-Läden und -Ketten

In den letzten Jahren ist ein weltweiter Hype um den hawaiianischen Fischsalat ausgebrochen. In den USA gibt es in jeder Großstadt unzählige Poke-Läden und -Ketten, manche mit mehr als 100 Filialen. Hier ist das Lieblingspicknick der Hawaiianer der größte Fast-Food-Craze seit Jahren.

Seit etwa einem Jahr ist der Trend auch in Berlin angekommen. Im "Ma’loa Poké" in der Oranienburger Straße serviert man Bowls, die nach den hawaiianischen Inseln benannt sind. Oder man stellt sich an der offenen Theke aus unzähligen Zutaten – Entschuldigung, aus Base, Proteins, Flavours, Mix-Ins, Toppings, Premium Toppings und Extras – eine eigene Version zusammen. Im "L.A. Poke", in der Alten Schönhauser Straße, gerade in der Softopening-Phase, läuft das ähnlich. In einer Bubblegum-Pop-Farbwelt kann man auch Poke mit Hühnchen und eine vegane Option ordern. Auch im "Sons of Mana" im neuen Foodcourt des "Bikini Berlin" sieht man das nicht so eng. Gewählt werden kann etwa zwischen Lachs, Garnelen und Tofu (den Thunfisch haben sie jüngst gestrichen, wegen Überfischung) und einer unüberschaubaren Zahl an Beilagen, die dann in die Schale wandern, auf der ein wellenförmiger Saucen-Kringel für etwas Hang-Loose-Feeling sorgt.

Im "Ono Seafood" sucht man so etwas vergeblich. "White or brown Rice?", fragt die vietnamesischstämmige Judy Sakuma, die den Laden seit 23 Jahren betreibt. Mit einem Eisportionierer klatscht sie einen dicken Batzen Reis in eine Schaumstoffbox, der handwarm ist, damit der rohe Fisch, der anschließend draufkommt, nicht nachgart. Dann hat man die Wahl zwischen acht Sorten Poke. Entweder Ahi, das ist der Gelbflossenthunfisch, oder Tako, das ist das japanische Wort für Tintenfisch. Auf Hawaiianisch würde es He'e heißen. Der Tintenfisch bekommt ein Lomi-Treatment, wird mit Salz massiert und gekocht. Der Ahi bleibt roh. Ahi und Tako gibt es in vier Varianten. Etwa mit Shoyu – japanischer Sojasauce, Sesamöl und Frühlingszwiebeln oder als Spicy Poke mit einer scharfen Mayonnaise.

Zugegeben: Was in Honolulu in die Schaumstoffbox kommt, um auf dem Parkplatz verspeist zu werden, sieht weit weniger fotogen aus als die farbenfrohen Bowls, die jetzt auf der ganzen Welt und mittlerweile auch in Berlin der Renner sind. Aber die großen Stücke, das frische Aroma des Fischs, das feste Fleisch, der Salzkick der Sojasauce sind schon ein Erlebnis.

Surfer-Style. Im "Ma’loa Poké" in der Oranienburger Straße serviert man aus unzähligen Zutaten Bowls, die nach den hawaiianischen Inseln benannt sind.
Surfer-Style. Im "Ma’loa Poké" in der Oranienburger Straße serviert man aus unzähligen Zutaten Bowls, die nach den hawaiianischen Inseln benannt sind.

© Ma'loa/promo

Der Hype um Poke schließt die kulinarisch-geografische Lücke zwischen dem japanischen Sashimi und dem peruanischen Ceviche. Und fußt auf einem originären Stück hawaiianischer Küche. Doch bevor sich jetzt alles nach Südseeromantik anhört, muss eines gesagt sein: Hawaii hat auch ein paar echte Sonderbarkeiten auf der Speisekarte. Da wäre mal die notorische Vorliebe für Dosenfleisch, besser bekannt als "Spam". Es wird in ganzen Pazifikraum viel gegessen, weswegen dort wegen des hohen Salzgehaltes Nierenprobleme weit verbreitet sind. Ihr Spam grillen die Hawaiianer auch gerne und legen es dann, mit einem Noriblatt umwickelt, aufs Sushi; Spam Musubi heißt die Kreation. Andere Gerichte wie Poi, ein praktisch geschmacksfreier, klebriger lila Brei aus der Taro-Wurzel, oder Shave Ice, ein geraspeltes Wassereis, das mit regenbogenbunten Sirups übergossen wird, sind lokale Lieblinge, die wohl eher nicht das Zeug zum Exportschlager haben.

