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Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird mittels Bluttest ermittelt

© Getty Images/angelp

Schluss mit Abtasten: Urologen stellen Prostatakrebsvorsorge um

Eine neue medizinische Leitlinie bringt weitreichende Veränderungen mit sich. Der PSA-Test wird aufgewertet, das rektale Abtasten nicht mehr empfohlen.

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Ein aggressives Prostatakarzinom, das bereits in die Knochen gestreut hat: Joe Biden hat richtig Pech gehabt. Während die Welt Anteil an seiner tragischen Diagnose nimmt, fragen sich viele, warum der Tumor beim 46. Präsident der Vereinigten Staaten nicht früher entdeckt worden ist. Offiziell heißt es, Bidens letzte Prostata spezifische Untersuchung liege mehr als zehn Jahre zurück.

Was immer an dieser Erklärung dran ist: Bidens Erkrankung wirft ein Schlaglicht auf die Früherkennung des häufigsten Krebsleidens des Mannes. Und tatsächlich ist kaum ein anderes Screening so umstritten wie das auf Prostatakrebs.

Zu den Fakten: In Deutschland haben Männer ab 45 Jahren einen Anspruch auf ein Abtasten der Prostata über den Enddarm, und zwar jährlich bis ins hohe Alter.

Es ist inzwischen gut belegt, dass die Tastuntersuchung als Früherkennungsmaßnahme nicht geeignet ist.

Marc-Oliver Grimm, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Jena

Die digital-rektale Untersuchung wird von den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des Krebsfrüherkennungsangebots bezahlt, der PSA-Test dagegen nicht. Viele Männer „gönnen“ sich die rund 45 bis 60 Euro teure Blutuntersuchung trotzdem, nicht zuletzt, weil ihnen die Urologen dazu raten.

Denn schon lange ist Fachleuten klar, dass das Tasten allein nicht reicht, dass kleinere oder ungünstig gelegene Tumore übersehen werden. Entscheidende Hinweise stammen unter anderem aus einer großen Studie aus Deutschland.

Zu viele falsch-positive Befunde

Die Probase-Studie mit mehr als 45.000 Männern zeigte, dass die digital-rektale Untersuchung deutlich weniger Karzinome findet als der PSA-Test, nämlich gerade mal 14 Prozent. Die Rate an falsch-positiven Befunden war ebenfalls sehr hoch – weswegen Ärzte nun fordern, das Abtasten zugunsten des PSA-Tests zu streichen.

„Es ist inzwischen gut belegt, dass die Tastuntersuchung als Früherkennungsmaßnahme nicht geeignet ist“, sagt Marc-Oliver Grimm, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Jena und Koordinator der neuen S3-Leitlinie Prostatakarzinom. „Wir empfehlen daher diese Untersuchung nicht mehr und stattdessen, den PSA-Test als Einstieg in die Früherkennung zu nutzen.“

Eine sogenannte S3-Leitlinie basiert auf systematisch erfassten Erkenntnissen und ist die höchste Qualitätsstufe (S), die es bei medizinischen Leitlinien gibt.

Diese besagte neue S3-Leitlinie, an der neben der Deutschen Gesellschaft für Urologie 20 weitere Fachgesellschaften mitgewirkt haben, sieht ein mehrstufiges, risiko-adaptiertes Verfahren vor.

Das bedeutet: Zeigt der „Einstiegstest“ einen PSA-Wert unter drei, ist alles gut. Der nächste Test soll dann erst nach zwei Jahren erfolgen, bei einem Wert unter 1,5 sogar erst nach fünf Jahren. Ab einem Wert von oder über drei soll eine „individuelle Risikobewertung“ erfolgen.

Marc-Oliver Grimm, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Jena

© Klinisches Medienzentrum des UKJ

Hierbei werden etwa die familiäre Vorbelastung und das Volumen der Prostata im Verhältnis zum PSA-Wert berücksichtigt. Auch die Tastuntersuchung spielt an dieser Stelle dann eine Rolle.

Da die Prostata ab der Lebensmitte wächst, haben ältere Männer in der Regel auch einen höheren PSA-Wert, weil größere Drüsen mehr prostataspezifisches Antigen produzieren als kleinere. Das alles fließt mit in die Bewertung ein.

Ein MRT entdeckt aggressive Karzinome sehr früh

Bestätigt sich dabei ein Risiko für ein Prostatakarzinom, wird den Männern eine Magnetresonanztomografie (MRT) der Prostata empfohlen. „Das MRT entdeckt die aggressiven Karzinome schon sehr früh, da sich die Textur der Prostata stark verändert, und es liefert auch Hinweise auf den Grad der Bösartigkeit“, beschreibt Urologe Grimm die Vorteile der Bildgebung.

