
© IMAGO/Carola Vahldiek
Herz für Tiere in Berlin: Mit gespannten Seilen und Kastration Leid verhindern
Über 180.000 Mitglieder zählt der Berliner Verein „Aktion Tier – Menschen für Tiere“. Statt Tierheime zu bauen, setzt die Organisation auf Aufklärung, damit Tiere weniger leiden müssen.
Stand:
Eine blutende Taube liegt auf dem Pflaster der Spandauer Altstadt. Sie wurde von einem Greifvogel angegriffen. In ihrem Unglück gibt es einen Lichtblick: Drei junge Mädchen entdecken das kranke Tier – und rufen bei „Aktion Tier – Menschen für Tiere e.V.“ an, einem der größten Tierschutzvereine Europas.
Am Telefon meldet sich Ursula Bauer, Geschäftsführerin des Bereichs Tierschutz des Vereins. Anrufe wie diesen bekommt die Biologin häufiger. Viele Menschen seien unsicher, was sie tun sollen, wenn sie ein verletztes Tier finden. „Ein verletztes Tier muss zum Tierarzt, da gibt es kein großes Überlegen“, sagt Bauer.

© Aktion Tier
Aktion Tier wurde 1985 gegründet, mit dem Ziel, Tierleid durch Aufklärung vorzubeugen – denn Tierschutz fange im Kopf an. „Wir wollen Tierleid verhindern, bevor es überhaupt erst entsteht“, sagt Bauer. Dabei setzt der Verein auf Workshops, Kampagnen, Magazine und Infostände.
Bauers Weg im Verein begann 2002 – an einem Infostand, an dem sie selbst Aufklärungsarbeit leistete. Heute sitzt sie häufiger am Schreibtisch, der von ihr aufgebauten Geschäftsstelle in der Spandauer Jüdenstraße 6. „Das ist hier kein Prunkbau“, sagt Bauer und deutet auf den Besprechungsbereich des Büros. „Wir arbeiten ganz schlicht, damit möglichst viel Geld in die Projekte fließt.“
Rund 183.000 Mitglieder zählt Aktion Tier“ mittlerweile. Mit einem Mindestbetrag von vier Euro im Monat finanzieren sie den größten Teil der Vereinsarbeit. Öffentliche Fördergelder bekommt Aktion Tier kaum. Das sparsame Wirtschaften des Vereins zeigt sich auch in der engen Personaldecke: Sechs feste Mitarbeiter*innen arbeiten in Spandau, etwa fünf weitere betreuen die deutschlandweiten Projektpartner.
Die verletzte Taube lag nur wenige Meter von der Spandauer Geschäftsstelle entfernt. Weil in diesem Fall Kinder den Tierschutz angerufen hatten, wollte Bauer ihnen die Verantwortung nicht aufbürden. Sie holte die Taube selbst ab und brachte sie zum Tierarzt.

© Aktion Tier/Ursula Bauer
Manche Menschen, die ein Tier finden, würden sich weigern, es selbst zum Tierarzt zu bringen. „Es reicht nicht, wenn man einfach einen Tierschutzverein anruft und das Problem weitergibt“, sagt Bauer. Andere wiederum melden sich, um ihre Tiere abzugeben – und drohen, sie auszusetzen, wenn der Verein sie nicht sofort abholt. „Das ist regelrecht Erpressung“, sagt Bauer. Darüber zu sprechen, wie egoistisch einige Besitzer*innen handeln, macht sie sichtlich wütend. „Das ist verboten, und ich habe kein Verständnis dafür, wie man sich ein Tier holen und dann so handeln kann“, sagt sie.
Wir wollen verhindern, dass es überhaupt nötig ist, ein Tierheim zu haben.
Ursula Bauer, Geschäftsführerin des Bereichs Tierschutz beim Verein „Aktion Tier – Menschen für Tiere“
Eine eigene Auffangstation für Tiere betreibt der Verein nicht. „Unsere Maxime ist nicht, Tierheime bauen und den Missstand verwalten“, sagt Bauer. „Wir wollen verhindern, dass es überhaupt nötig ist, ein Tierheim zu haben.“ Stattdessen vermittelt der Verein Tiere über ein Webtierheim – eine Online-Vermittlungsplattform für Haustiere.
Einen großen Teil der Arbeit übernehmen deutschlandweite Ehrenamtliche und Freiwillige. Sie füttern zum Beispiel im Rahmen des Projekts „Kitty“ Straßenkatzen an festen Futterstellen, stellen Schlafhäuschen bereit und achten darauf, ob neue Tiere auftauchen, die kastriert werden müssen. Auf der Straße geborene Katzenbabys werden eingefangen und zur Vermittlung abgegeben.

© Aktion Tier/Ursula Bauer
Jährlich werden so Tausende Katzen kastriert und viele Jungtiere von der Straße geholt – die Zahl der Straßenkatzen geht langsam zurück. „Mich würde freuen, wenn es keine Katze mehr gäbe, die draußen leben muss. Der eigene Platz auf dem Sofa steht auch jeder Katze zu“, findet Bauer.
Ein weiteres Erfolgsprojekt von Aktion Tier sind die Eichhörnchenseile. Sie spannen sich wie Brücken zwischen den Bäumen und geben den Tieren sichere Wege über stark befahrene Straßen. In Berlin am Müggelseedamm huschen Eichhörnchen so seit zehn Jahren darüber hinweg, während unter ihnen der Verkehr rauscht. „An den Stellen, wo ein Seil hängt, wird kein Tier mehr überfahren“, sagt Bauer.

© Aktion Tier
Bauer ist in einer tierlieben Familie aufgewachsen. Ihre bereits verstorbene Mutter sei mit allen Tieren gut ausgekommen und habe liebevoll mit ihnen gesprochen. „Selbst die Schmetterlinge haben sich bei ihr wohlgefühlt“, erinnert sich Bauer lächelnd.
„Gehen lassen“ gehört dazu
Auch Bauer liebt Tiere. Sie spricht genauso einfühlsam über das Leid einer Ratte wie über das einer Babykatze. Sie selbst hält sich zu Hause aber kein eigenes Tier. „Ich hätte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, nicht genügend da zu sein“, sagt sie. Zudem könne sie so im Notfall kurzfristig ein Tier aufnehmen.
Tierliebe bedeutet manchmal eben, Nähe nicht um jeden Preis zu suchen – und manchmal auch, ein Tier gehen zu lassen. So wie die Taube, die beim Tierarzt eingeschläfert werden musste und so von ihrem Leid erlöst wurde.
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