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Kinderbuch „Überall Popos“

© Klett Verlag/Bettina Johansson

Vulva, Klitoris und Penis: „Kinder wollen ihre Körper erforschen“

Wenn Kinder Doktorspiele machen, geht es ihnen nicht um Sex. Tipps von einer Sexualwissenschaftlerin, wie Eltern es schaffen, Kinder nicht zur Scham zu erziehen – und die besten Bücher für jüngere Kinder über Vulva, Klitoris und Penis

Wie früh sollte man den Nachwuchs aufklären? Welche Wörter verwenden? Und was geht zu weit? Eine Sexualpädagogin empfiehlt die hilfreichsten Werke zum Thema.

„Wenn Kinder etwas über Sexualität wissen wollen, dann geht es ihnen nicht um Sex.“ Dieses große Missverständnis will Karoline Heyne gleich zu Beginn des Telefongesprächs ausräumen. Sexuelle Lust, Begehren, Erotik, so wie Erwachsene sie verstehen – diese Konzepte würden Kinder erst mit dem Einsetzen der Pubertät erschließen.

Heyne hat an der Hochschule Merseburg Angewandte Sexualwissenschaften studiert und arbeitet als Sexualpädagogin. Sie berät Eltern, Lehrkräfte, Erzieher*innen, Mitarbeiter*innen von Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen und gibt Workshops in Schulklassen. Wenn sie mit Eltern spricht, begegnen diese ihr zunächst oft mit besorgtem Blick und verschränkten Armen.

Ich merke dann: Die sitzen auf was. Und dann brechen die Fragen aus ihnen heraus: Ist das nicht zu früh, mit Kleinkindern darüber zu sprechen? Warum müssen die sich damit beschäftigen? Und wenn sie sich selbst anfassen oder gegenseitig ihre Körper untersuchen, fragen einige Eltern: Um Gottes Willen, was haben wir falsch gemacht?

Das liege daran, dass sie ihr eigenes Verständnis von Sexualität auf das Verhalten ihrer Kinder projizierten. Aber worum geht es Kindern eigentlich, wenn sie Fragen zu ihrer Sexualität stellen? Und wie können Eltern vermeiden, ihnen Scham anzuerziehen?

Für Kinder ist es unendlich spannend, überhaupt einen Körper zu haben. Den wollen sie erforschen und bewohnen, Gefühle erfahren, Sinneseindrücke wahrnehmen. Die Welt verstehen. Darum stellen sie ständig Fragen – und zwar ganz von alleine. Wie konnte ich aus einem Bauch herauskommen? Was für Körperteile besitze ich? Was können die? Wie sehen die bei anderen Menschen aus? Warum kribbelt es manchmal so? Und warum wird zum Beispiel der Penis steif? 

Wer diesen Fragen ausweiche, oder seinen Kindern eine sachliche Sprache vorenthält, verwehre ihnen die Fähigkeit, ein Körpergefühl zu entwickeln und selbst Grenzen zu setzen, sagt Heyne. Wenn Sexualität ein Tabuthema ist oder sie nicht mal wissen, wie „das da unten“ eigentlich heißt, dann mache man es ihnen doppelt schwer, sich an Erwachsene zu wenden, wenn es ein Problem gibt.

Eine Reihe neuer Bücher macht es sich zur Aufgabe, der kindlichen Neugier mit verständlichen Bildern von Vulva, Klitoris und Penis zu entsprechen, vielfältige Körper und non-binäre Geschlechteridentitäten zu repräsentieren, queere Familien als selbstverständliches Lebensmodell zu zeichnen.

Diese Bücher können eine Stütze für Gespräche bieten, sagt Heyne. Oder älteren Kindern Erklärungen liefern, ohne dass sie jedes Mal ihre Eltern fragen müssen. Deshalb sollten sie den Kindern, findet Heyne, auch in Kitas immer zur Verfügung stehen, „so wie Bücher über Dinosaurier, Zahnarztbesuche oder das Leben im Wald“ – und nicht etwa in einem „Giftschrank“ verwahrt werden.

Auch der Begriff „Aufklärungsgespräch“ stört Heyne. Denn Gefühle, Körper und Sexualität sollte man vielmehr zu einem Gesprächsthema machen wie andere auch. „Damit Kinder von Anfang an lernen, dass man darüber mit Eltern und Erwachsenen sprechen kann.“

Man sollte bei Gesprächen über das Thema in der kindlichen Welt bleiben. Das funktioniert am besten, wenn man bei den Kinderfragen zurückfragt: Was meinst du damit? Was denkst du selbst? So erfährt man oft viel genauer, was die Kinder umtreibt.

Heyne hat durch ihre Arbeit mit vielen Eltern über Bücher gesprochen, die Sexualität thematisieren. So kristallisierte sich eine Liste mit ihren fünf Favoriten heraus. Einige eigneten sich eher für „Einsteiger“, andere für Eltern, die mit ihren Kindern bereits über Sexualität gesprochen haben. Auch die Altersgruppen, die sie nennt, geben bloß eine grobe Richtlinie, denn Interesse und Vorwissen unterschieden sich von Kind zu Kind und von Familie zu Familie.

