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Ferkel in einem Stall in Niedersachsen (Archivbild von 2012)

© dpa/Carmen Jaspersen

Agrarpolitik und Tierquälerei: Auf dem Land und im Stall herrscht das Unrecht

Es ist absurd, dass Pestizide und Massentierhaltung als konventionelle Landwirtschaft gelten. Die Agrarindustrie ist tierquälerisch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn ist heute nicht jedem mehr als ein zentraler Ort der jüngeren deutschen Geschichte gegenwärtig. Vor gut 70 Jahren versammelte sich unter dem Präsidium von Konrad Adenauer im Lichthof des wilhelministischen Gebäudes der Parlamentarische Rat, um in den folgenden Monaten unser Grundgesetz zu erarbeiten – das am 8. Mai 1949 gleichfalls in Bonn beschlossen wurde.

Als Konrad Adenauer bald darauf zum ersten Bundeskanzler gewählt wurde, wurde das im Krieg weitgehend unbeschädigte Museum für kurze Zeit auch zum ersten Kanzleramt. Als Adenauers Arbeitszimmer diente die Ornithologische Bibliothek. So begann die Politik der jungen Bundesrepublik unter alten Vogelzeichen. Das heutige Zoologische Museum birgt zugleich das Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, und Wolfgang Wägele, sein Direktor, gilt als internationale Koryphäe für Tausendfüßler und Asseln.

Im soeben erschienenen Magazin der Leibniz-Gemeinschaft warnt der Spitzenforscher vor den ökologischen Folgen des Insekten- und damit zusammenhängenden Vogelsterbens, das wiederum mit der industriellen Landwirtschaft, den Pestiziden, dem Raubbau an den natürlichen Grundlagen zu tun hat. In Variation des Bonmots aus der Chaostheorie ließe sich sagen: Nicht der Flügelschlag eines Schmetterlings, sondern das Fehlen so vieler Schmetterlinge jetzt im Frühjahr kann schon ein Signal sein für größeres Unheil.

Das Unrecht herrscht auf Straßen, Äckern und in Viehställen

Alles hängt mit allem zusammen. Trotzdem soll es hier nicht um Glyphosat, Monsanto und auch nicht um die wunderbare Weltretterin Greta Thunberg gehen. Eher, apropos Grundgesetz, um die Herrschaft des Unrechts.

Diese Herrschaft hatte Innenminister Seehofer vor drei Jahren an den deutschen Grenzen gesehen. Das war ein Irrtum. Denn das Unrecht herrscht, wenn überhaupt, im Landesinneren. Auf Straßen und Äckern, in Viehställen zum Beispiel. Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik sind traditionell eher in der Hand von Lobbyisten als von handlungsstarken, Vernunft, Moral und Recht sinnvoll vereinenden Bundesministern und -rinnen. Aber lassen wir den Scheuer-Verkehr (ein Tempolimit: „gegen jeden Menschenverstand“) hier mal beiseite.

Nehmen wir Julia Klöckner. Bei ihr wäre, wir erinnern uns, ein silvesterliches Böllerverbot nicht nur gegen jeden Menschenverstand, egal, ob’s ein paar Hände oder Augen kostet. Es sei so, als wolle man demnächst „auch das Lachen verbieten“. Prompt erhielt die fröhliche Rheinland-Pfälzerin beim jüngsten Karneval den „Orden wider den tierischen Ernst“.

Schweinen werden ohne Narkose die Hoden abgeschnitten

Ob da selbst die Ferkel gequietscht haben? Freilich, das soll hier keine verspätete Aschermittwochbußpredigt sein. Ich finde die Landwirtschaftsministerin in Talkshows oft recht sympathisch und bin selbst durchaus Fleischesser und Weintrinker. Aber was ist von einer Politikerin zu halten, die als eine ihrer ersten Amtshandlungen ein seit fünf (!) Jahren vorbereitetes, zu Beginn 2019 geplantes Verbot, männliche Ferkel ohne Betäubung zu kastrieren, für weitere zwei Jahre ausgesetzt hat?

In Deutschland werden bis dahin etwa vierzig Millionen armen kleinen Schweinen ohne jede Narkose die Hoden abgeschnitten. Was diese Ferkel gelitten haben, sieht man dann dem reiferen Schweinefleisch nicht mehr an. Indes hat der Handel seit dieser Woche ein eigenes „Tierwohllabel“ eingeführt, mit vier Kategorien für die „Haltungsform“. Doch von Form 1 bis 3 handelt es sich immer nur um (Massen-)Tierhaltung in Ställen, allein die Nummer 4 „Premium“ verheißt, dass Tiere mit (nicht näher definiertem) Auslauf auch mal ein Stück Himmel über sich und Erde unter sich gehabt haben.

Tierquälerische Agrarindustrie firmiert als „konventionelle“ Landwirtschaft

Indes findet sich das neue Label nur auf abgepacktem Fleisch, nicht an der Frischtheke. Julia Klöckner verspricht dagegen für die nähere Zukunft ein eigenes staatliches Label mit verfeinerten Kriterien. Aber nur für Schweinefleisch. Absurd, wenn man etwa an die wahrhaft viehische Massenkäfighaltung von Hühnern denkt. Nach Gehirnwäsche klingt, dass diese oft tierquälerische und allemal klimaschädliche Zucht- und Agrarindustrie auch noch als „konventionelle“ Landwirtschaft firmiert. Als sei „Bio“, also Natur, auf dem Land und im Stall heute das eigentlich Künstliche, Moderne.

Im Grundgesetz Artikel 20a und im Tierschutzgesetz ist, apropos Greta Thunberg, auch von den natürlichen Lebensgrundlagen für Tiere und die „künftigen Generationen“ der Menschen die Rede. Wann aber herrscht da in der Realität endlich das Recht?

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