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Blick in die Porschestraße in Wolfsburg.

© Pressestelle Wolfsburg

Wolfsburg, echt jetzt?: Spaziergang durch eine unterschätzte Stadt

Das Kunstmuseum will mit seiner neuen Ausstellung „Utopia – Recht auf Hoffnung“ Wege aus unserer beängstigenden Gegenwart zeigen. Doch Wolfsburg hat noch viel mehr zu bieten.

Stand:

Der Wolf ist unschuldig, das Tier hat nichts mit dieser Stadt zu tun. Die Wolfsburg, ein Renaissanceschloss mit Ziergiebeln und Zwiebelturm, ist der Namensgeber des 1938 geplanten Ortes. Damals hieß er „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“. Erst 1945 wurde er in Wolfsburg umbenannt.

Inzwischen gehört sogar ein weiteres Schloss aus dem 16. Jahrhundert zur Stadt am Mittellandkanal. Es steht in Fallersleben, das im Rahmen einer Gebietsreform 1972 zu einem Stadtteil Wolfsburgs wurde. Die Fallerslebener grummelten über den Verlust ihrer Eigenständigkeit, fanden sich aber schließlich damit ab.

Das Schloss Fallersleben in Wolfsburg.

© Foto: Stadt Wolfsburg

Dass Fallersleben im 16. Jahrhundert aufblühte, lag an einer Frau. Klara, Herzogin von Braunschweig-Gifhorn, soll nicht nur mildtätig, sondern überaus erfinderisch gewesen sein. Ihr Kräuterbier wurde noch viele Jahre nach ihrem Tod im Jahre 1576 an Kranke verschickt.

Der berühmteste Sohn der Stadt

In Schloss Fallersleben erinnert ein Museum an den berühmten Sohn der Stadt, August Heinrich Hoffmann, 1798 war der Dichter in Fallersleben zur Welt gekommen. In sein Geburtshaus ist mittlerweile ein gediegenes Hotel-Restaurant eingezogen.

Statue von August Heinrich Hoffmann im Schloss Fallersleben

© Hella Kaiser

Im Museum wird Hoffmann nebst seinen Werken präsentiert. Das „Lied der Deutschen“, Grundlage der Nationalhymne, stammt aus seiner Feder, aber auch viele Kinderlieder. Mit einem Puzzlespiel an der Wand kann man sie zum Klingen bringen: „Alle Vögel sind schon da“, „Ein Männlein steht im Walde“ oder „Die Vogelhochzeit“.

Fallersleben, ein herausgeputztes Idyll, präsentiert einige wunderschön restaurierte Fachwerkhäuser. Die gibt es im modernen Stadtzentrum von Wolfsburg natürlich nicht. Geplant wurde es von Peter Koller. Schon 1931 war der österreichische Architekt in die NSDAP eingetreten, wurde ein enger Freund von Albert Speer.

Stadt im Grünen

Koller favorisierte eine Trennung des Fabrikareals für die „Kraft-durch-Freude-Autos“ und Wohnquartieren für die Arbeiter. Eine Stadt im Grünen schwebte ihm vor, die heute noch zu sehen ist, begrenzt von Goethe-, Schiller- und Lessingstraße. Zwischen den Gebäuden befinden sich große Rasenflächen, auf denen noch Teppichstangen stehen. Balkons gibt es nicht. „Alles steht unter Denkmalschutz“, sagt Stadtführer Bernhard Knorn.

Verschwunden ist die riesige Tullio-Cianetti-Halle, ein Holzbau mit monumentalem Hakenkreuz, in den 5000 Menschen passten. 1945 ging er in Flammen auf. Geblieben ist eine rechteckige Grünfläche, davor steht das Kunstwerk „Rückblick“, 1988 geschaffen von Wolfgang Itter. Es symbolisiert das „Brezelfenster“ des ersten Käfermodells. Aber es deutet mit seinen zwei Hälften auch das geteilte Deutschland an.

Das Wolfsburger Rathaus

© Pressestelle Wolfsburg

Nach dem Bau der Mauer fehlten die ostdeutschen Arbeiter. Italiener ersetzten sie. Rund 60.000 kamen zwischen 1962 und 1972 in die Stadt. Viele brachten ihre Familien mit – und blieben. Vielleicht gibt es deshalb in Wolfsburg erstaunlich viele Pizzerien, Ristorantes, Trattorien und sogar eine Piazza Italia mit dem schicken Weinladen Vini d’Italia.

Früh hat Wolfsburg versucht, ein bürgerfreundliches Ambiente zu schaffen. Bestes Beispiel ist das Rathaus, unweit der Kunsthalle, das in den 1950er-Jahren mit viel Glas hell und luftig gestaltet wurde.

Der Theaterbau von Hans Scharoun wurde 1973 eröffnet.

© Pressestelle Wolfsburg

Die Porschestraße, einst vierspurig für Autos angelegt, ist schon lange zur Fußgängerzone geworden. Hier sind Autos ausgesperrt, sonst brauchen sie Platz. Dabei rollen viele der 78.000 Pendler heutzutage mit dem Zug an. Der Bahnhof, 1957 eingeweiht, steht zu Teilen unter Denkmalschutz.

„Die Stadt weist viele neue Baugebiete aus“, sagt Knorn. Man möchte, dass die Pendler sich in Wolfsburg niederlassen. Dann sparten sie sich weite Anfahrtswege – und hätten dazu viel Kultur vor der Haustür.

Da ist zum Beispiel der beeindruckende Theaterbau von Hans Scharoun, der sich, eröffnet 1973, genial in die Landschaft fügt. Und da punktet, seit 1994, das Kunstmuseum mit seinem weit überspannenden Glasdach.

„Try Again, Fail Again, Fail Better“ von Anetta Mon Chisa und Lucia Tkacova in der Ausstellung „Utopia“ im Wolfsburger Kunstmuseum.

© Foto: Kunstmuseum Wolfsburg Utopia/Anetta Mon Chisa und Lucia Tkacova

Bis zum 11. Januar ist hier die Ausstellung „Utopia – Recht auf Hoffnung“ zu sehen. Internationale Künstler zeigen hier, wie Zukunft nachhaltig gelingen kann. Da ist etwa die 25-teilige Fotoserie von Sven Johne: „Heilpflanzen im Todestreifen, 2021“. Der Künstler wanderte die 1400 Kilometer lange Grenze ab, die heute grün und bunt geworden ist. Es ist eine Meditation über Geschichte, Trennung, Heilung und Versöhnung.

Ureinwohner in Ecuador erzählen in Filmsequenzen, wie sie für den Erhalt des Regenwaldes kämpfen. 2012 gewannen sie vor Gericht gegen die Regierung mit ihren Ölförderplänen, die immer noch bedrohlich sind. Die Installation „Afronauts“ erinnert an die sambische Astronautin Matha Mwamba, auch wenn sich deren Träume zerschlugen.

Hoffnung kommt aus Kindermund. Auf Videowänden sprechen Jungen und Mädchen von ihren Zukunftsvisionen. Ein Kind sagt: „Wir könnten den Leuten sagen, nicht mehr Auto zu fahren.“ Das ist ein kühner Wunsch in einer Stadt, die doch durch die Automobilindustrie lebt. Wolfsburg lässt die Widersprüche zu und versucht, Brücken zu bauen. Das gelingt erstaunlich gut.

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