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Berliner Inklusionspreis für Cooperative Mensch : Am rechten Fleck
Weil sie selbst betroffen sind, haben Auszubildende mit Behinderung ein feines Gespür für diskriminierende Strukturen. Eine Fähigkeit, die bei der Cooperative Mensch wertgeschätzt wird.
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Aus dem 1958 gegründeten Elternverein Spastikerhilfe Berlin wurde schrittweise das Sozialunternehmen Cooperative Mensch, das heute ein breites Angebot der Behindertenhilfe hat. Für Menschen mit komplexen Behinderungen betreibt die Genossenschaft im Stadtgebiet mehr als 35 Einrichtungen, darunter Wohnangebote, Tagesförderstätten und Kindertagesstätten.
Derzeit ermöglichen dort über 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behinderten Menschen gesellschaftliche Teilhabe. Seit 2019 gehört auch ein inklusives Ausbildungsprojekt dazu, das jetzt ausgezeichnet wurde.
Um dafür gezielt Schülerinnen und Schüler mit Schwerbehinderung anzusprechen, gehen die Projektleiter in pädagogische Förderschulen und stellen das Angebot vor. In der IBA-Klasse (Integrierte Berufsausbildungsvorbereitung) der Konrad-Zuse-Schule in Pankow trafen sie auf Melina Hoffstaedt.
Großes Engagement, Interesse und Empathie zeichnen sie aus
Die Schülerin wiederholte dort ihren Abschluss, den sie zuvor an einer gewöhnlichen Oberschule aufgrund ihrer Lernbehinderung nicht geschafft hatte. Da Melina den Mitarbeitern durch ihr freundliches, zugewandtes Wesen auffiel, warb man sie für ein Praktikum. Das verlief letztlich so vielversprechend, dass man Melina eine Ausbildung im neuen Projekt zur Fachpraktikerin Hauswirtschaft anbot. Neben 46 regulären Auszubildenden zum Heilerziehungspfleger wurde die junge Berlinerin eine von drei Lehrlingen mit Beeinträchtigung.
Mittlerweile hat die 20-Jährige ihre von der Industrie- und Handelskammer (IHK) anerkannte Ausbildung abgeschlossen. Da die Cooperative Mensch für den eigenen Bedarf ausbildet und Melina Motivation und sehr gute Leistungen zeigt, wurde auch sie übernommen. Zum Einsatz kommt die Pankowerin jetzt in einer Wohneinrichtung für Menschen mit komplexer Behinderung im Wedding.
„Ich werde dort Bewohner durch ihren Alltag begleiten und bei Dingen helfen, die sie nicht allein bewältigen können“, beschreibt die junge Frau ihre kommende Tätigkeit. Zu ihren Aufgaben werde unter anderem gehören, die Bewohner – im Fachjargon Assistenznehmer – zu duschen, auf die Toilette zu begleiten, für sie einzukaufen, bei Arztbesuchen zu begleiten, Medikamente in der Apotheke abzuholen sowie regelmäßig zu kochen.
Im Fall der Fälle ist bei uns immer Verlass auf Unterstützung durch das Team.
Christian Löw, Personalleiter
Die Erfahrungen mit schwerbehinderten Azubis sind bei der Cooperative Mensch durchweg positiv. „Sie zeichnen sich durch großes Engagement, Interesse und Empathie aus“, sagt Personalleiter Christian Löw, der auch Inklusionsbeauftragter ist. Da sie selbst von Beeinträchtigungen betroffen sind, hätten sie besondere Antennen für unnötig behindernde Strukturen und Abläufe und ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden.
Wenn es nach ihm ginge, würde Christian Löw den ganzen Ausbildungsbereich weiter ausbauen, doch leider stoße man schon jetzt an personelle Grenzen und institutionelle Hürden. Die Ausbildung von schwerbehinderten Menschen erfordere laut Löw personelle Ressourcen, die die Genossenschaft im größeren Maße nicht zur Verfügung habe.
Die inklusive Fürsorge kommt allen Beschäftigten zugute
Ihre vergleichsweise leichte Behinderung, die Lese-Rechtschreibschwäche, macht Melina Hoffstaedt bei ihrer Arbeit keine Schwierigkeiten. Während ihrer Lehre hat sie Förderunterricht bekommen und ihre Kollegen seien immer bereit gewesen, ihr zu helfen. „Ich freue mich sehr auf meinen Job“, strahlt Melina Hoffstaedt. Sie ist zuversichtlich, auch in ihrer kommenden Anstellung immer die Unterstützung zu finden, die sie benötigt.

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Dass sich die frischgebackene Fachkraft bei ihrem neuen Arbeitgeber gut aufgehoben fühlt, liegt nicht zuletzt an den umfassenden Inklusionsbemühungen des Sozialunternehmens. „Wir stellen sicher, dass alle nötigen Lösungen, Hilfsmittel und Inklusionsmaßnahmen zur Verfügung stehen, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit besonderen Herausforderungen zu unterstützen“, betont Schwerbehindertenvertreter Henri Adam, der Teil des Inklusionsteams ist.
Die Palette an Maßnahmen sei breit. Technische Hilfsmitteln wie höhenverstellbare Tische und ergonomische Stühle gehörten bei ihnen ebenso dazu wie organisatorische Arbeitserleichterungen, flexible Arbeitszeiten zu haben oder keine Nachtdienste leisten zu müssen. Möglich seien darüber hinaus Schulungen zur Arbeitsorganisation, Sensibilisierungsmaßnahmen und Schulungen in barrierefreier Kommunikation. Falls eine nötige Maßnahme nicht aus betrieblichen Mitteln zu leisten sei, beantrage er Fördermittel.
Von dieser umfassenden inklusiven Fürsorge profitieren vom Pförtner über Verwaltungskräfte und Finanzbuchhalter bis hin zu Therapeuten, Ärzten und Teamleitern rund 50 schwerbehinderte Mitarbeiter, zu denen ab jetzt auch Melina Hoffstaedt gehören wird. Weil der Start ihrer ersten festen Beschäftigung ganz kurz bevor steht, ist sie natürlich auch etwas aufgeregt, vor allem aber froh und zuversichtlich. „Im Fall der Fälle ist bei uns immer Verlass auf Unterstützung durch das Team“, versichert Personalleiter Christian Löw.
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