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An der TU Berlin wurde ein Adventskalender mit Rätselaufgaben zur Regelungstechnik erstellt

© FG Regelungstechnik

Moderne Lehre an der TU Berlin: „Später im Job gibt es auch keine Musterlösungen“

Die Professorinnen Steffi Knorn und Christina Völlmecke sprechen im Interview über Diversität und unkonventionelle Lehrmethoden in technischen Studiengängen.

Von Wolfgang Richter

Stand:

Frau Knorn, Sie haben für Student:innen einen Regelungstechnik-Adventskalender mit Rätselaufgaben erstellt. Man konnte unter anderem ein von Ihnen selbst gestricktes Topflappenset in TU-Rot gewinnen…
Knorn: Das war aber nicht der Hauptgewinn! Der bestand darin, den Regelungstechnik-Escape-Room des Fachgebiets spielen zu dürfen.

Adventskalender, Escape-Room… Brauchen Ihre Student:innen so viel Motivierung, damit sie mal anfangen zu lernen?
Knorn: Tatsächlich besteht meine tägliche Arbeit als Regelungstechnikerin darin, Rätsel zu lösen. Wir suchen mathematische Methoden, wie man aus den Eingängen in ein System, etwa Chemikalien oder Energie, auf die Ausgänge schließen kann. Dabei stellen wir verblüffende Ähnlichkeiten fest, wie Dinge funktionieren, egal ob es sich um Autos, Chemieanlagen oder Stromnetze handelt. Aber Sie haben recht, die Mathematik dafür ist abstrakt, und zu allem Abstrakten muss man Menschen oft erst einmal motivieren.

Völlmecke: Ich finde, es ist ein falscher Anspruch, dass sich Student:innen durch vermeintlich trockenen Stoff „durchbeißen“ sollen – Lernen mit Spaß ist viel menschenfreundlicher. Später im Job gibt es schließlich auch keine Musterlösungen, die man auswendig lernen kann. Also ist es eine gute Vorbereitung, mit dem Rätsellösen gleich im Studium anzufangen.

Auch Sie haben ja einen Escape-Room entwickelt, Frau Völlmecke, zum Thema Mechanik.
Völlmecke: Gerade ein Escape-Room ist ideal dazu geeignet, Interesse zu wecken. Das Rätsel-
lösen wird dabei mit einer Geschichte verbunden, über die man weitere Informationen transportieren kann, bei uns zum Beispiel zu Wissenschaftler:innen aus der Technikgeschichte.

Was sind Ihre Zielgruppen außer den Studierenden?
Knorn: Vor allem solche, die es werden könnten. Es gibt einen deutlichen Rückgang bei den Studierendenzahlen in technischen Fächern. Für die Gesellschaft bedeutet das, dass in den nächsten Jahren ein noch größerer Fachkräftemangel auf uns zukommt. Ich veranstalte deshalb auch Workshops für Mädchen, wo es um das Programmieren von Robotern geht.

Völlmecke: Meine Forschung dreht sich um 3D-Druck und Strukturstabilität. Wir optimieren etwa den Leichtbau und sparen so Gewicht und letztlich CO₂. Zusammen mit Biotechnolog:innen arbeiten wir an ökologischen Baumaterialien, die aus Pilzen gezüchtet werden. All das vermittle ich auch an Schüler:innen. Gerade hatten wir eine Willkommensklasse bei uns.

Manche Lösungen für Probleme werden einfach nicht erfunden, weil weiße, männliche Ingenieure diese Probleme nicht haben.

Christina Völlmecke, TU Berlin

Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund sind ja unterrepräsentiert in den Technikwissenschaften. Ein Reservoir, um den Mangel an Ingenieur:innen zu beheben?
Knorn: Auf jeden Fall, aber das ist nur ein Grund für unsere Bemühungen. Je diverser eine Gruppe von Menschen ist, desto unterschiedlichere Ideen werden aus ihr hervorgehen. Damit wird die Wahrscheinlichkeit größer, komplexe Probleme zu lösen. Außerdem ist es einfach sehr schade, dass es vielen Menschen versagt bleibt, eine so tolle Arbeit wie die von Ingenieur:innen zu machen!

Völlmecke: Und es gibt noch ein Argument. Manche Lösungen für Probleme werden nämlich einfach nicht erfunden, weil weiße, männliche Ingenieure diese Probleme nicht haben. Im „Engineering for Equity Think Tank“ der TU Berlin, den wir beide zusammen mit der TU-Professorin Stefanie Marker gegründet haben, arbeiten wir mit Student:innen beispielsweise an technischen Lösungen für die Frauenheilkunde, an die bisher keine:r gedacht hat.

Beeinflussen Ihre unkonventionellen Methoden auch Ihre anderen Seminare?
Völlmecke: Auf jeden Fall. Wie gesagt: Es gibt bei uns selten Musterlösungen, sondern die Methoden stehen im Vordergrund. Es geht darum, im geschützten Rahmen auch Fehler machen zu können.

Hört sich ziemlich traumhaft an.
Knorn: Für die meisten ja. Einige Studenten aber leisten massiv Widerstand. Da muss man sich als Professorin sagen lassen, dass man es als Frau halt nicht besser weiß.

Dabei hat eine Studie der TU-Professorin und Transferwissenschaftlerin Martina Schraudner gerade festgestellt, dass Forscher:innen, die gut vermitteln können, auch gut in der Wissenschaft sind.
Völlmecke: Dann hängen Sie das mal an die große Glocke! Tatsächlich nutzt solches Engagement in Deutschland etwa in Berufungsverhandlungen leider nur sehr wenig. In Ländern wie England, Kanada oder Australien scheint man hier schon viel weiter zu sein.

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