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Richter

© dpa

Usedom: Im Herzen das Meer

Hans Werner Richter liebte die Insel Usedom und schrieb mehrmals darüber. Ein Museum in Bansin erinnert an den Kopf der "Gruppe 47".

Der Schriftsteller Hans Werner Richter (1908–1993) ist heute vor allem als Oberhaupt der "Gruppe 47" ein Begriff. Eher ein Funktionär also denn ein eigenständiger Autor, denkt man. Dass Richter zwölf Romane geschrieben hat, dass er Antikriegsliteratur in der Nachkriegszeit verfasste und später satirisch-gesellschaftskritische Darstellungen, ein eigenes Werk also vorlegte, wissen nur noch wenige.

Und dass Richters Heimat Usedom war, gehört auch nicht unbedingt zum Allgemeinwissen. Hans Werner Richter lebte in der Nachkriegszeit in München, dort starb er auch. Begraben aber liegt er in Bansin, seinem Geburtsort. "Der Ort wurde in den drei Perioden zuerst als Adelsbad, dann als Bad des Kurfürstendamms, dann als exklusives Volksbad und schließlich als Bad des FDGB, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, bezeichnet", charakterisiert Richter seinen Heimatort in seinen "Geschichten aus Bansin" von 1970.  Richters Vater war Bademeister (und auch Fischer und Maurer und Musiker), die Mutter schaffte das Geld heran. Frühzeitig kümmerte sie sich um die Touristen, wusch und plättete zunächst für die Hochwohlgeborenen in der Kaiserzeit, dann vermietete sie Zimmer. So war die große Familie zu ernähren.

Hans Werner Richter, als Zweitjüngster in einer siebenköpfigen Kinderschar geboren, probierte sich mit allen möglichen Beschäftigungen aus, ehe er über eine Lehre in einer Buchhandlung seine Liebe zur Literatur fand. "Das Lesen war jetzt für mich zu einer Entdeckungsfahrt in ein unbekanntes Land geworden", erinnerte sich Richter später.  "Es war ein kleiner Ort, mit etwa 500 Einwohnern", schreibt Richter in "Spuren im Sand", "und seine Häuser, am Strand noch drei- und vierstöckig, wurden etwa einen Kilometer landeinwärts immer kleiner, bis hin zu den armseligen Hütten der Fischer". In einer solchen Hütte verbrachte Richter seine ersten beiden Lebensjahre, ehe die Familie dann in die Seestraße umzog.

"Es gab nur drei Straßen in unserem Ort, die Seestraße, die Schloonstraße und die Bergstraße", erinnert sich Richter an seine Kindheit. "Dann kamen das Meer, der Wald und die Steilküste." Die Seestraße begann im Süden am Bahnhof und verlief nach Norden bis zum Meer. So ist das bis heute geblieben. Die Seestraße heißt noch Seestraße und auch das Elternhaus steht noch, es ist die Nummer 86. "Haus Paula" nennt es sich nach der jüngeren Schwester, frisch herausgeputzt ist es, weiß grundiert und blau umrahmt, mit Giebelchen und Erkerchen, Balkönchen und schmiedeeisernen Verzierungen – ein kleines Schmuckstück am Wegesrand. Im biblischen Alter lebt darin heute noch die Schwester.

Kleine Erinnerungsstätte in der alten Feuerwache

Nicht weit davon weist ein Schild auf das "Hans-Werner-Richter-Haus". In der alten Feuerwache von 1906 ist seit ein paar Jahren eine kleine, aber feine Erinnerungsstätte untergebracht. In jenem "Spritzenhaus" also, das Richter mehrfach in seinen Erzählungen erwähnte und in dem nicht nur die "Feuerwehrspritze" stand, sondern zugleich das Gefängnis untergebracht war. Im Parterre ist nun Richters Münchner Arbeitszimmer wieder aufgebaut mit dem schlichten, erstaunlich kleinen Schreibtisch und der soliden "Olympia". Ein paar persönliche Gegenstände sind dazugekommen wie das legendäre Glöckchen der "Gruppe 47", ein Hochzeitshut von dunnemals oder ein orientalischer Gebetsteppich, den ihm Heinrich Böll einst schenkte. Und es stehen natürlich viele Bücher beisammen, vor allem von Schriftstellern der Nachkriegszeit, Grass und Lenz und Walser natürlich, viele signiert und mit Widmungen versehen. Richter war wohl für viele Schriftsteller dieser Generation so etwas wie eine väterliche Figur. Günter Grass erinnerte in seiner Autobiografie an seinen "Dichtervater".

Das kleine Schriftstellermuseum in Bansin wurde von Pfarrer Martin Bartels initiiert. Jenem "Bruder Martin" also, den Richter in seiner Erzählung von 1989 verewigte. Bartels war es, der Richters Liebe zu Usedom wieder auffrischte. 1986 ermöglichte er dem Schriftsteller – nach zehnjährigem Einreiseverbot – die Wiedereinreise, und es kam zu einer Lesung in der kleinen Dorfkirche von Benz. Jene Kirche also, in der Richter einst konfirmiert worden war und mehr als sechzig Jahre später dann voller Rührung und schwitzend vor Anspannung seine "Geschichten aus Bansin" vorlas. "Mir wurde sehr heimatlich zumute", gestand Richter, "eine Welle der Sentimentalität packte mich, ich konnte mich nicht dagegen wehren."

Unvergesslich für ihn und alle, die daran teilnahmen. Und dort, in dieser kleinen Kirche, die heute immer noch unverändert erhalten geblieben ist, entstand wohl Richters Entschluss, in seiner Heimat einst auch begraben sein zu wollen. Martin Bartels erinnert sich, wie Richter in seinen letzten Lebensjahren immer wieder an die Ostsee kam, versonnen auf der Promenade saß, die Meeresluft genoss und stundenlang in die Ferne blicken konnte. Im Frühjahr 1993 begleitete Pfarrer Bartels den Schriftsteller zur letzten Ruhe auf dem Dorffriedhof von Bansin. Dort liegt er neben seinen Eltern und den fünf Brüdern begraben.

Es gibt noch viele Spuren an der Ostsee, denen mit Richters Erzählungen nachgegangen werden kann. Seine Bücher liegen vor, die meisten allerdings sind nur antiquarisch zu erhalten. Seine Wiederentdeckung – auch als Schriftsteller – findet vielleicht im kommenden Jahr erst so richtig wieder statt. Dann wird – im November – Richters 100. Geburtstag gefeiert werden. Und dies selbstverständlich auch mit einem umfangreichen Programm in Bansin, seiner ewigen Liebe.

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