
© Martin Viezzer / Groupe Dubreuil
Vorentscheidung beim Vendée Globe?: Der Schnellzug nach Süden
Warum die Führungsgruppe Rekorde bricht und Boris Herrmann nicht mithalten kann. Wo lag der Fehler?
Stand:
Es sind ideale Bedingungen für die neueste Imoca-Generation. Mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von weit über 25 Knoten rasen die jüngsten Foiler beim Vendée Globe auf ihren Flügelschwertern Richtung Kapstadt. Seit Tagen geht das schon so. Die flache See und Windgeschwindigkeiten von 20-30 Knoten begünstigen die Spitzenreiter, sich gegenseitig mit 24-Stunden-Rekorden zu überbieten.
Die Marke schraubte sich in kurzer Zeit von 530 Seemeilen (Yannick Bestaven) auf 615 Meilen nach oben (was 1.090 Kilometern oder der Strecke von Berlin nach Nizza entspricht). Aufgestellt am Mittwoch von Sébastien Simon. Über sein konstant hohes Tempo, mit dem er bis auf 20 Meilen an den führenden Charlie Dalin aufschloss, sagte er: „Mental ist es hart und gleichzeitig treibt es dich dazu, es so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.“ Er prophezeite, dass der Tiefdruckwirbel, von dem er profitierte, sich langsam abschwächen werde. „Einige werden es nicht schaffen“, so Simon, „sich auf seinem Rücken zu halten, während wir uns mittendrin befinden.“
Für die Teilnehmer weiter hinten, zu denen der deutsche Boris Herrmann zählt, bedeutet das, abgeschüttelt zu werden.
Der 42-jährige Hamburger sieht diesem Umstand gelassen entgegen. In der Nacht zu Donnerstag hatte sich die Lücke zu Dalin auf 600 Meilen vergrößert, der Wind ließ nach. Der „Kapstadt-Express“, in dem die Segler aufgereiht in einer langen Linie zum Kap der Guten Hoffnung fuhren, hatte ihn abgekoppelt.
Durch die ausgefeilten Routing-Programme sind die Hochseesegler heute über mögliche Szenarien bestens informiert. Insofern hatte sich für Herrmann lange vorher angekündigt, dass er zwar auf den Zug aufspringen könnte, der in Form einer Kaltfront von Brasilien nach Südafrika rasen würde, aber nur in einem der hinteren Waggons. Herrmanns Co-Skipper Will Harris, der die Lage von Land aus verfolgt, sprach von einem „perfekten Drehbuch für Hochseerennen“.

© Antoine Auriol / Malizia
Es ist vielleicht ein entscheidender Moment dieses Vendée Globe.
Die Foiler seien in diesen Bedingungen „unantastbar“, gibt Roman Attanasio zu bedenken. Der „Fortinet – Best Western“-Skipper ist mit Boris Herrmanns ehemaliger „Malizia“ unterwegs, Baujahr 2015, und gibt sich keinen Illusionen hin. Das Feld werde jetzt auseinandergerissen. Die konventionellen Boote, die mangels Foils keine Flugeigenschaften besitzen, bleiben an jetzt zurück.
Vor vier Jahren habe man gesagt, „ach, diese Tragflächen-Boote, wie viel schneller können die auf Dauer sein“. Aber es sei eben nicht wie vor vier Jahren.
Die Unterschiede sind total krank
Damals bot sich den Vendée-Globe-Teilnehmern im Südatlantik durch das ausgeprägte St.-Helena-Hoch nur ein unbeschilderter Weg durch leichte Winde. Unter solchen Bedingungen hielten die Nicht-Foiler gut mit, Jean Le Cam übernahm kurzzeitig sogar die Führung mit einem Boot, so alt, dass es ihm unter seinen Händen schon in diesem frühen Stadium zu zerbröseln begann.
„Vielleicht passiert es diesmal erneut, dass man von hinten aufschließen kann“, sagt Attanasio, „aber diesmal spielt sich alles vorne an der Front ab. Die Geschwindigkeiten sind verrückt, die Unterschiede total krank. Das ist das Vendée Globe der Foiler.“

