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Pharmazieforschung an der Freien Universität: Von uralten Heilpflanzen und moderner Wissenschaft
Ein deutsch-brasilianisches Projekt untersucht endemische Heilpflanzen auf ihre Wirksamkeit und lotet aus, ob sie als Medikamente dienen können.
Stand:
In jeder Kultur gibt es überliefertes Wissen über die Wirkung lokaler Pflanzen. Typisches Beispiel ist die Verwendung von Weidenrindenextrakt bereits in der Antike. Heute weiß man, dass die fiebersenkende und schmerzlindernde Wirkung auf die darin enthaltenen Salicylalkohole zurückgeht. Eine Art natürliches Aspirin also.
In der Mitte Brasiliens, im Bundesstaat Goiás, betreiben 320 Familien gemeinsam auf 13.000 Hektar nachhaltige Landwirtschaft. Unter ihnen ist eine Gruppe von Frauen – Guerreiras de Canudos, die „Kriegerinnen von Canudos“. Sie nutzen altes Wissen zum Anbau von Heil- und Aromapflanzen, aus denen Pflanzenkosmetik herstellt wird.
Auf Märkten in der Umgebung werden entsprechende Zubereitungen wie ätherische Öle verkauft. Über die anti-inflammatorische Wirksamkeit der Inhaltsstoffe war bisher wenig bekannt, da die Pflanzen größtenteils endemisch sind, also nur in dieser Region vorkommen.
Pharmazeuten um Professor Alexander Weng von der Freien Universität Berlin haben in den vergangenen drei Jahren fünf dieser Pflanzen eingehend untersucht. Beteiligt waren Forschende der Bergischen Universität Wuppertal, der Bundesuniversitäten von Goiás und São Paulo sowie des brasilianischen Herstellers Livealoe Cosméticos.
Proben aus Brasilien in Berlin
Kein leichtes Unterfangen, wie sich bald herausstellte, allein wegen der Sprachbarrieren und vor allem bürokratischer Hürden. Denn im zentral gelegenen Goiás kamen die Forschenden mit ihrem Englisch weder bei den Behörden noch auf dem Land weit. Wie gut, dass sich ein Verbindungsbüro der Freien Universität in São Paulo befindet. Geleitet wird es seit fünf Jahren von Christian Lazar.
„Anlässlich eines Austauschsemesters während meines Masterstudiums am Lateinamerika-Institut der Freien Universität kam ich nach Rio de Janeiro – und wollte bald nicht mehr weg“, erzählt Christian Lazar. Er stand den Forschenden und ihren Partnern bei den komplexen Genehmigungsverfahren und juristischen Fragen zur Seite. Mit fließendem Portugiesisch öffnete er Türen und half, die kulturellen Hürden zu überwinden.
Trotzdem dauerte es fast eineinhalb Jahre, bis die ersten Proben aus Brasilien im Labor in Berlin eintrafen. Unzählige Unterschriften mussten eingeholt werden, um sicherzustellen, dass das Projekt konform mit dem Nagoya-Protokoll abläuft. Dieses internationale Umweltabkommen soll verhindern, dass westliche Industriestaaten die genetischen Ressourcen und die biologische Vielfalt anderer Länder ausbeuten und gewährleisten, diese an den Forschungsergebnissen gerecht zu beteiligen.
Das Verfahren war allerdings kompliziert, und so flogen die Berliner Forschenden selbst nach Brasilien und holten die notwendigen Dokumente samt Proben ab.
Gemeinsam mit den brasilianischen Kollegen hatten die Pharmazeuten zunächst die vielversprechendsten Arzneipflanzen ausgewählt, die dann von den „Kriegerinnen“ angebaut worden waren. An den Bundesuniversitäten wurden aus ihnen Extrakte hergestellt, die anschließend in Berlin an Zellmodellen untersucht wurden.
