zum Hauptinhalt
Schlicht und ergreifend im Schillerkiez. Das "Barra" in der Okerstraße 2.

© Mike Wolff

Von Tisch zu Tisch: Küche zwischen Natur, Region und Kreativität

Im "Barra" kochen ausgewanderte Briten einfach für die Nachbarn im Schillerkiez. Aber das könnte auch Nicht-Neuköllnern zusagen.

Unentwegt Neues in der Berliner Gastronomie – eigentlich schön, dass weder Personalnöte noch die überbordende Bürokratie junge Köche davon abhalten können, sich selbstständig zu machen. Die wenigsten tun das allerdings mit einem fetten Finanzpolster, und deshalb ist der wesentliche Berliner Trend in der Eröffnung kleiner kneipenhafter Nachbarschaftsrestaurants und Weinbars zu sehen, die ihren Vorgängern früherer Generationen etwas Entscheidendes voraushaben: die gute Küche.

Das "Barra" passt zum rauen Charme des Schillerkiez

In diesem Sinn surft das „Barra“ in Neukölln auf mehreren Wellen gleichzeitig. Zum einen spiegelt der Schillerkiez am Rande des Flughafengeländes noch ziemlich unverblümt den rauen Charme des Bezirks, wie er mal insgesamt war, aber der Luftzug der Veränderung weht schon fühlbar durch die Straßen. Zum anderen ist der nonchalante Stil der britischen Gründer typisch für die quirlige Expat-Szene der Stadt – notfalls kann der Gast sich hier aber auch noch auf Deutsch verständigen. Und dazu bewegt sich die kräftig gewürzte, manchmal durchaus schon rustikale Küche schlau zwischen Natur, Region und Kreativität, mit allen naheliegenden Einschränkungen, die die niedrigen Preise mit sich bringen. Die „New York Times“ wird es lieben.

Man erwarte also tatsächlich eine enge Kneipe mit offener Küche und vernehmlich schrammelnder Rockmusik. Die anderen Gäste sitzen auf Tuchfühlung, ständig geht jemand rein oder raus und zieht die kalte Luft von draußen mit. Ich sage das nicht als Kritik, sondern als Hinweis für Gäste, die es gern ein wenig komfortabler mögen (zu denen ich, zugegeben, auch gehöre) ...

Am besten genießt man hier nach dem Sharing-Prinzip

Die „Barra“-Küche lässt sich am besten nach dem totalen Sharing-Prinzip genießen. Niemand muss teilen, aber die Karte bietet eine ganze Reihe von kleinen Gerichten an, die ohne Probleme nach und nach bestellt werden können. Eine Flasche Wein kommen lassen ... Ach, Moment, es gehört natürlich auch dazu, dass hier ausschließlich Weine ausgeschenkt werden, die nach neuester Sprachregelung als „Low intervention wines“ bezeichnet werden, was bedeutet, dass der Winzer behauptet, wenig dran gemacht zu haben, wenig Schwefel, wenig Klärung, na, eben von „natur“ bis „orange“. Das Dumme dabei ist, dass der landläufige Weintrinker beim Blick auf die Karte komplett Bahnhof versteht und blind irgendwas bestellt, wie den dann doch ganz angenehmen Auxerrois „Entre chien et loup“ von Lucas Rieffel, Elsass.

Sie lieben hier das Räuchern, das passt ganz gut zur Küche

Wir futterten uns dann so durch, durch Rosmarin-Focaccia und kleine, ordentlich sättigende Brandteig-Tuffelchen mit Cheddar-Käse, aromatischen Schinken. Etwas komplexer wurde es bei einem leicht verfremdeten Italo-Klassiker, nämlich Radicchio mit Birne und Blauschimmelkäse der australischen Marke „Cora Lynn“; die hausgemachten, kräftig mit Zitronenschale gewürzten und etwas weichen Ricotta-Ravioli ließen über ihre Herkunft aus dem Italienischen keinen Zweifel. Freistil dann wieder beim geräucherten Aal, der mit dem Szeneliebling Schwarzkohl und eingeweckter Quitte simple, gekonnte Balance zeigte. Eine Art Hauptgang war der Kabeljau mit Mönchbart (dem Pilz) und etwas geräuchertem Rogen – sie mögen das Räuchern hier, aber es passt auch ganz gut zur Küche.

Zum Abschluss gibt es einfache Desserts wie die Schoko-Mousse mit Kardamom und Olivenöl oder Zitronencreme mit Joghurt und Pistazien, das ist alles keine Grundlage tiefschürfender gastrosophischer Überlegungen, sondern moderne Geradeaus-Küche mit Witz, kräftig gewürzt – irgendwie britisch halt ... Trendbewusste Esser mit Neukölln-Faible müssen also da gewesen sein, andere können sich’s auch noch mal überlegen.

Barra, Okerstr. 2, Neukölln, Tel. 81 86 07 57, Do - Mo ab 18.30 Uhr geöffnet

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false