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Fuchs

© Sophia Kimmig

Grüner Campus an der Freien Universität: 1163 Arten zu leben

Das „Living Lab Multispecies Campus“ fördert urbane Artenvielfalt und erforscht deren Auswirkung auf das Wohlbefinden von Menschen.

Von Marion Kuka

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Wussten Sie, dass die Freie Universität vermutlich die erste Universität mit einem eigenen Natur-Ranger ist? Leon von Salisch hat diese Aufgabe 2024 übernommen: Er baut Igeltunnel, kümmert sich um Nisthilfen für Vögel, zieht seltene heimische Wildpflanzen an und pflanzt sie aus.

Einen großen Teil seiner Zeit nimmt die Koordination der vielen Ehrenamtlichen in Anspruch, ohne die das alles nicht möglich wäre, darunter Schülerinnen und Schüler der Mühlenau-Grundschule sowie Studierende und Beschäftigte der Freien Universität.

Sein Vertrag über einen Arbeitstag pro Woche gehört zum Projekt „Living Lab Multispecies Campus“, das von der Stadtökologin und Professorin am Institut für Biologie Tanja Straka und dem Bibliotheksbeschäftigten Jonas Schramm geleitet wird.

Auch Sophia Kimmig, Florian Ruland, Janet Wagner, Luiza Olos, Jan Keller, Sophie Lokatis, Rebecca Rongstock und die neuen Mitglieder Zeno Porro und Clara Schwedler, die alle mit anderen Aufgaben an der Freien Universität tätig sind, engagieren sich im Living Lab, das an die Initiative „Blühender Campus“ anknüpft. Ihr Ziel: einen Campus zu schaffen, der nichtmenschliche Lebewesen aktiv berücksichtigt und eine positive Mensch-Natur-Beziehung fördert.

Für das Anzuchtprogramm hat Leon von Salisch gemeinsam mit Ehrenamtlichen Pflanzen in Töpfen angezogen und inzwischen 100 Sträucher gepflanzt, darunter 50 Rosmarinweiden aus dem Botanischen Garten, eine hier bedrohte Art. Solche gebietsheimischen Gehölze fehlten bisher auf dem Campus, sind jedoch wichtig, um den für Vielfalt notwendigen Strukturreichtum zu schaffen.

Die Blühflächen des Blühenden Campus allein reichen nicht aus, um vielen verschiedenen Arten gute Lebensbedingungen zu bieten. Im Garten des Weiterbildungszentrums in der Otto-von-Simson-Straße hat der Campus-Ranger gemeinsam mit den dortigen Beschäftigten die Blühflächen mit Totholzstrukturen ergänzt und einen Teich in der Größe einer Pfütze angelegt.

Mit solchen zeitweise austrocknenden Mini-Gewässern will er Binsenjungfern fördern, eine in Berlin bedrohte Libellengattung. Gemeinsam mit der Technischen Abteilung der Freien Universität und Naturschutzbehörden werden in nächster Zeit zudem weitere Nistkästen für Turmfalken installiert.

Ranger sammelt Daten

Auf seinen Streifzügen sammelt Leon von Salisch auch Daten, um die vorhandenen Arten zu erfassen und ihre Verbreitung im Laufe der Zeit zu dokumentieren – eine unerlässliche Grundlage, um Erfolge wie das Auftauchen neuer Arten oder die Zunahme der Individuenzahlen überhaupt nachweisen zu können.

Rebecca Rongstock, Projektmanagerin für Biodiversität bei der Stabsstelle Nachhaltigkeit und Energie der Freien Universität und Koordinatorin der Initiative Blühender Campus, berichtet, dass immer noch große Datenlücken bestehen: „Seit 2020 erfassen wir systematisch die Tagfalter auf unseren Flächen, doch wirklich belastbare Aussagen können wir erst nach einem Jahrzehnt treffen, da sich die Populationen nur allmählich entwickeln und starken Schwankungen unterliegen.“

Um Datenlücken zu schließen, haben Ehrenamtliche im Sommer viele Stunden damit verbracht, Pflanzen auf Flächen der Universität zu kartieren. Ein Kartierungsbüro erstellt daraus eine sogenannte Biotoptypen-Kartierung, die typische Lebensräume für Tiere, Pflanzen und Pilze auf dem Campus ausweist, erklärt Rebecca Rongstock.

