Angst vor einer Rattenplage: Branche wehrt sich gegen Giftverbot
Voraussichtlich von 2026 an dürfen Privatpersonen nur noch Fallen gegen die Nager einsetzen. Landwirtschaft und Schädlingsbekämpfer befürchten einen „hohen Rattendruck“.
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Derzeit, so meint Marcus Römer, „funktioniert der Werkzeugkasten ganz gut“. Und zwar deshalb, weil unterschiedliche Akteure verschiedene Instrumente im Kampf gegen den Feind einsetzen. Römer ist Kammerjäger und Vorstandsmitglied im Verband der Schädlingsbekämpfer. Der Feind ist ein „Kulturfolger“, der überall dort auftaucht, wo sich Menschen niederlassen: die Wanderratte.
Mit Gift und Fallen gehen professionelle Schädlingsbekämpfer, Landwirte und Privatleute gegen die rund 200 Millionen Ratten vor, die hierzulande in Kellern, Gärten und Parks, Lagerhäusern, Ställen und in der Kanalisation leben.
Wie viele es wirklich sind, weiß niemand. Schätzungen gehen von drei bis vier Ratten pro Kopf in größeren Städten aus. Einer Studie zufolge verursachen die Nager jedes Jahr Schäden von knapp zwei Milliarden Euro. Das könnte künftig mehr werden.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) will Privatpersonen den Einsatz von Rattengift verbieten; nur noch Profis sollen die chemische Keule einsetzen dürfen. Doch die gewerblichen Schädlingsbekämpfer könnten das gar nicht leisten, meint Römer im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Es wird deutlich mehr Ratten geben.“
Sogenannte Rodentizide respektive die blutgerinnungshemmenden Antikoagulanzien sind aufgrund einer Biozid-Verordnung der EU verboten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Hierzulande dürfen die Gifte bis Ende dieses Jahres noch von Privatpersonen genutzt werden. Danach sind „antikoagulante Rodentizide nur für die Verwendung durch geschulte berufsmäßige Verwender mit Sachkunde vorgesehen“, heißt es bei der BAuA.
Die Tiere fressen den Köder, der die Blutgerinnung hemmt, und verenden aufgrund innerer Blutungen nach vier bis sechs Tagen. So weit, so gewünscht. Doch auch andere Tiere können die Köder fressen – oder die Kadaver der vergifteten Nager. Deshalb das Verbot.

© imago/Hohlfeld
„Wir haben erhebliche Umweltrisiken festgestellt“, teilt das Umweltbundesamt (UBA) auf Anfrage mit. Die Blutungen bei den Nagern verursachten „Schmerzen und Tierleid“ und Kollateralschäden. Außer in Waldmäusen und Spitzmäusen, die nach der Bundesartenschutzverordnung geschützt sind, „wurden beispielsweise in mehr als 30 Prozent der untersuchten Singvögel Rückstände von Rattengift in teils sehr hohen Konzentrationen nachgewiesen“.
Sogar in Fischen sowie Fischottern habe man Giftspuren gefunden als Folge von Bekämpfungsmaßnahmen in der Kanalisation und an Uferbereichen. „Das Rattengift, das sich in der Leber anreichert, führt auch bei Fischen zeitverzögert zu einer Hemmung der Blutgerinnung, Blutarmut, inneren und äußeren Blutungen und schließlich zum Tod.“ Das hätten „experimentelle Langzeitversuche mit Regenbogenforellen“ ergeben.
Stadtbevölkerung und -verwaltung müssen sicherstellen, dass Lebensmittelreste in rattensicheren Mülleimern entsorgt werden, Wildtierfütterungen unterbleiben, Zugänge zu Gebäuden verschlossen werden und Speisereste nicht in der Toilette landen.
Bundesumweltamt
In ihren Plädoyers für ein Verbot argumentieren die deutschen Behörden nicht allein mit den problematischen Wirkungen auf die Umwelt. Rattengift sei „keine nachhaltige Maßnahme zur dauerhaften Reduktion einer Rattenpopulation“, meint das UBA. Es komme vielmehr auf die Menschen an.
„Stadtbevölkerung und -verwaltung müssen sicherstellen, dass Lebensmittelreste in rattensicheren Mülleimern entsorgt und wilde Müllablagerungen beseitigt werden, Wildtierfütterungen möglichst unterbleiben, Zugänge zu Gebäuden verschlossen und Speisereste in der Biotonne entsorgt werden und nicht in der Toilette oder auf dem Komposthaufen landen.“

© Roland Weihrauch/dpa
Hygienemaßnahmen und ein bewussterer Umgang mit Lebensmittelresten helfen gegen die Schadnager, das bestätigt Kammerjäger Römer. Dennoch hat er den „Brandbrief“ unterschrieben, in dem außer den Schädlingsbekämpfern Verbände der Agrarwirtschaft, Gartenbauer und Unternehmen eine „dramatische Verschärfung der Rattensituation in Städten und Gemeinden“ voraussagen, sobald das Gift verboten ist.
„Nur wirksame Bekämpfungsmöglichkeiten, die auch die Privatanwendung von Ratten-Fraßködern einschließen, begrenzen die unkontrollierte Ausbreitung“, heißt es in dem Schreiben.
