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Spulwürmer verbreiten sich auf Höfen in Deutschland; deren Eier bleiben viele Jahre im Boden.

© Picture Alliance/Wavebreak Media

Seuchen in der Tierhaltung: Freie Universität forscht zu Spulwürmern

Das neue DFG-Graduiertenkolleg „One Health-Ansatz für bodenübertragene Helminthen“ erweitert die Ausbildung künftiger Infektiologen.

Von Catarina Pietschmann

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Auch wenn sie italienischer Pasta ähnlich sehen: Ascariden, auch Spulwürmer genannt, hellgelb und ausgewachsen bis zu 30 Zentimetern lang, sind wirklich kein Thema fürs Tischgespräch. Je nach Spezies befallen sie unterschiedliche Wirbeltiere – darunter Hühner, Schweine und vor allem den Menschen.

„Weltweit sind derzeit rund 900 Millionen Menschen mit diesen Darmwürmern infiziert“, sagt Susanne Hartmann, Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie an der Freien Universität Berlin. „Man steckt sich überwiegend in Weltregionen mit schlechten sanitären Anlagen und ohne fließendem Wasser an.“ Doch inzwischen machen sich die Parasiten auch hierzulande breit – vermehrt auf Biohöfen, also dort, wo Tiere artgerecht, mit kleinem Auslauf, gehalten werden.

Hunderttausende Wurmeier

In den vergangenen Jahren zeigten Studien, dass 80 Prozent der untersuchten biologischen Tierhaltungen und nahezu 90 Prozent der Hühnerzuchten mit Ascariden durchseucht sind. Kein Wunder, denn ein ausgewachsener weiblicher Wurm, der zum Beispiel im Darm eines Schweins lebt, produziert Hunderttausende von Wurmeiern – am Tag! Mit dem Kot gelangen sie in den Boden, wo sich in den Eiern infektionsfähige, winzige Larven entwickeln.

Zehn bis zwölf Jahre bleiben diese Wurmeier mit den Larven im Boden infektiös und akkumulieren so. Dass früher Hühner durch Käfighaltung und Schweine durch unbequemes Stehen und wenig artgerechte Haltung auf Spaltenböden kaum Kontakt mit dem eigenen Kot hatten und so vor Wurminfektionen recht gut geschützt waren, entbehrt nicht einer gewissen Tragik.

Manche Spezies, wie Ascaris suum im Schwein sind eine Zoonose und können somit auf den Menschen übergehen, sodass sich auch Kinder beim Spielen auf dem Hof oder die Landwirte infizieren können. Den „guten Biomist“ zwecks Düngung im eigenen Garten zu verteilen, ist deshalb keine gute Idee. Auch in gerade auf dem Biohof geerntete, noch ungewaschene Möhren sollte man nicht beißen. Der Hühnerwurm Ascaridia galli kann hingegen nicht auf Menschen übergehen.

An der Freien Universität konzentrieren wir uns auf die Infektionen in den Nutztieren Huhn und Schwein – von der Geburt bis zur Schlachtung – sowie auf die Umwelt und die Ökonomie

Susanne Hartmann, Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie an der Freien Universität Berlin

Mensch, Tier, Umwelt – selten ist der One-Health-Zusammenhang so offensichtlich wie bei diesen Infektionen mit boden-übertragenen Spulwürmern, die unter dem Oberbegriff Helminthen zusammengefasst werden. Kürzlich bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft den Antrag für das Graduiertenkolleg „One-Health-Ansatz für bodenübertragene Helminthen“.

Damit wird auch der Forschungsschwerpunkt „Global Health“ innerhalb des Exzellenzverbundes der Berlin University Alliance gestärkt. Im Rahmen des Promotionsprogramms werden künftig Veterinäre, Biologen, Gesundheitssystemforscher und Ökonomen in Deutschland und in drei Einrichtungen der Medial-Research-Institute in Kenia forschen.

„An der Freien Universität konzentrieren wir uns auf die Infektionen in den Nutztieren Huhn und Schwein – von der Geburt bis zur Schlachtung – sowie auf die Umwelt und die Ökonomie“, erklärt Susanne Hartmann, Professorin für Infektionsimmunologie und Sprecherin des Graduiertenkollegs.

Würmer: Gefahr für Mensch und Tier

„Es werden ökologische Schweine- und Hühnerfarmen im Vergleich zu Standardhaltungen untersucht sowie der Einfluss auf Wildtiere, außerdem experimentelle Infektionen im Labor und Modellierungen durchgeführt. Denn auf einem infizierten Hühnerhof pickt vielleicht auch mal ein Wildvogel.

In Kooperation mit kenianischen Medical-Research-Instituten steht der Mensch im Fokus – von der Geburt bis zum Kleinkind von fünf Jahren. Es geht um die gesundheitlichen Auswirkungen von Ascariden-Infektionen im frühen Lebensalter. Aus den Vergleichen zwischen den tierischen und menschlichen Infektionen wollen die Forschenden lernen.

