
© MUTESOUVENIR | KAI BIENERT/Kai Bienert
Wie ein weicher Fiebertraum: Das Jugendorchester der EU stiftet Verwirrung im Konzerthaus
Am Ende gibt es beim meist-antizipierten Konzert des Festivals dennoch stehende Ovationen.
Stand:
Das Konzert des European Union Youth Orchestra am Mittwochabend im Konzerthaus Berlin beginnt mit einem Verwechsler: Der Orchesterwart im lila Festival-T-Shirt wird eine Sekunde lang für den Dirigenten gehalten und erhält eine große Runde Applaus für das Verräumen eines Mikrofons. So eifrig und gespannt wartete das Publikum auf den Beginn dieses Konzerts, das als Festivalhighlight der Young Euro Classics galt und entsprechend nicht nur weißbehaarte Köpfe in den prächtigen Saal lockte, sondern auch Zuhörer*innen, die den im Orchester vertretenen Altersgruppen entsprechen.
Dass das Larghetto von James MacMillan ursprünglich für Chor komponiert wurde, ist ab dem ersten Bogenstrich der Cellogruppe hörbar, die ihre Instrumente seidenweich singen lässt. Eine besondere Leistung: Horn, Trompete und Posaune spielen von der Balustrade herab, ein Helfer auf dem Balkon übertrug das Dirigat an die Musiker hinter den Vorhängen. Verwirrung im Saal, das Publikum dreht die Köpfe, nach der Klangquelle suchend, dann Aufatmen und Fingerzeigen, als man die Musiker entdeckt.
Für das Klavierkonzert Nr. 3 von Prokofiev breitet das Orchester dem Solisten Benjamin Grosvenor einen weichen, texturreichen Klangteppich aus. Aus virtuosem Wettstreit zwischen Klavier und Orchester wird bald eine Konversation, Solist und Holzbläser*innen spielen sich die Melodien zu, tauschen sich aus, wechseln sich ab und nehmen einander das Wort aus dem Munde. In größter Seelenruhe stürzt Grosvenor die schnellsten Läufe hinab, erntet dafür Applaus zwischen den Sätzen (der wiederum Unmut bei Applausgegner*innen auslöst).
Im zweiten Satz erinnert er das Publikum daran, dass das Klavier ein Saiteninstrument ist, mit Läufen, die von einer Harfe stammen könnten. Im dritten Satz gibt es perkussivere Stellen, Prokofjew lässt Celli und Bässe col legno spielen, mit dem harten Bogenholz statt den Bogenhaaren die Saiten schlagen. Wie ein Fiebertraum ist das Klavierkonzert auch schon vorbei und Grosvenor zeigt mit der Zugabe „Jeux d’eau“ von Maurice Ravel nochmals die ihm eigene schillernde Weichheit.
Es sei schwierig, ein Programm zu finden, auf das sich Dirigent, Orchester und die Konzerthäuser einigen könnten, so der künstlerische Leiter Marshall Marcus, vor allem, weil das EUYO Stücke spielen will, an denen es sich „die Zähne ausbeißen kann“. Ein so gutes, junges Orchester will herausgefordert werden, Stücke spielen, an denen es wachsen und mit denen es sich beweisen kann. In den Probespielen mussten die Bewerber*innen aus allen Ländern der EU die vielen Soli aus der fünften Sinfonie von Schostakowitsch vorspielen, denn fast alle Instrumentengruppen kommen hier auf den Präsentierteller. Man sieht ihnen an, dass sie dabei richtig Spaß haben – und das zieht auch das Publikum in den Bann.
Im dritten Satz säuseln die ersten Geigen mit dem Bogen sul ponticello (ganz nah am Steg) eine verschwindend leise Begleitung für die Oboe. Dirigent Manfred Honeck führt das Orchester auf Fingerspitzen durch das Largo, lässt es schwelgen, bevor es im letzten Satz nochmal richtig ackern muss.
Über 32 Takte durchgehende Achtelnoten in den Streichern und Holzbläsern, das gibt Rückenschmerzen. „Erzwungener Jubel“, so schrieb Schostakowitsch-Biograph Maxim Velkov, sei dieser so triumphal klingende Schluss und schreibt Schostakowitschs Sinfonie eine politische Bedeutung zu. Der Jubel des Publikums nach dem Konzert aber war nicht erzwungen: Es gab stehende Ovationen. Was beim EUYO nicht fehlen darf, ist die eigene Hymne als Zugabe, bei der die Musiker*innen aufstehen, herumlaufen und sogar in die Luft springen. Nach vollbrachtem Konzert fallen sie sich erleichtert in die Arme und das Publikum fährt mit Musik erfüllt und angeregt nach Hause.
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