Poke ist ein globalisiertes Gericht - und jetzt auch ein Global Player

Bei Poke ist das anders. Das Gericht passt einfach perfekt in die heutige Ernährungswelt. Wenig Kohlenhydrate, wenig Fett, viel Protein – und eine gute Story. Schon ehe Captain Cook am 18. Januar 1778 auf Kauai landete, aßen die Einwohner Hawaiis rohen geschnittenen Fisch, den sie in den Lagunen fingen, und würzten ihn mit Salz, getrockneten Algen und gehackten, zu Brei gemahlenen Nüssen. Erst in den 1970er Jahren wurden für Poke dann die Fische aus den tieferen Gewässern verwendet, vor allem Thunfisch. Dass man statt Salz und Algen heute häufig auch Sojasauce zur Würzung nimmt, ist den Vorlieben der vielen japanischen Einwanderer geschuldet. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kamen viele Asiaten nach Hawaii, um auf den Ananas- und Zuckerrohrfeldern zu arbeiten. Frühlingszwiebeln und Chili wiederum brachten die europäischen Seefahrer von ihren Reisen mit. Schon lange ist Poke ein globalisiertes Gericht. Jetzt ist es auch ein Global Player.

Poke sei für die Hawaiianer so alltäglich wie Hamburger auf dem Mainland – wie man auf den Inseln das US-Festland nennt, schreibt Martha Cheng in "The Poke Cookbook". Es ist also ein Alltagsessen. Lokale Supermarktketten wie Tamura’s haben Dutzende Sorten im Angebot, die, wie hierzulande die Wurst, an langen Theken ausliegen. Darunter welche mit Muscheln, Krabben und sogar Austern. Foodlands, auch eine lokale Kette, nennt sich sogar "Hawaii’s Home for Poke".

Puristen befürchten, dass Poke zur optimierten Massenware verkommt

Bei so inniger Zuneigung ist es kein Wunder, dass man auf den Inseln den globalen Trend misstrauisch beobachtet. Der Hype hat sogar eine politische Debatte losgetreten. Tenor: Ist das schon kulturelle Aneignung, was mit Poke auf dem Festland passiert? Es fängt schon mit der Terminologie an. Keiner weiß, wie es dazu kam, aber irgendwie schreiben viele US-Ketten – und auch schon die ersten deutschen Läden – Poke mit einem Akzent auf dem e. Das sei nicht nur falsch, sondern auch ignorant und geschichtsvergessen, findet etwa der Koch und Food-Aktivist Mark Noguchi aus Honolulu. Und es gibt manches grundsätzliche Missverständnis zu klären. Nicht alles, was man roh und klein geschnitten in eine Schale werfen kann, ist auch automatisch Poke. Dahinter steht die Sorge vieler Hawaiianer, dass ihr über Jahrhunderte verfeinertes Lieblingsgericht, das die komplexe Migrationsgeschichte der Inselgruppe erzählt, als Topping einer Instagram-optimierten Salatschüssel enden könnte.

Und schließlich ist da noch die Sache mit der Nachhaltigkeit. Seit den 1990er Jahren setzen auch hawaiianische Köche verstärkt auf eine Regionalküche. Einige der führenden Restaurants in Honolulu, etwa die von Ed Kenney, verfolgen einen Farm-to-Table-Ansatz.

Auch in Hawaii werden die Thunfische im Netz immer kleiner

Gar nicht so einfach, denn so viele Farmer gibt es nicht. Der Boden ist teuer auf Hawaii, so fruchtbar die Inseln auch sein mögen. Ironischerweise sind sie genau deshalb auch ein Sehnsuchtsort der Saatguthersteller: Dank des quasi idealen Klimas haben viele Pflanzen mehrere Fruchtfolgen pro Jahr, was für die Erforschung von genetisch manipuliertem Sorten optimal ist. An keinem Ort der Welt wird mehr genmanipuliertes Saatgut angebaut als auf Hawaii. Auch die Überfischung der Meere bekommen sie ja auf Hawaii tagtäglich mit. Die Ahis, die die Fischer aus dem Meer ziehen, werden immer kleiner. Der große Raubfisch steht am Ende der Nahrungskette. Findet er weniger Futter, bringt er weniger Gewicht auf die Waage. Auch deshalb löst der wachsende Appetit auf rohen Thunfisch gemischte Gefühle aus.

Große Vielfalt. Auch bei "L.A. Poke" in der Alten Schönhauser Straße 44 können sich die Gäste ihre Schalen nach eigenem Geschmack zusammenstellen lassen.
Große Vielfalt. Auch bei "L.A. Poke" in der Alten Schönhauser Straße 44 können sich die Gäste ihre Schalen nach eigenem Geschmack zusammenstellen lassen.