Workshop am 17. März

Alle Daten gehen anschließend an das Studio für Animal Aided Design, das Konzepte entwickelt, um den Lebensraum von Wildtieren in Architektur und Landschaftsplanung zu integrieren. Das Studio arbeitet mit Zielarten, die als „Botschafter“ für bestimmte Lebensräume stehen, wie etwa Libellen für Gewässer.

Das abstrakte Ziel – Steigerung der Biodiversität – wird dadurch greifbar. Das Studio stellt eine Liste geeigneter Zielarten zusammen, die finale Auswahl treffen die Mitglieder des Living Lab jedoch gemeinsam mit Nachbarn und Mitgliedern der Universität auf einem Workshop am 17. März.

„Bisher haben wir uns darauf konzentriert, ob unsere Zielarten eine ökologische Nische repräsentieren oder akut bedroht sind“, sagt Rebecca Rongstock. „Wir wollen herausfinden, welche Tiere und Pflanzen echte Anhänger haben und welche möglicherweise unerwünscht sind, wie etwa Wespen oder Wildschweine.

Danach können wir einen detaillierten Plan vorlegen, wie der Campus in Hinblick auf die Lebensraumansprüche der Zielarten gestaltet werden sollte – unser Fahrplan für maximale Biodiversität.“ Manchmal sei eine Entscheidung unumgänglich, ergänzt Tanja Straka, die selbst Fledermausexpertin ist: „In einen Kirchturm, in dem Turmfalken nisten, wird keine Fledermaus einziehen.“

Die Akzeptanz und Sichtbarkeit von Biodiversität sind das zentrale Anliegen von Janet Wagner, Florian Ruland, Jonas Schramm und Sophia Kimmich. Dafür nutzen sie vor allem Kunst. Bereits der Start des Living Lab wurde durch eine Kunstaktion markiert – ein Fensterbild gegen Vogelschlag mit Wildbienen-Motiven, gestaltet von Lea Ebeling. Für eine groß angelegte Ausstellung mit begleitenden Aktionen im Sommer 2025 hat das Team Künstlerinnen und Künstler eingeladen, ihre Vorschläge einzureichen.

Persönlich interessiert sich Janet Wagner besonders für Nebelkrähen. Auch deshalb möchte sie eine Vorführung des „Crow Cinema“ von Lilli Kuschel auf dem Campus organisieren. Die Künstlerin produziert Filme mit und für Krähen, die sowohl für Menschen als auch für die Vögel unter freiem Himmel gezeigt werden. Dabei stellt sie die Frage, was die Tiere empfinden, wenn sie ihre gefilmten Artgenossen sehen. „Wir haben viele Nebelkrähen auf dem Campus, weil wir nicht flächendeckend wildtiersichere Mülleimer haben“, erklärt Janet Wagner.

Biodiversität und Wohlbefinden

Mit dem Crow Cinema möchte sie das Bewusstsein dafür schärfen, dass Verpackungsreste oft in den Mägen der Tiere landen, da diese im Müll nach Nahrung suchen. Wie sich Biodiversität auf die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden von Studierenden und Beschäftigten auswirkt, erforschen Jan Keller, Luiza Olos und Tanja Straka mit einer eigenen Studie. Die Annahme dahinter: Der Kontakt mit Biodiversität hilft Menschen dabei, Ressourcen zu entwickeln, um etwa besser mit Stress umzugehen.

Beeinflusst wird das auch von Normvorstellungen, Alter, Geschlecht und Bildungsgrad. „Die Winterstudie läuft bereits mit rund 100 freiwilligen Teilnehmenden“, berichtet Jan Keller, Postdoc im Arbeitsbereich Gesundheitspsychologie der Freien Universität. Um die fruchtbare Vernetzung von Forschung und Praxis fortzusetzen, sollen nun auch Fördermittel eingeworben werden. Vielleicht gelingt es damit, den Natur-Ranger Leon von Salisch dauerhaft zu beschäftigen, damit er Gräser und Gehölze, Libellen, Igel, Falken und Wildbienen auf dem Campus weiter im Blick behalten kann.

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