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„Ich denke, jeder pinkelt in den Pool.“ Schwimmstar Michael Phelps, hier mit Ryan Lochte nach dem 200-Meter-Lagen-Sieg.

© dapd

Schwimmen: Urin im Pool - wie gehen Hallenbäder damit um?

Besucher im Schwimmbad hinterlassen durchschnittlich 200 Liter Urin im Becken. Die US-Schwimmstars Phelps und Lochte haben das Thema mit Selbstbezichtigungen aufgebracht. Die Berliner Bäderbetriebe sehen keine Gesundheitsgefahr.

Von Katrin Schulze

Als ob das Geständnis an sich noch nicht gereicht hätte. Jetzt führt es Ryan Lochte, der Olympiasieger aus den USA, in beinahe epischer Breite aus. In einem Video erklärt er, warum er es beim Schwimmen einfach laufen lässt. „Das Becken ist die größte Toilette – und sie gehört mir“, erzählt Lochte so ernst, wie es geht. „Tiere markierten ihr Revier, und mein Revier ist eben der Pool. Da pinkle ich rein.“ Und mit dieser Eigenart ist Lochte nicht allein. Sein Kollege Michael Phelps, immerhin Rekord-Goldmedaillensammler, ging kürzlich sogar davon aus, dass wohl jeder ins Becken pinkle. Er also auch.

Was Olympiasieger nicht schreckt, dürfte für gewöhnliche Badegäste in deutschen Schwimmbädern dann doch wohl erst recht gelten. Wie viele Menschen genau in die Pools urinieren, lässt sich freilich nicht ermitteln – zumal es nicht jeder zugeben wird. Klar ist jedoch, dass sich pro Liter in der Regel zwischen 0,7 und 1,6 Milligramm Harnstoff im Beckenwasser befinden, wie Messungen ergaben. Das hört sich zunächst wenig an, aber so kommen in einem gewöhnlichen Hallenbad 200 Liter Urin pro Tag zusammen; verteilt auf eine gesamte Wassermenge von knapp einer Million Liter.

Wirklich sauber geht es nirgends zu, wo viele Menschen durch Wasser toben, sie hinterlassen Schweiß, kleine Haare, Reste von Sonnencreme – und eben manchmal Urin. Deswegen werden die Bäder auch gechlort. „Wir sind verpflichtet, eine bestimmte Menge Chlor ins Wasser zu geben. Die Norm DIN 19643 sieht einen Grenzwert von einem Milligramm pro Liter Wasser vor“, sagt Wolfram Kaube, der die Abteilung Technik bei den Berliner Bäderbetrieben leitet. „Denn Chlor dient der Desinfizierung.“ Es macht Bakterien unschädlich und tötet Krankheitserreger ab.

Video: Michael Phelps: "Ich hatte Angst vor Wasser"

Damit es den Schwimmern gut geht, nimmt man in den Bädern mehrmals täglich Wasserproben. Je nach ermitteltem pH-Wert wird dann kontinuierlich nachgechlort, genauso wie immer wieder Frischwasser hinzugegeben wird. „Pro Badegast 30 Liter“, sagt Kaube. Das funktioniere sehr genau, und bedenklich sei das Baden angesichts der strengen Richtlinie in Deutschland ohnehin nicht. Trotzdem mag dem ein oder anderen komisch vorkommen, in ein Becken zu springen, in das sich ein anderer Badegast womöglich gerade erleichtert hat.

Wenn es raus muss, muss es raus - so sehen das die Profi-Schwimmer.

Die Profischwimmer aus den USA scheinen dagegen abgehärtet zu sein – so locker und offen, wie sie mit dem Thema in der Öffentlichkeit umgehen. „Wenn wir zwei Stunden im Wasser sind, gehen wir nicht wirklich raus, um uns zu erleichtern“, sagte Michael Phelps dem „Wall Street Journal“. Und bekam prompt Unterstützung von seiner Kollegin Carly Geehr, die über den Auskunftsdienst „Quora“ mitteilte, dass beinahe 100 Prozent der Wettkampfschwimmer ins Becken pinkeln. Als Schwimmer müsse man halt einfach akzeptieren, im Urin unterwegs zu sein. Wenn es rausmuss, muss es raus, so könnte Geehrs Motto lauten. Mal passiere es sogar schon vorher unter der Dusche, mal vor dem Wettkampf, mal danach, und beim Brustschwimmen ginge es auch mal ebenso während eines Rennens. Wer soll einen dabei schon ertappen? Es sieht ja keiner.

Aber riechen können wir es. In jedem öffentlichen Becken. Denn der typische Schwimmbadgeruch kommt durch die Mischung von Urin und Wasser überhaupt erst zustande. „Freies Chlor riecht nicht“, sagt Wolfram Kaube von den Bäderbetrieben. „Erst, wenn es sich mit Harnstoffen mischt, entstehen Chloramine, die für den Geruch verantwortlich sind.“ Dabei ist es nicht nur der Bequemlichkeit einiger Badegäste geschuldet, dass die Wasserfreuden nicht geruchsneutral und ungetrübt ablaufen. Auch ohne dass man es möchte, können unter Wasser schon mal Tropfen Urin verloren gehen – unter Anstrengung zum Beispiel.

In den meisten öffentlichen Bädern strengen sich Leute an: Hier turnt die Aqua-Gymnastik-Gruppe durchs Becken, dort mühen sich die Kleinen zum Seepferdchen oder ziehen Hobbyschwimmer ihre Bahnen. Da lassen sich Schmutzpartikel nicht vermeiden.

Womöglich nimmt Ryan Lochte die Sache deshalb inzwischen mit Humor. In seinem Video, veröffentlicht auf der Plattform „Funny or Die“, verrät er noch etwas über seinen Werdegang zum berühmtesten Beckenpinkler der Welt. Es benötige Übung, erzählt er – erst versucht man es in der Badewanne, dann im Whirlpool, dann im flachen Teil des Schwimmbeckens und als Profi schließlich im tiefen. „Heute pinkle ich nirgendwo anders mehr als im Schwimmbecken.“ Dann steht Ryan Lochte in seinem dunkelblauen Kapuzenpulli plötzlich neben einer Toilettenschüssel und sagt: „Man kann nicht erwarten, dass ich in so etwas schwimme.“

Kann man nicht. Festhalten kann man aber, dass es immer einen braucht, der damit anfängt, vermeintliche Tabus zu brechen.

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