„Wir haben dabei einzelne Präparationen gefunden, die antientzündlich wirken, was Livealoe Cosméticos nun nutzen kann, um aus diesen Pflanzen pharmakologisch wirksame Phytokosmetika herzustellen“, erläutert Alexander Weng.
Keime bekämpfen
Besonders Extrakte von zwei Pflanzen erwiesen sich als vielversprechend: Lippia origanoides, auch bekannt als „Alecrim-Pimenta“, eine Oreganoart. „Ihr ätherisches Öl enthält unter anderem die antimikrobiell wirksamen Terpene Carvacrol und Thymol. Sie hemmen das Wachstum der Keime Enterococcus faecium, Klebsiella pneumoniae und Staphylococcus aureus“, erklärt Phillip Gabor, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Pharmazeutischen Biologie der Freien Universität.
Es sind drei typische Krankenhauskeime, die zunehmend resistent gegen Antibiotika werden. Noch in der näheren Untersuchung sei der Korbblütler Baccharis crispa. „Er enthält neben verschiedenen Flavonoiden auch spezielle Diterpene, denen diverse biologische Aktivitäten zugeschrieben werden.“
Projekt hilft auch Frauen-Kooperative
Gefördert wurde das Projekt übrigens nicht vom Bundesforschungsministerium, sondern vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, da es dabei um Bioökonomie und nachwachsende Rohstoffe ging. So sollte nicht allein die pharmazeutische Forschung unterstützt werden, sondern auch die Entwicklung des ländlichen Raums Brasiliens.
Die Teilnahme am Projekt hilft indirekt auch der Frauen-Kooperative: Weil sich die Nachfrage nach ihren Produkten erhöht, können sie nun weit mehr Pflanzen anbauen – was wiederum die Familieneinkommen steigert. „Außerdem ist es für sie wichtig, dass die Landlosenbewegung über Brasilien hinaus bekannt wird“, betont Alexander Weng.
Ich war in der größten Schlangenkollektion des Landes, in der ein unglaublicher Schatz an biologisch aktiven Substanzen lagert.
Alexander Weng, Professor für pharmazeutische Biologie an der Freien Universität Berlin
Es handelt sich um eine der größten sozialen Bewegungen des Landes, die 1984 gegründet wurde. Sie ging aus den Kämpfen bäuerlicher Organisationen hervor, die schon seit Beginn der Militärdiktatur 1964 bestehen. Noch immer sind 45 Prozent des Ackerlandes in Brasilien im Besitz von nur einem Prozent der Landbevölkerung.
Mit Sojabohnenanbau in riesigen Monokulturen sowie großflächiger Entwaldung für die Rinderzucht profitieren die Großgrundbesitzer überproportional von den Exporterträgen – wobei sie Umwelt und Biodiversität massiv schädigen. Die Landlosenbewegung setzt sich für Agrarreformen ein, einen nachhaltigen Strukturwandel sowie für eine solidarische, gerechte Gesellschaft. Inzwischen ist sie übrigens der größte Reishersteller Brasiliens.
Nach dem Abschlusssymposium, das im Sommer in Wuppertal stattfand, verbuchen die Pharmazeuten der Freien Universität nicht allein einen fachlichen Wissenszuwachs. Sie haben auch einiges über die Bürokratie in Südamerika gelernt. Gute Voraussetzungen also für mögliche Folgeprojekte, denn Brasiliens Flora und Fauna hat der Pharmazie einiges zu bieten.
„Ich war in der größten Schlangenkollektion des Landes, in der ein unglaublicher Schatz an biologisch aktiven Substanzen lagert“, erzählt Alexander Weng. Primär interessieren ihn aber Pflanzen, zum Beispiel Baru, eine noch unkultivierte, wilde Nussbaumart. Dem erdnussartig schmeckenden Kern werden volkstümlich unterschiedliche Effekte zugesprochen, etwa eine stressregulierende Wirkung. Eine wissenschaftliche Untersuchung steht noch aus. An Projektideen mangelt es also nicht.
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