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Angela Merkel zeigt mit der neuen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer

© AFP/Tobias Schwarz

Neue CDU-Generalsekretärin: Angela Merkels doppelte Ansage

Dieser Coup ist Angela Merkel gelungen. Annegret Kramp-Karrenbauer wird als CDU-Generalin aus dem Saarland nach Berlin wechseln. Alle verstehen das in der CDU als Signal – aber nicht jedem gefällt es.

Von Robert Birnbaum

Manchmal sind Personalentscheidungen ein Versuch, aber manchmal sind sie eine klare Ansage.

Am Montagfrüh verabschiedet sich der Versuch.

„Es war mir eine Ehre“, schreibt Peter Tauber auf seinem Blog. Vor vier Jahren hatte Angela Merkel den Hessen zu ihrem Generalsekretär berufen, ein Experiment mit der Jugend, das nicht so richtig aufging.

Wenig später taxiert die Ansage vom Podium im Konrad-Adenauer-Haus aus den neuen Wirkungskreis. Die Journalisten murmeln verblüfft und anerkennend. Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich zur Feier des Tages ein Kleid mit einem blendend neonpinken Oberteil ausgesucht. „Graue Maus – vergesst es gleich!“ schreit das Kleid. Merkel lächelt. Der Coup ist gelungen.

Und ein Coup ist es. Keiner hat damit gerechnet. Die Saarländerin Kramp-Karrenbauer ist 55 Jahre alt, die erfahrenste Ministerpräsidentin der CDU und seit ihrem Wahlsieg vor einem Jahr mit sagenhaften 40,7 Prozent obendrein ihre erfolgreichste. So jemand kommt vielleicht als Minister nach Berlin. Aber als General? Vom autarken Staats- in ein dienendes Parteiamt? Dorthin, wo normalerweise junge Leute sich warmlaufen?

Peter Altmaier first

Es war aber ihre eigene Idee. Die CDU-Chefin und ihre künftige rechte Hand erzählen freimütig, wie sie gemeinsam nach Wegen gesucht haben, die Frau von der Saar in die Bundespolitik zu befördern. Ein Posten im Kabinett wäre in Frage gekommen. Allerdings sitzt dort schon Peter Altmaier. Zwei Minister aus dem Zwergstaat am Westrand der Republik – das wäre schwierig gewesen. In der föderalen CDU achten die Landesverbände sehr auf Ausgewogenheit. Außerdem hatte sich der CDU-Landesvorstand an der Saar selbst vorgenommen, den eigenen Mann nicht zu beschädigen: „Peter Altmaier first“, fasste Kramp-Karrenbauer den Beschluss damals zusammen.

Sie kam dann selbst auf den Ausweg. Auswege finden ist eine ihrer Spezialitäten. „Mich hat diese Idee sehr berührt“, sagt Merkel, „weil das alles andere als selbstverständlich ist.“ Und wo sich so viel Glück anbiete, „hab’ ich dieses Glück beim Schopfe gefasst.“ Sie schaut herüber zu dem schwarzen Kurzhaar-Wuselschopf links neben ihr. Beide lächeln. Kramp-Karrenbauer, Kurzform AKK, zählt seit langem zu Merkels Vertrauten. Die zwei teilen eine nüchtern-pragmatische Weltsicht, einen messerscharfen Verstand und einen ironischen Humor, der in kleinem Kreis wie aus dem Nichts aufblitzen kann.

Im Dienst der Partei

Kramp-Karrenbauer selber findet die Überraschung denn auch gar nicht überraschend, sondern geradezu logisch. Deutschland stecke in einer der schwierigsten Phasen seiner Geschichte, die Volksparteien ebenso. Da könne man nicht nur „man sollte, man müsste mal“ sagen, sondern müsse ein Zeichen setzen und sich in den Dienst der Partei stellen. Eine Grundsatzdebatte will sie organisieren – nicht als Ablenkungsmanöver, damit die Chefin in Ruhe regieren kann, sondern ganz im Ernst und „von der Basis an die Spitze“. Alle Wurzeln wolle sie stärken, die konservative wie die soziale und die liberale. Es gehe um Erneuerung und Selbstvergewisserung.

Ob sie denn auch ein Angebot habe für die Konservativen? Kramp-Karrenbauer guckt den Fragesteller durch ihre dunkelrandige Brille an. Von Schubladen, sagt sie, halte sie gar nichts. Tatsächlich passt sie selbst in die gängigen Schubfächer nur schwer hinein. Einerseits gilt die Juristin aus der Stahlstadt Völklingen als merkelianische Erneuerin, die fest davon überzeugt ist, dass die CDU nur in einer sehr breiten Aufstellung Volkspartei bleiben kann und nicht im Rückzug auf vermeintliche Traditionslinien.

Wie ihr Förderer Peter Müller zählt sie außerdem zum Sozialflügel ihrer Partei. Da landet man aber ganz automatisch in einem Bundesland, das auch nach dem Ende des Bergbaus von Kohle und Stahl und kleinen Leuten in kleinen Dörfern und Städten geprägt bleibt.