Die Lobbyisten argumentieren mit Gesundheitsrisiken. Ratten könnten mehr als 100 Infektionskrankheiten übertragen, darunter auch potenziell tödliche. BAuA und Umweltbundesamt bewerteten den Umweltschutz höher als den Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
Durch Fressen vergifteter Nagetiere sind vor allem Raubvögel, wie Mäusebussarde oder Eulen, aber auch Füchse und Wiesel sind stark gefährdet.
Bundesumweltministerium
Das BAuA teilt auf Anfrage mit, es werde geprüft, ob die „befallsunabhängige Dauerbeköderung“ und die Anwendung durch private Rattenbekämpfer von 2026 an verboten werden. Für die Entscheidung zur Wiedergenehmigung des umstrittenen Stoffs würden „etwaige unannehmbare Wirkungen auf Nicht-Zielorganismen“ berücksichtigt.
Dazu schreibt wiederum das Bundesumweltministerium: „Durch Fressen vergifteter Nagetiere sind vor allem Raubvögel, wie Mäusebussarde oder Eulen, aber auch Füchse und Wiesel sind stark gefährdet. Auch Haustiere wie Hunde und Katzen können einer Gefahr ausgesetzt sein.“
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Der sogenannte Zulassungsinhaber für den Verkauf des Rattengiftes hierzulande ist die Firma SBM, ein französisches Unternehmen mit 1000 Mitarbeitenden in 31 Ländern, das 2016 die Gartensparte des Bayer-Konzerns übernommen hat. Im Auftrag von SBM erstellte der Ökonom Frank Maier-Rigaud ein Gutachten zu „Auswirkungen eines Verbotes von Rodentiziden für Privatpersonen in Deutschland“.
Aufgrund der Absatzzahlen des Rattengifts geht Rigaud von gut 800.000 Rattenbefällen in Deutschland aus, die jedes Jahr durch Privatpersonen bekämpft werden. Professionelle Kammerjäger könnten das nicht übernehmen, heißt es im Gutachten, denn dazu wären 1500 Kammerjäger zusätzlich erforderlich. Doch offenbar ist der Job nicht besonders attraktiv: Nur 53 Personen haben Rigaud zufolge im Schnitt der letzten Jahre die dreijährige Ausbildung absolviert.
Da die rund 1000 Firmen mit insgesamt etwa 5000 Kammerjägern hierzulande ausgelastet seien mit den Aufträgen gewerblicher Kunden (Kommunen, Wohnungsgesellschaften, Logistikkonzerne und Lebensmittelfirmen), müssten private Auftraggeber warten, meint Marcus Römer, dessen Firma seit 1907 Schädlinge bekämpft. Und dann wird es teuer.
„Gibt jeder Private das Zehnfache für einen Schädlingsbekämpfer aus?“, fragt Römer rhetorisch. Wahrscheinlicher sei die illegale Beschaffung von Gift „im Internet oder in Polen“. Gutachter Rigaud zufolge kostet der Einsatz eines Profis rund 400 Euro. Eine Packung Rattengift gibt es derzeit im Baumarkt für rund 20 Euro; ähnlich teuer ist die Köderbox.
Fallen statt Gift
Die Empfehlung von Bundesanstalt, Umweltbundesamt und Umweltministerium, sogenannte Schlagfallen anstatt des Giftes in Haus und Garten einzusetzen, sei gut gemeint, werde aber der Dimension des Problems nicht gerecht, zumal die schlauen Tiere die Gefahr erkennen. „Keine einzige Studie konnte eine mit Antikoagulanzien vergleichbare Effektivität von Fallen nachweisen“, schreibt der Gutachter.
Alles in allem, so resümiert Rigaud die möglichen Folgen des Verbots, werde sich die Rattenpopulation „rasant vervielfältigen“, was wiederum zu mehr Krankheitsfällen führe. Kurzum: „Eine Ausnahmeregelung für den Einsatz von Rodentiziden für Privatpersonen ist angebracht.“
Beratungspflicht im Baumarkt
In den Niederlanden ist das Gift seit 2024 verboten, was möglicherweise die zunehmenden Berichte über Rattenplagen erklärt. Auch wurden 2024 von den niederländischen Behörden mehr Betriebe aufgrund des Schädlingsbefalls geschlossen als im Vorjahr. Für Michaela Schmitten-Pitta, die deutsche Geschäftsführerin von SBM, eine Folge des Giftverbots. „Der Rattendruck hat extrem zugenommen“, sagt Schmitten-Pitta dem Tagesspiegel.
Die Niederlande seien eine Ausnahme in der EU, andere Länder erlaubten das Gift auch für private Anwender. In Italien und Frankreich könnten die Verbraucher die Rodentizide im Supermarkt kaufen, in Deutschland dagegen, darauf weist Schmitten-Pitta hin, gibt es seit Anfang des Jahres ein Selbstbedienungsverbot.
SBM habe sich an der Schulung von 20.000 Verkäuferinnen und Verkäufern in Bau- und Gartenmärkten beteiligt, damit die Kunden über die sachgerechte Anwendung der Köder in Boxen beraten würden, sagt Schmitten-Pitta. Der Onlineversand ist nur möglich nach einem vorausgegangenen Telefonat zwischen Kunde und Versender.
Anders als in den Kommunen, beispielsweise habe Dortmund die Stadtbewohner zum Kampf gegen die Ratten aufgefordert, sei das Thema auf der Bundesebene der Politik noch nicht angekommen. Schmitten-Pitta hofft auf den Regierungswechsel.
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