© L.A. Poke/promo

Dass Poke das nächste große Ding ist, hat neben der Südseeromantik und den aktuellen Ernährungstrends auch ganz praktische Gründe: Es ist ein gutes Geschäftsmodell. Einmal geht es schnell; in Self-Service-Läden wie L.A. Poke, Ma’loa Poké oder Sons of Mana dauert die Zubereitung an der offenen Theke vielleicht eine Minute, und dafür braucht es noch nicht mal einen Koch. Ein todsicheres Konzept, das Personalkosten und Nerven spart, während die ganze Branche händeringend nach qualifiziertem Personal sucht. Auch eine Küche muss nicht sein, jedenfalls nicht vor Ort. Keine Dunstabzugshaube, keine Abluftrohre, nicht unzählige Waschbecken. Viele lästige Bestimmungen, die den Gastronomenalltag zu einem endlosen Papierkrieg machen, fallen weg. Das macht auch die Standortwahl denkbar einfach, man kann praktisch überall und mit relativ wenig Investitionen einen Laden eröffnen. Entsprechend paradiesisch wirkt Poke für Systemgastronomen. Ma’loa und L.A. Poke in Berlin sind als Franchise-Modelle angelegt. Sons of Mana plant eine Filiale.

Auch Prinz Harry und Meghan Markle ließen zur Hochzeit Bowls servieren

Warum auch nicht? Der Appetit auf die Bowls scheint kein Ende zu kennen. Sogar bei Prinz Harry und Meghan Markle wurden den Hochzeitsgästen Bowls serviert, womit die englischen Boulevardblätter jedoch etwas fremdelten. Wem nicht unbedingt nach der "New Wave des Clean Eating" ist, so wirbt Ma'ola Poké, dafür aber nach etwas mehr Purismus, der ist wohl im Funky Fisch am besten aufgehoben. The Duc Ngo serviert hier Poke mit vier Fischen – und nur mit Soja, Sesam, Chili und Zitrone. Das mag zwar nicht ganz so wie bei Ono Seafood schmecken. Dafür sitzt man deutlich schöner als auf dem Parkplatz an der Kapahulu Avenue.

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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Die besten Adressen für Poke in Berlin

Ma’Loa Poké
Hohe Topfpflanzendichte, viel Surfromantik: Im Ma'Loa, Berlins erstem Poke-Imbiss, feiert man den Südseezauber. In die Bowls kommen außer Thunfisch auch Lachs, Tintenfisch, Shrimps, Hähnchen und Tofu – und unzählige Toppings.
Mitte, Oranienburger Str. 7

Sons of Mana
Eine der beliebtesten Buden im neuen "Bikini"-Foodcourt. In die Bowls kommt u.a. geflämmter Lachs, aber kein Thunfisch – wegen Überfischung. Ein bisschen Surfromantik steuert das Craft-Bier der Kona Brewery bei, die auf Big Island beheimatet ist.
Charlottenburg, Budapester Str. 38-50

Funky Fisch
Naheliegend, dass ein Sushi-Revoluzzer wie The Duc Ngo auch mit Poke etwas anfangen kann. Er nähert sich dem Thema über die asiatische Seite. Egal ob Thunfisch, Lachs, Weißfisch oder gemischt – bei ihm wird das Ganze mit Soja-Sauce, Sesam, Chili und Zitrone serviert.
Charlottenburg, Kantstr. 135-136

Poké Pelelina
Hübscher, unprätentiöser Laden an der Stargarder Straße. Neben dem üblichen Lachs oder Thunfisch gibt's auch Flusskrebs. Wer Surfer Style ordert, bekommt die Bowl ohne Reis und dafür mit mehr Fisch, muss aber fünf Euro drauflegen.
Prenzlauer Berg, Stargarder Str. 68

Pacifico
Der koreanisch-kalifornische Imbiss am Moritzplatz zählte zu den ersten in Berlin, die Poke fest auf der Karte hatten, wenn auch nur als Topping für die Bowls. Die kann man mit gedämpftem Lachs mit Kräutern und einer Lime-Chili-Sauce upgraden.
Kreuzberg, Prinzenstr. 84.1

L.A. Poke
Die sehr freie Interpretation des hawaiianischen Originals ist programmatisch: L.A. Poke huldigt der Kalifornisierung des Gerichts – unter anderem bekommt man es mit Hühnchen und Tofu. Dazu gibt's passend cold pressed juices an der Bar.
Mitte, Alte Schönhauser Str. 44

Felix Denk

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