© Sam Davies / Initiatives Coeur
Während die neuesten Imoca-Flitzer genau das Wetter erleben, für das sie konstruiert wurden und im Abstand weniger Meilen – zwischen dem ersten und dem sechsten Rang liegen 100 Meilen – Richtung Südozean brettern, ist Boris Herrmann auf der Rückseite des Tiefdruckgebiets mit unruhigen Bedingungen konfrontiert. Die machen es ihm schwer, konstant hohe Geschwindigkeiten zu erzielen.
„Ich bin natürlich ein bisschen neidisch“, gibt er in einer Videobotschaft zu und beruhigt sich damit, dass das Rennen noch lang sei. Aktuell auf Rang 11 liegend, erwartet er, weiter zurückzufallen. „Ich hoffe also, dass ich im Indischen Ozean oder im Pazifik die Gelegenheit bekomme, den Abstand wieder zu verringern, sonst wäre das Rennen hier entschieden.“
Wie kam es dazu, dass Herrmann, der auf Höhe der Kanarischen Inseln auf Rang 3 gelegen hatte, nun das Nachsehen hat? Was ist schiefgelaufen?
Wie eine riesige Luftwelle
Tatsächlich fast nichts. Dem deutschen Segelstar wurde am 6. Tag des Rennens bloß eine Wolke zum Verhängnis. Sie legte sich ihm bleiern in den Weg. Während die Favoriten um ihn herum wieder in Schwung kamen, verlor er fast einen halben Tag.
Als der Tross aus 39 Booten die Passatwinde erreichte, lag Herrmann auf dem 23. Rang. Trotzdem trennten ihn nicht mehr als 130 Meilen von der Führungsgruppe.

© Sam Goodchild / Vulnerable
Danach ähnelte die Situation dem Lineup von Surfern, die eine große Welle erwischen wollen. Und um eine gigantische Luftwelle handelte es sich auch bei der Front, die einmal quer über den Ozean von Brasilien nach Südafrika rollen würde. Nur wenige würden an der richtigen Stelle für den Drop, den Absprung, sein. Die anderen, würden auf der Rückseite vielleicht ein bisschen mitgerissen werden, dann aber hinten runterrutschen.
Genau das ist Boris Herrmann passiert. Obzwar flott unterwegs, konnte er das volle Potenzial der „Malizia-Seaexplorer“ nicht auszuschöpfen.
Ich hoffe, den Abstand wieder zu verringern, sonst wäre das Rennen hier entschieden.
Boris Herrmann am 17. Tag des Rennens
So findet er sich in bester Gesellschaft wieder, ist er doch von den Frauen Sam Davies (Rang 10), Clarisse Cremer (Rang 12) und Justine Mettraux umgeben (Rang 13). Diese Gruppe versucht, sich auf dem schmalen Windstreifen zu halten, der dem abziehenden Tiefdruckgebiet wie eine Schleppe folgt.
Das Rennen tritt in eine Phase ein, in der vor vier Jahren bereits etliche Ausfälle zu beklagen waren. Sébastien Simon und Sam Davies rammten Objekte, die im Wasser trieben. Mitfavorit Alex Thomson entdeckte irreparable Strukturschäden an seinem Boot und die „PRB“ brach gleich ganz auseinander. Ihr Untergang löste eine nervenaufreibende Suche nach Kevin Escoffier aus, der nach mehreren Stunden von Jean Le Cam aus dem Wasser gefischt wurde.
Dagegen nehmen sich die bisherigen Dramen des 10. Vendée Globe eher bescheiden aus: Hier eine defekte Winsch, dort ein leckendes Hydrauliksystem, zerfetzte Segel und mit Maxime Sorel ein Teilnehmer, der aufgeben musste. Das spricht für die wachsende Belastbarkeit des Materials und für Skipper, die nicht zu weit gehen.
„Es geht nicht darum, Rekorde zu brechen“, sagt der in dieser Hinsicht leidgeprüfte Jérémie Beyou. Der 48-jährige Franzose wurde mehrfach Opfer seines übertriebenen Ehrgeizes, schied bei drei von vier Vendée-Globe-Teilnahmen vorzeitig aus. Jetzt konzentriert er sich mit seiner „Charal“ darauf, „einen guten Rhythmus zu haben und den Abstand zu halten.“ In den Passatwinden verletzte er sich am Knie, weshalb er eigentlich nur aufpassen müsse, nicht wieder zu stürzen. „Wir sind immer noch im TGV und das ist toll. Aber der Himmel ist bewölkt und die Wassertemperatur sinkt ziemlich stark.“
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