Sie werden die Immunantworten infizierter Wirte ebenso wie den Stoffwechsel der Ascariden analysieren und untersuchen, welche Interaktionen sich zwischen den Darm-Würmern und dem Darm-Mikrobiom infizierter Wirte im Laufe der Evolution etabliert haben.

„Wir wissen, dass die Würmer ihre bakterielle Umgebung verändern und dort Mikroben leben, die für sie nützliche Substanzen erzeugen“, erklärt Susanne Hartmann. Über die Speziesgrenzen hinweg will man bei Mensch, Schwein und Huhn herausfinden, welche Bakterien für die Würmer auf welche Weise nützlich sind und ob es über die Speziesgrenzen hinweg die gleichen Mikroben sind.

Mittels mathematischer Modellierung soll erforscht werden, inwieweit sich der Klimawandel auf die Verbreitung der Infektionen auswirken könnte, und wie Biohöfe das „Wild Life“ in ihrer Umgebung beeinflussen. „Studien in Ungarn haben gezeigt, dass in dortigen Naturparks bereits 50 Prozent der Tiere infiziert sind. Wir möchten wissen, ob Wildschweine in der Berliner Umgebung ebenso betroffen sind wie die Mastschweine“, sagt Susanne Hartmann. Analysen von Bodenproben ergänzen die theoretischen Arbeiten.

Wurminfektionen beim Menschen wie beim Tier können mit Anthelmintika gut behandelt werden. Die Medikamente schützen allerdings nicht vor erneuter Besiedelung. In afrikanischen Schulen werden die Kinder deshalb möglichst halbjährlich behandelt.

Dass es noch keine Impfung gegen Ascariden gibt, liegt vor allem am komplexen Lebenszyklus der Würmer, die eine ausgedehnte Körperwanderung durchmachen: Über den Mund gelangen die jungen Larven zunächst in den Dünndarm. Von dort aus wandern sie über die Leber in die Lunge und kommen als große Larven zurück in den Darm, wo sie zu adulten Würmern heranwachsen. Die Weibchen überschwemmen den Darm dann permanent mit ihren Eiern, die über den Kot ausgeschieden werden.

Die ökonomische Auswirkung der chronischen Morbidität ist für die betroffene Bevölkerung enorm.

Susanne Hartmann, Professorin für Infektionsimmunologie und Direktorin des Instituts für Immunologie an der Freien Universität Berlin

Untersuchungen in verschiedenen Regionen Kenias haben ergeben, dass – obwohl die Menschen in vergleichbar ärmlichen Verhältnissen leben – Ascariden durch regelmäßige Anthelmintika-Behandlungen in manchen Gebieten fast ganz zurückgedrängt werden konnten, in anderen aber nicht.

Was sind die Gründe dafür? Gesundheitssystemfragen, ökonomische und sozialwissenschaftliche Studien sowohl in Deutschland als auch in Kenia sind Teil des Forschungsprogramms, in das die Berliner Doktorandinnen und Doktoranden durch mehrmonatige Aufenthalte in Afrika eingebunden sein werden.

Enorme Auswirkungen

Die Wurminfektionen sind weder für Tier noch Mensch tödlich. Dazu habe sich der Wurm evolutionär schon zu gut an seine Wirte angepasst, sagt Susanne Hartmann. „Aber er schwächt infizierte Wirte, was beim Menschen zu chronischer Morbidität führt, also einer Krankheitshäufigkeit.“

Infizierte Kinder fühlen sich oft unwohl, können daher nicht zur Schule gehen und sind anfällig für Koinfektionen – etwa mit Malaria –, was in einem Teilprojekt in Kenia erforscht werden wird. „Die ökonomische Auswirkung der chronischen Morbidität ist für die betroffene Bevölkerung enorm“, sagt Susanne Hartmann. Bei Hühnern dagegen haben unter anderem Koinfektionen mit Salmonellen ein leichteres Spiel.

Eine „wurmstichige“ Leber wird im Schlachthaus leicht erkannt und natürlich entsorgt. „Ansonsten ist der Verzehr von Fleisch oder Hühnereiern infizierter Tiere unbedenklich, da ja nur die Wurmeier in kontaminierten Böden infektiös sind“, sagt Susanne Hartmann. Das neue Graduiertenkolleg bildet in den kommenden fünf Jahren interdisziplinär Doktorandinnen und Doktoranden aus, die diese vernachlässigten, jedoch weit verbreiteten Krankheiten zu bekämpfen lernen.

Spulwurminfektionen von Menschen, Tieren und die kontaminierte Umwelt aus veterinärmedizinischer, biologischer, gesundheitsökonomischer und gesundheitspolitischer Perspektive, kombiniert mit mathematischer Modellierung: ein wahrer „One Health“-Ansatz.

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