Die Risikoklassifizierung nehmen Radiologen anhand des PI-RADS-Scores vor. Im Rahmen des „Prostate Imaging-Reporting and Data System“ (PI-RADS) werden Größe und Lage von Veränderungen im Prostatagewebe, das Aussehen der Gewebe auf dem MRT-Bild und andere klinische Informationen auf einer Skala von eins bis fünf beurteilt.

Nicht jeder Prostatakrebs muss behandelt werden

Nur Männer mit hohen Score-Werten sollen künftig eine Biopsie bekommen, alle anderen nicht. Dass nun die Bildgebung ausschlaggebend für die invasive Diagnostik werden soll, ist laut Marc-Oliver Grimm der eigentliche Höhepunkt der neuen Leitlinie.

Denn bislang seien Biopsien aufgrund unklarer Tastbefunde vorgenommen worden – ein Großteil davon unnötigerweise. „Wir gehen davon aus, dass wir mit unserem risikoadaptierten Vorgehen die Zahl der Biopsien deutlich senken werden und dass wir die richtigen Karzinome zu einem Zeitpunkt entdecken, bevor sie metastasieren.“

Hierzulande werden viele Männer mit einem harmlosen ‘Haustierkrebs’ operiert oder bestrahlt.

Marc-Oliver Grimm, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Jena

Mit den „richtigen Karzinomen“ ist jener „Raubtierkrebs“ gemeint, an dem Mann sterben kann und der unbedingt behandelt werden muss. Doch nicht jede Form von Prostatakrebs ist behandlungsbedürftig und tödlich.

Dennoch werden nach Auskunft des Mediziners „hierzulande viele Männer mit einem harmlosen ‘Haustierkrebs’ operiert oder bestrahlt“. Ebenfalls unnötigerweise.

Die Zahl der Biopsien sind deutlich zu hoch

Um den Schaden zu begrenzen, wollen die Urologen, Männer mit einem Niedrig-Risikokarzinom ab sofort nur noch aktiv überwachen, also zunächst gar nicht mehr behandeln. Die empfohlene „Aktive Überwachung“ wird durch mehrere Langzeitstudien gestützt.

Die in Kürze verabschiedete Leitlinie sieht also weitreichende Änderungen vor. Über die neuen Empfehlungen zur Früherkennung berät nun der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zusammen mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

Stefan Sauerland, Ressortleiter beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der den Nutzen und Schaden von medizinischen Interventionen bewertet, sieht zwar auch, dass die Effektivität der in den 1970er-Jahren eingeführten Tastuntersuchung begrenzt und die Zahl der Biopsien in Deutschland deutlich zu hoch ist.

Ein Screening ist am Ende eine politische Entscheidung.

Marc-Oliver Grimm, Urologe am Universitätsklinikum Jena

Aber ihm fehlen Langzeitdaten, ob das mehrschrittige Verfahren tatsächlich die Prostatakrebs-Sterblichkeit senken wird. Bedenklich findet er, dass die Früherkennung laut Leitlinie schon mit 45 Jahren beginnen soll, da in diesem Alter Prostatakrebs noch sehr selten sei, sagte er in der „Welt“. „Außerdem fehlt in der Leitlinie eine obere Altersgrenze.“

Tatsächlich steht in der Leitlinie, dass Männern ab dem Alter von 45 Jahren, mit einer Lebenserwartung von zehn Jahren und mehr, die eine Früherkennung wünschen, die Bestimmung des PSA-Werts angeboten werden sollte. Ob der G-BA in diesem und den anderen Punkten mitgeht, ist offen. Schließlich kostet jede Früherkennungsmaßnahme das Gesundheitssystem enorme Ressourcen.

„Ein Screening ist am Ende eine politische Entscheidung“, betont Leitlinienkoordinator Grimm. „Wir geben nur Empfehlungen für die individuelle Früherkennung auf Basis der aktuellen Studienlage.“

Bis auf Weiteres bleibt der PSA-Test also Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL), das heißt, sie muss von Patienten selbst bezahlt werden. Kommt der G-BA den Forderungen der Urologen nach, das Abtasten durch den PSA-Test zu ersetzen, werden ihn die Kassen im Rahmen der Früherkennung erstatten müssen. Mit einer Entscheidung wird frühestens in einem Jahr gerechnet.

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