zum Hauptinhalt

Wirtschaft: 1,4 Millionen neue Jobs – durch Zwang

Wirtschaftsminister Glos will Erwerbslose zur Arbeit verpflichten – Ökonomen stützen seinen Plan

Stand:

Berlin - 1,4 Millionen zusätzliche Stellen könnten in Deutschland entstehen, wenn der Arbeitsmarkt nach den Plänen von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) umgebaut würde. Der Staat könnte zugleich bis zu 25 Milliarden Euro im Jahr sparen. Das ist das Ergebnis einer neuen Berechnung des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Das Glos-Modell sei weitaus wirksamer für den Niedriglohnbereich als alle anderen bislang vorgelegten Ideen, heißt es. Die Koalitions-Arbeitsgruppe, die derzeit die Reform des Jobmarktes verhandelt, ist dennoch skeptisch, ebenso wie die Gewerkschaften.

Glos’ Beamte hatten kürzlich ein Konzept entwickelt, demzufolge es eine Arbeitspflicht für alle Jobsuchenden geben soll. Jeder müsste demnach eine reguläre oder eine öffentlich eingerichtete Stelle im Umfang von 39 Wochenstunden annehmen – ähnlich den bereits existierenden Ein-Euro-Jobs. Weigert er sich, soll ihm die staatliche Unterstützung gestrichen werden. Ist der Lohn geringer als das Existenzminimum, soll der Staat einen Zuschuss bis zum Niveau des Arbeitslosengeldes II zahlen. Die Idee dahinter: Durch eine reguläre Tätigkeit könnten sich Erwerbslose besser stellen, als wenn sie bei gleichem Zeitaufwand eine geringer bezahlte und verpflichtende Arbeit erledigen müssen. Kurzfristig könne der Staat so bis zu 2,7 Milliarden Euro sparen, im Saldo aus höheren Steuer- und Beitragseinnahmen sowie weniger Ausgaben für das ALG II wären es 25 Milliarden im Jahr.

Derzeit ist es für viele Arbeitslose attraktiv, nur einen Teilzeitjob anzunehmen und zugleich Arbeitslosengeld zu beziehen. Ein regulärer Job wird erst interessant, wenn sie deutliche Lohnsteigerungen bietet – wegen der geringen Produktivität vieler Arbeitsloser weigern sich viele Firmen aber, solche Aufschläge zu zahlen. Hier schaffe das Glos-Modell Abhilfe, sagte Klaus Zimmermann, Chef des IZA und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dieser Zeitung. „So bekommt die Gesellschaft eine Gegenleistung dafür, dass sie Bedürftigen Sozialtransfers zahlt. Das ist ein faires Prinzip.“ Die Regierung solle den Aufschwung für die Reform nutzen – „einen besseren Zeitpunkt wird sie kaum finden“.

Das Glos-Konzept ist weitaus wirksamer als das Modell, das Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) bislang favorisiert – dieses brächte weniger neue Stellen, wäre bürokratischer und würde weniger einsparen. Bei dem von den Wirtschaftsforschern Peter Bofinger und Ulrich Walwei entwickelten Konzept soll der Staat Geringverdienern die Sozialbeiträge ganz oder teilweise zurückzahlen.

Die Arbeitsgruppe wird am Montag zusammenkommen, um über weitere Reformschritte zu sprechen. In Kürze will sie ihre Arbeit beenden. Über das Glos-Modell soll nicht gesprochen werden, hieß es in Expertenkreisen. Die SPD lehnt es ohnehin ab. „Es müssten 500 000 zusätzliche Ein-Euro-Jobs geschaffen werden – das zeigt, wie realitätsfern der Vorschlag ist“, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Klaus Brandner, dieser Zeitung. „Einen verstärkten Arbeitszwang für Arbeitslose auszuüben ist nicht der Weg, um Beschäftigung zu schaffen.“

Auch die Gewerkschaften sind skeptisch. „Dieser Arbeitsdienst brächte kein Job-Wunder, sondern ein Armutsprogramm für Langzeitarbeitlose, deren Lebensperspektive dann das ALG-II-Niveau auf Dauer wäre“, sagte Annelie Buntenbach, Vorstand beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Zudem würde für Arbeitnehmer das, so Buntenbach, „Erpressungspotenzial in den Betrieben noch mehr zunehmen“. Der DGB lehne es ab, Arbeitslose „abzuschieben“ und die Löhne zu drücken. „Wir brauchen Lösungen, die dazu beitragen, die Bedürftigkeit und Armut von Arbeitslosen oder Geringverdienern zu vermeiden“, verlangte sie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })