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Die innere Mitte finden. Wenn Frauen nach der Geburt zum Yoga kommen, dann geht es um mehr als bloß um Fitness.

© imago/Peter Widmann

Die Yogakolumne: Auf dem Beckenboden der Tatsachen

Warum Postnatal-Yoga keine seichte Veranstaltung für Besserverdienende ist.

Alles wirkt easy auf den ersten Blick im Yoga für frischgebackene Mütter. Der Flur verwandelt sich in einen Fuhrpark voller Kinderwagen, pausbackige Babys strampeln auf den Armen ihrer tollen Mamis – strahlend-schön sie alle, wie aus der Margarine-Werbung.

Doch schnell erfahre ich von den Frauen im Postnatal-Kurs, wie es wirklich ist, ihr Leben mit dem Neugeborenen. Die meisten von ihnen wohnen irgendwo im zweiten oder dritten Stock eines Mehrfamilienhauses. Ihr Partner, wenn es einen gibt, war vielleicht bei der Geburt dabei, aber sechs bis acht Wochen später arbeitet er wieder. Die Verwandten wohnen weit weg oder haben (mit sich) selbst genug zu tun. In vielen anderen Kulturen steht den jungen Müttern ein ganzes Dorf unterstützend zur Seite. Hier nicht.

Allein die Vorbereitung vor dem Kurs kommt einem Nahkampf gleich: Duschen geht nur in der kleinen, unvorhersehbaren Lücke, in der das Baby schlummert, dann möglichst zeitnah Stillen, aufs Bäuerchen warten, mit Glück danach die Windeln wechseln. Sonst fordert der Säugling garantiert mittendrin sein Recht. Spucktuch, Feuchttücher, Krabbeldecke, Rassel einpacken. Auf halber Treppe feststellen, dass das Handy auf dem Küchentisch liegt, Treppe wieder hoch, dabei fürchten, dass jemand den Kinderwagen klaut. Jetzt Jogging-Tempo einlegen, sicherheitshalber eine Hand im Schritt; rennen mit noch geschwächtem Beckenboden ist keine gute Idee.

Keine Spur von heilsamer Stille

Wenn diese Frauen einmal die Woche zum Yoga kommen, dann geht es ihnen nicht nur darum, wieder fit zu werden. Auch die Gemeinschaft ist ihnen wichtig. Hier wissen alle, wie sich andauernder Schlafentzug, zerbissene Brustwarzen und Haarausfall anfühlen. Auch von heilsamer Stille sind wir in diesem besonderen Kurs weit entfernt. Dafür sieht es wunderbar absurd aus, wenn die jungen Mütter mit gegeneinander gepressten Großzehballen im Schmetterling sitzen und an den eigenen Daumen saugen, damit sie ihren Beckenboden spüren, und ich Lehrerin dabei mit den zwei derzeit quengeligsten Babys durch die Reihen schreite. Anschließend liegen die Frauen zur Entlastung der prallen Brust auf gefalteten Decken unter den Rippen, wir lassen die Säuglinge mit den Füßen Wasserbälle an Schnüren kicken (sind einige Lionel Messis dabei), und stellen uns, auf unseren Händen sitzend, vor, wie unsere Pobacken, durch ein Gummiband miteinander verbunden, einem Aufzug gleich in unserm Innern rauf- und runterfahren.

Vorbereitung für die Meisterleistung

Monate haben diese Frauen ihren Körper einem anderen zur Verfügung gestellt, jetzt wollen sie ihre Mitte zurückerlangen. Sehnen, Bänder und Gelenke sind hormonell aufgelockert, Nacken und Schultern durchs Tragen und Stillen verspannt, und auch lange nach der Geburt stehen viele Frauen da, wie in ihrer schwangersten Phase: Füße nach außen, Knie durchgedrückt, Bauch nach vorn. So war das auch bei mir. Einen Handwerker schockte ich mal mit Baby im Arm, der fragte völlig entsetzt, ob ich in den nächsten Tagen noch eins erwartete ...

Ich verstehe gut, dass einige am liebsten für immer in unserem geschützten Raum blieben, aber spätestens wenn ihr Nachwuchs beginnt, die einzig ungesicherte Steckdose abzulecken, müssen sie zurück in den normalen Kurs und die Kinder anders betreut werden.

Postnatal-Yoga – eine seichte Veranstaltung für Besserverdienende? Nein! Es ist die Vorbereitung für den Marathon, der folgt, die Meisterleistung, die unsere Renten sichert: ein Kind großziehen.

Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de.

Patricia Thielemann

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