Sie ist gegen die „Ehe für alle“

Andererseits: eine Konservative, Katholikin, gegen die „Ehe für alle“, von 2000 bis 2004 erste Innenministerin in Deutschland. In der Flüchtlingskrise verlegte ihr hemdsärmeliger Innenminister Klaus Boullion wochenlang sein Büro in die zentrale Aufnahmestelle in Saarbrücken. Sie selbst sprach sich gegen die Schließung der Grenzen aus – wer den kleinen Grenzverkehr zwischen dem Saarland und dem großen Nachbarn Frankreich kennt, kann leicht erkennen warum. Zugleich forderte sie immer klaren Abschiebevollzug.

Kurz gesagt also: Machen, nicht reden. Für symbolische Burka-Verbieter hat sie immer nur ein spöttisches Lächeln übrig gehabt, vom „Wettstreit um die schrillste und schärfste Forderung“ hielt sie schon als Innenministerin nichts. Und genau in diesem Sinne will sie auch ein Programm formulieren für eine „demokratische Partei der Mitte“. Das dürfe ja nicht einfach dem Leitgedanken folgen: „Wo ist im Moment der Zeitgeist?“

Man kann aus dem Satz eine kleine Spitze heraushören. Im Prinzip gibt die Neue die Losung aus, dass die CDU alle Flügel zusammenführen müsse, wenn sie wieder mehr auf die 40 als auf die 30 Prozent hinsteuern wolle. Aber es gibt in der Union im Moment nun mal etliche, die einen Zeitgeist rechts zu wehen vermeinen bis hin zu einer „bürgerlich-konservativen Revolution“. Leute wie der österreichische Regierungschef Sebastian Kurz gelten dort als bewunderte Vorbilder. Diese jungkonservative Bewegung in der CDU hätte sich auch andere Generalsekretäre vorstellen können als ausgerechnet die Merkel-Freundin aus dem Saarland.

Jens Spahn wollte nur Minister werden

Aber am Montag stimmt die jungkonservative Bewegung erst mal in die allgemeinen Lobgesänge ein. Der Mittelstandschef Carsten Linnemann lobt das „starke Signal“, der Thüringer Mike Mohring lobt das „starke Signal“, und Jens Spahn sagt: „Das ist ein gutes Signal, dass eine gestandene Ministerpräsidentin sagt, ich will Generalsekretärin werden.“ Die Frage, ob es nicht mutiger von Merkel gewesen wäre, einen nicht ganz so Loyalen zu wählen, will der Noch-Staatssekretär im Finanzministerium überhaupt nicht verstehen: „Der ganze Bundesvorstand und das Präsidium steht loyal zur Bundeskanzlerin!“

Tatsächlich geht die Frage an der Wirklichkeit vorbei. „Der wollte eh’ nicht Generalsekretär werden“, sagt einer, der Spahn gut kennt. Von anderen kann man hören, dass Spahn die Chefin das auch hat wissen lassen. Er wollte schon vor vier Jahren Minister werden mit all der Freiheit, die so ein Amt bietet. Denn nur so kann die Marke Spahn als Hoffnungsträger der Konservativen fortbestehen, die von kleinen Sticheleien und begrenzten Unbotmäßigkeiten gegen die große Vorsitzende Merkel lebt.

Die Marke AKK hat das nie nötig gehabt, auch nicht, wenn sie anderer Ansicht war als Merkel. Sie hat in den Fällen schlicht ihre eigene Position vertreten. Wer sie kennt, rechnet fest damit, dass sie das auch künftig tut. Merkel kennt sie. Die CDU-Chefin spricht selbst die Gewichtsverlagerung an, die sich daraus ergibt, dass in ihrer Parteizentrale nicht mehr ein manchmal doch etwas überforderter Jungpolitiker agiert, sondern jemand mit Vorgeschichte, der „ein ganz anderes Gewicht“ in die Debatte einbringt.

Mitreden, nicht Prinzessin sein

Und was ist mit der Geschichte danach? Ob Kramp-Karrenbauer, fragt ein Fernsehmann, jetzt Merkels Kronprinzessin sei? „Ich hab’ mich noch nie für Prinzessinnenrollen geeignet, schon früher in der Fastnacht nicht“, gibt die Saarländerin zurück. Stimmt, im heimischen Karneval tritt sie seit Jahren regelmäßig als „Putzfrau Gretel aus dem Landtag“ auf die Bühne, in karierter Schürze und ebensolchem Kopftuch und mit frechen Sprüchen auf der Lippe.

Trotzdem steckt in ihrem Wechsel nach Berlin eine Ansage, genauer gesagt sogar zwei. Merkel markiert, in welche Richtung sie die CDU verorten möchte – nicht einseitig nach rechts, aber als Partei kenntlich. Kramp-Karrenbauer markiert den Anspruch, dabei ein gewichtiges Wort mitzureden. Vom Saarland aus ist das schwierig, zumal dann, wenn man kein Talkshow-Genie ist. Auch das hat sie vom Vorgänger Müller gelernt, der nie über die Grenzen hinweg ins „Reich“ vorstoßen konnte, wie die alten Saarländer die Restrepublik bis heute nennen.

