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Marie Jeschke (rechts) und Anja Langer werden bei der Umsetzung ihrer Geschäftsidee vom Career Center der UdK Berlin unterstützt.

© Jan Brockhaus

Kunst als Geschäftsidee: Malen mit Glas

Marie Jeschke und Anja Langer arbeiten mit ungewöhnlichem Material und haben damit den Schritt in die Selbständigkeit gewagt.

Marie Jeschke bugsiert eine 15 Kilogramm schwere Fliese mit einer Sackkarre durch den engen, mit Holzlatten vollgestellten Korridor, der in ihr Atelier in Berlin-Lichtenberg führt. Dort lehnt sie die Fliese, dessen grauer Beton durch mehrere Glaselemente in orange, blau und grün unterbrochen wird, neben andere Fliesen an eine Wand. Die Farbtöne des Betons unterscheiden sich von Fliese zu Fliese, genauso wie die Anzahl und Farben der eingelassenen Glassegmente.

„BasisRho“ heißt das Material aus Beton und Glas, die Fliese heißt „BasisRho Element“. „BasisRho“ ist Baustoff und Kunst zugleich. Marie Jeschke und Anja Langer, gemeinsam nennen sie sich Jeschkelanger, fertigen daraus verschiedene Objekte für Wände und Fußböden von Gebäuden oder für Ausstellungen in Galerien und Museen. Die Künstlerinnen haben eine Firma gegründet – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) – und werden als Unternehmerinnen mit Mentoringprogrammen und Fortbildungen zu Steuern und Businessplänen vom Career & Transfer Service Center (CTC) der UdK Berlin unterstützt. Gleichzeitig erhalten sie seit Januar 2019 das Creative-Prototyping-Stipendium des CTC und konnten seitdem ihre Nebenjobs aufgeben. Nun haben sie Zeit, Aufträge zu akquirieren und nach Investoren zu suchen.

Das Duo Jeschkelanger gibt es seit Dezember 2017. Nach ihren Abschlüssen – Jeschke studierte an der Fakultät Bildende Kunst der UdK Berlin, Langer Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden – teilten sich die beiden Frauen ein Atelier, als die Kuratorin Marie DuPasquier sie besuchte und eine gemeinsame Ausstellung der beiden anregte. Für die Schau fertigten sie einen Glastisch, den sie mit verschiedenen Materialien wie Silikon, Keramik und Tinte bemalt hatten. Um den Tisch versammelten sich die Besucher der Eröffnung zu einem gemeinsamen Essen. Mit dem Möbel schufen sie eine „contact zone“, wie sie sagen.

Die Ideen anderer Künstler leben in ihrem Material weiter

In ihrem ersten Werk kulminiert die Idee von Jeschkelanger, die sie bis heute weiterführen: die kollektive Praxis. Der Austausch mit anderen gehört für die beiden zum Schaffensprozess dazu: eine E-Mail schreiben, von Experten etwas über Glas und Beton lernen, die Kooperation mit einem Betonwerk und vor allem die Verbindung mit anderen Kreativen. Die Arbeiten anderer Künstler tauchen in den „BasisRho“-Produkten als Glassteine auf, die Abfälle von Kunstwerken sind. Die Glashütte Lamberts aus Waldsassen, ein Ort in der Oberpfalz nahe der tschechischen Grenze, liefert die Glasreste in das Berliner Atelier. Lamberts produziert mundgeblasenes Flachglas für Kunstwerke – häufig Kirchenglasfenster – von namhaften Künstlern wie Gerhard Richter, für Neubauten von Flughafengebäuden, Bahnhöfen und Privathäusern. „In unserem Material lebt die Idee der anderen Künstler weiter, wird von uns defragmentiert und zu neuen Bildern gestaltet“, sagt Jeschke. Malerei nennen die beiden Mittdreißigerinnen das Gestalten von neuen „BasisRho“-Elementen. „Unsere Hände sind die Pinsel und wir malen mit den Steinen, die wir uns vorher zurechtgelegt haben, das Bild“, erklärt Jeschke.

Auf dem weißen Holzfußboden in ihrem Atelier haben sie mit Kreppband ein Gitter aufgeklebt, das 50 mal 50 Zentimeter große Quadrate ergibt, die Größe der Fliesen. Die Glaselemente, die in verschiedenen Farben und unterschiedlichen Größen – manche so groß wie Melonen – aus Süddeutschland geliefert werden, sortieren Jeschke und Langer in ihrem Atelier, mit einer Säge können sie die Glasklumpen auch zuschneiden. Wenn sie malen, legen sie die vorbereiteten Glaskörper auf die Quadrate und gestalten das Bild, dann geben sie das Glas zusammen mit einem Foto des Bildes an ein Betonwerk, wo das Baumaterial anschließend hergestellt wird. Der flüssige Beton wird dort um die Glaskörper herumgegossen. Wenn das Material trocken ist, wird die Oberfläche abgeschliffen, damit sich niemand an Glaskanten schneiden kann.

Sie fühlen sich gestärkt, können sich als Kreative mehr zeigen

Ein Quadratmeter Fliesen kostet im Moment etwa 1000 Euro, jedes Bild ist einzigartig. Jeschke und Langer überlegen, einen Prototypen in Serie produzieren zu lassen; dies würde den Quadratmeterpreis senken und die Künstlerinnen könnten sich auf die Produktion kleiner Serien und Unikate konzentrieren.

Dass sie den Weg zum Unternehmertum genommen haben, wurde von manchen in ihrem Umfeld kritisch beäugt. Die Idee, als Künstlerinnen auch Entrepreneur sein zu können, sei noch nicht weit verbreitet, sagen sie. „Eigentlich“, sagt Langer, „ist man als Künstlerin immer schon Unternehmerin, ist aber selbst blind dafür erzogen worden.“

Die Firmengründung hat Jeschke und Langer neue Potenziale als Künstlerinnen eröffnet. Sie fühlen sich gestärkt, können sich als Kreative mehr zeigen. Sie haben nun auch die Möglichkeit, mit Geschäftspartnern und Rechtsanwälten ins Gespräch zu kommen, um auszuloten, welche Rechtsformen und Vertragsgrundlagen für Künstler notwendig sind. Ihr Unternehmen unterscheidet sich schließlich von einem Start-up, das Apps entwickelt. Sie würden gern eine neue Unternehmensform entwickeln, die dann vielleicht auch rechtlich Beachtung finden könnte. Auch hier setzen sie wieder ganz auf die kollektive Praxis.

Moritz Hartmann

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