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Pioniere der transdisziplinären Kooperation: „Normen können hochpolitisch sein“
Normierung gilt als trockene Materie. Der Initiator des „Deutschen Normungspanels“ berichtet aus seiner internationalen Arbeit – und die ist spannender, als man denkt.
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Es wäre eine perfekte technologische Einfallstür für einen Überwachungsstaat gewesen. „Normen gelten als trockene Materie, sie können aber auch hochpolitisch sein“, sagt Knut Blind, der Leiter des Fachgebiets Innovationsökonomie an der TU Berlin. Und der Ökonom führt einen Fall bei der Internationalen Fernmeldeunion ITU an. An deren Beratungen nehmen Vertreter aus fast 200 Ländern teil.
„China hatte hier bei der Standardisierung des Internetprotokolls Spezifikationen vorgeschlagen, die die Netzneutralität, also die diskriminierungsfreie Nutzung des Internets, gefährdet hätten.“ Dass dies nicht gelang, sei nur der Aufmerksamkeit des zuständigen Normungsausschusses zu verdanken. In der Folge wurde auch ein Komitee beim Europäischen Institut für Telekommunikationsstandards ETSI wegen der Dominanz Chinas aufgelöst.
Knut Blind leitet das Geschäftsfeld Innovation und Regulation am Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung und hat das Deutsche Normungspanel initiiert, das unter der Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministeriums jährlich Unternehmen zum Thema Standardisierung befragt. Ein Ergebnis seiner Forschungen: In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs tragen Normen zu etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei. Im Jahr 2024 entspräche dies einem Betrag von etwa 43 Milliarden Euro.
Dass man das eigene Technologieprofil in die Entwicklung von Standards einbringen kann, ist der naheliegende Vorteil für ein Land oder Unternehmen, an internationalen Normungsverfahren teilzunehmen. Knut Blind führt noch zwei weitere Pluspunkte an: „Zum einen findet durch Standardisierung auch richtiger Wissenstransfer statt, der zum Beispiel weniger entwickelten Ländern, aber auch kleinen und mittleren Unternehmen ohne Forschungsabteilung weiterhelfen kann.“
Man bekommt mit, was die Konkurrenz vorhat.
Knut Blind, Leiter des Fachgebiets Innovationsökonomie an der TU Berlin
Auch daher sei die Teilnahme an diesen Prozessen für Firmen äußerst aufschlussreich. „Man bekommt mit, was die Konkurrenz vorhat, und bleibt über die aktuellsten technologischen Entwicklungen sowie Anforderungen von Kunden auf dem Laufenden, was einen immensen Zeitvorteil bedeutet.“
Bisher kaum beachtet worden sei ein dritter Aspekt, sagt Blind. „Normungsverfahren waren schon transdisziplinäre Veranstaltungen, als es das Wort noch gar nicht gab. Hier kommen Vertreter von Ministerien, Normungsorganisationen und Regulierungsbehörden mit Fachleuten aus Industrie und Wissenschaft sowie Kunden aus Wirtschaft und Verwaltung zusammen. Neuerdings auch mit Leuten aus NGOs, denn die internationale Standardisierungsorganisation ISO hat beschlossen, sämtliche Normen an den Entwicklungszielen der UN auszurichten.“
So etwa eine Norm zum Bau von Deichen, die jetzt genau vermittelt, wie man gute Deiche baut und damit den Folgen des Klimawandels begegnet. An der TU Berlin sorgt die deutschlandweit einmalige Vorlesungsreihe „Strategische Normung“ seit fast 20 Jahren dafür, dass möglichst viele Studierende von all diesen Vorteilen wissen. Zudem leitet Knut Blind das EU-Projekt „EDU4Standards“, in dem sich 17 Institutionen zusammengeschlossen haben, um die Lehre in diesem Bereich zu verbessern.
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