Wichtig ist mir, dass sie Sex nicht als etwas präsentieren, das zwei Menschen machen, die sich „liebhaben“. Das ist eine ungenaue Formel, mit der übergriffige Erwachsene oft ihre Taten verbrämen. Und die Behauptung, dass „sich liebhaben“ dasselbe sei wie Sex, entspricht auch schlichtweg nicht der Welt, in der Kinder aufwachsen.

1. Der Klassiker

„Von wegen Bienchen und Blümchen“ von Carsten Müller und Sarah Siegl ist eine schöne Möglichkeit zum Einstieg. Auf schlechten Darstellungen vieler Bücher ist die Vulva einfach ein Schlitz, die Menschheit teilt sich dann in die mit Penis und die ohne Penis – das schadet dem Selbstbild von Mädchen massiv. Hier dagegen werden auf jeweils einer Seite die kompletten Geschlechtsorgane von Kindern realistisch gezeigt.

Außerdem spricht das Buch differenziert von Gefühlen: „Manchmal kann die gleiche Sache ein gutes Gefühl auslösen und ein anderes Mal ein schlechtes. Wenn du nicht durchgekitzelt werden möchtest, dann darfst du das sagen.“ Das Buch ist allerdings streng geschlechterdichotom: Es gibt Jungs und es gibt Mädchen. Das ist für das Kindergartenalter in Ordnung, aber man könnte es auch komplexer darstellen. Das Buch eignet sich für Kinder ab vier bis fünf Jahren.

2.    Für Fortgeschrittene

„Wie entsteht ein Baby?“ von Cory Silverberg und „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht“ von Rachel Greener verfolgen ähnliche Ansätze. Beide Bücher erklären die vielfältigen Formen von Familie und Schwangerschaft. Nicht weil Mann und Frau Geschlechtsverkehr haben, entsteht ein Baby, sondern weil Samenzelle und Eizelle auf verschiedenen Wegen zusammenkommen: Sex, künstliche Befruchtung, Adoption oder Patchwork-Familien.

Das sind sicher keine Bücher für den Anfang, sondern eher für Kinder, die schon gut Bescheid wissen. Manchen Eltern sind sie zu progressiv – ich empfehle sie vor allem denen, die von der Mama-und-Papa-haben-sich-lieb-Logik wegkommen wollen oder in queeren Familienverhältnissen leben. Beide Bücher eignen sich für Kinder ab fünf bis sechs Jahren.

3.    Das Unverkrampfte

„Überall Popos“ von Annika Leone und Bettina Johansson behandelt das Thema Sexualität sehr unverkrampft – nämlich indem es ein Mädchen begleitet, das mit seinen Eltern ins Schwimmbad fährt. Dort sieht es alle möglichen Menschen unter der Dusche und in der Umkleide und bestaunt ihre Körper. Das ist toll, weil es Kinder in einer alltäglichen Situation abholt. Das Buch eignet sich für Kinder ab vier Jahren.

4. Für Wissbegierige

„Klär mich auf“ und „Klär mich weiter auf“ von Katharina von der Gathen ist für alle gut, deren Kinder immer noch eine „Warum“-Frage hinterherschieben. Zwar sollte man grundsätzlich immer zurückfragen und versuchen, mit dem Kind in dessen eigene Welt einzutauchen, aber die Bücher liefern gute Antwortideen, falls einem die Puste ausgeht. „Was ist ein Kondom?“ „Wie fühlt man sich, wenn man verliebt ist?“ „Können Jungen auch ihre Tage bekommen?“ Das Buch eignet sich für Kinder ab sechs Jahren.

5.    Die Abgefahrenen

„Lina, die Entdeckerin“ und „Bruno will hoch hinaus“, beide im Achse-Verlag erschienen, begleiten jeweils ein Kind auf einer Entdeckungsreise in seinen Körper. Beide Bücher sind farbenfroh und liebevoll illustriert und starten mit Alltagsfragen. Bin ich wirklich aus diesem kleinen Loch rausgekommen? Und: Welche Unterhose ist heute wohl die richtige?

Dann gelangen beide Bücher aber an einen Punkt, der manche Eltern irritiert. „Lina“ reist buchstäblich ins Innere der Vagina, um die Menstruation zu erforschen. Und bei „Bruno“ geht es irgendwann nur noch um die „Rakete“, das Buch verliert sich in der Metapher. Die eigentliche Kinderfrage, wann und warum der Penis steif wird, bleibt unbeantwortet. Trotzdem sind beide Bücher eine gute Anregung, um ins Gespräch zu kommen. Sie eigenen sich für Kinder ab fünf bis sechs Jahren.

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