Vom Adenauer-Haus aus ist der Vorstoß auch nicht einfach. Aber Merkel selbst hat ja seinerzeit vorgemacht, wie man aus der Generalsposition heraus eine Karriere starten kann; auch wenn sie das am Montag kurzzeitig vergisst. Kramp-Karrenbauer sei „die erste Frau in diesem Amt“, behauptet die Kanzlerin. Gekicher im Saal, jemand zeigt auf sie, da merkt sie’s: „Ach so – ich!“

Die FDP giftet offen los

Die erste Frau nicht, aber die erste Ministerpräsidentin. Dass so jemand den vergleichsweise gemütlichen Posten als Chefin eines zum Bundesland ernannten Landkreises gegen die Berliner Bühne tauscht und dabei keinerlei Gedanken an die Zeit nach Merkel verschwendet, darf man ausschließen. In der CDU formieren sich sachte die Bataillone. Kramp-Karrenbauer wird als Geheimtipp für die Nachfolge ohnehin schon länger gehandelt. Es gibt in der Partei durchaus Kräfte, die sie dabei unterstützen würden, und sei es nur um einen Durchmarsch der jungkonservativen Bewegung auszubremsen. Offensiv widersprochen hat sie selbst all den Spekulationen und Gerüchten nie.

Nicht jedem freilich gefällt diese Perspektive. Die interne Konkurrenz hält natürlich erst mal die Füße still. Dafür schießen sich die anderen Parteien ein. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zum Beispiel wünscht „ein glückliches Händchen in schwierigen Zeiten“. Scheuer ist ein Anhänger bürgerlich-konservativer Revolutionen. Er meint es möglicherweise sogar nett, kommt aber recht gönnerhaft daher. In München haben sie von der neuen Gewichtsverteilung also eher noch nichts mitbekommen.

Der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dagegen giftet schon offen los, bevor die Personalie überhaupt amtlich ist: Merkel regele da ihre Nachfolge nach dem Motto „Weiter so statt Erneuerung“. Taktisch gesehen liegt Christian Lindners Zweitlautsprecher damit voll auf der Linie seines Chefs, der immer noch einmal täglich erklärt, dass er aus Jamaika wegen Mangels an Erneuerung fortgelaufen sei und erst wiederkommen werde, wenn Merkel weg sei.

Vor einem Jahr hat sie Martin Schulz gestoppt

Aber die Schnellattacke bekommt schnell etwas von peinlicher Nachtreterei, wenn man sich daran erinnert, wie Kramp-Karrenbauer 2012 die erste Jamaika-Koalition der Republik abrupt beendete. Weil sie die chronisch zerzankte Saar-FDP leid war, schmiss die Ministerpräsidentin die Freidemokraten raus, und zwar genau an dem Tag, an dem die Bundes-FDP sich wie jedes Jahr zu Dreikönig in Stuttgart selbst feierte.

Merkel, die Stabilitätspolitikerin, fand das damals grundfalsch. AKK ließ sich nicht beirren, sprach mit der SPD unter Heiko Maas über eine große Koalition, ließ aber zwei Wochen später auch diese Sondierung platzen, weil die Sozialdemokraten sich nur auf ein Bündnis für ein Jahr einlassen wollten. Zwei Monate später ging die CDU als Überraschungssiegerin aus der Neuwahl hervor, und die SPD musste sich beugen.

Falls jemand darin Parallelen zur aktuellen Lage auf Bundesebene erkennt, liegt er richtig. Kramp-Karrenbauer hat damals vorgeführt, wie gewinnt, wer kühlen Herzens wagt. Vor einem Jahr hat sie Martin Schulz gestoppt, wieder mit wackeligen Umfragewerten vor der Wahl und einem klaren Vorsprung, als es darauf ankam. In Berlin haben alle etwas ungläubig geguckt an dem Wahlabend. Speziell die Sozialdemokraten konnten kaum fassen, dass ihr Hoffnungsträger an dieser unauffälligen kleinen Frau zerschellte, die auf bequemen Turnschuhen durch den Wahlkampf zog.

Sie weiß, wie groß der Sprung ist

Vielleicht hat diese Vorgeschichte auch eine kleine Rolle gespielt in Merkels Entscheidungsfindung. Man kann ja nicht ausschließen, dass auf die Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer in absehbarer Zeit statt einer Programmdebatte ein ausgewachsener Wahlkampf zukommt. Die SPD-Basis ist schließlich schwer berechenbar. Aber diese Perspektive hat die kleine Frau von der Saar auch nicht weiter abgeschreckt.

Wobei, sie weiß schon, wie groß der Sprung ist. Voriges Jahr im Karneval hat die „Putzfrau Gretel“ dem feixenden Publikum an der Saar den Vergleich selbst geliefert, im breitesten Dialekt, auf den Besen gestützt. „Des reschte Pförtnerhäussche im Reichstach, da passt unsere ganze Landtach rin“, berichtete die Bühnenfigur von einem angeblichen Ausflug in die Hauptstadt. Insofern ist es doch wieder ein Versuch. Aber die Voraussetzungen sind so schlecht nicht, dass der diesmal gelingt.

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