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Die Metallindustrie wandelt sich gerade dramatisch, dafür stehen die Stichworte Dekarbonisierung und Digitalisierung. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist auch deshalb in dieser Tarifrunde wichtiger als Geld.

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Tarifkonflikt in der Metallindustrie: Auf der Zielgeraden

Der größte Verteilungskonflikt in der deutschen Wirtschaft entscheidet sich jetzt: Vorösterlicher Kompromiss oder Arbeitskampf nach den Feiertagen.

Showdown in der Metallindustrie. IG Metall und Arbeitgeber stellen sich auf eine lange Nacht ein. Am Montagnachmittag beginnt in Düsseldorf die entscheidende Verhandlungsrunde um die Arbeitsbedingungen von fast vier Millionen Beschäftigten. In den vergangenen Monaten sind sich die Tarifpartner näher gekommen bei den Themen Beschäftigungssicherung (Vier-Tage-Woche) und Gestaltung der Transformation (Zukunftstarifverträge). Auf der Zielgeraden geht es nun ums Geld. Wie hoch fällt die Einmalzahlung (Coronahilfe) in diesem Jahr aus und wann gibt es eine prozentuale Erhöhung der Tarifeinkommen.

Die Arbeitgeber sind optimistisch und veranschlagen die Kompromisschance vor der vermeintlich letzten Runde mit 80 Prozent. Bei der IG Metall ist man vorsichtiger. „Wir gehen nicht um jeden Preis durch die Tür“, hieß es am Wochenende in der Frankfurter Gewerkschaftszentrale. Und IG Metall-Chef Jörg Hofmann warnte vor der Vorstellung, den jüngsten Abschluss in der Stahlindustrie als „Blaupause“ zu nehmen für die viel größere und vielfältige Metallindustrie. Gleichwohl gibt der Stahlabschluss einen Hinweis auf mögliche Verständigungen.

Eine ganz Branche in der Transformation

In der größten Tarifauseinandersetzung hierzulande in diesem Jahr fordert die IG Metall ein Entgelt-Volumen von vier Prozent, das zur Stabilisierung der Einkommen, aber auch zur Sicherung von Beschäftigung eingesetzt werden könnte, indem es bei einer Arbeitszeitverkürzung einen Teillohnausgleich gibt. Außerdem möchte die Gewerkschaft einen tariflichen Rahmen für betriebliche Zukunftstarifverträge schaffen.

Die IG Metall ist eine Autogewerkschaft, und der Wandel in der Branche macht ihr ebenso zu schaffen wie den Unternehmen selbst. Vor allem bei den mittelständischen Zulieferern vermisst die IG Metall zukunftsfähige Alternativen zur Verbrennertechnologie sowie Personal- und Qualifizierungskonzepte.

350 Euro sind zu wenig

Die Arbeitgeber wiederum argumentieren mit der Pandemie und hätten am liebsten eine Kostenentlastung in der Rezession. Am vergangenen Freitag gab es, in der 6. Verhandlungsrunde, ein erstes Angebot: Die Metallarbeitgeber in NRW legten für 2021 eine Einmalzahlung von 350 Euro auf den Tisch. Diese Coronahilfe möchten sie abhängig machen von der wirtschaftlichen Situation der Betriebe: Wenn es einem Unternehmen schlecht geht, dann soll es die Summe später, in geringerem Umfang oder überhaupt nicht zahlen. 2022 sind die Arbeitgeber dann bereit für eine prozentuale Erhöhung der Entgelte. Die Prozentzahl kann umso höher ausfallen, je länger der neue Tarifvertrag gilt; am besten bis 2023.

Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, hat in den vergangenen Woche ein paar Hunderttausend Metaller zu Warnstreiks aufgerufen.
Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, hat in den vergangenen Woche ein paar Hunderttausend Metaller zu Warnstreiks aufgerufen.

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Zeit statt Geld in der Stahlindustrie

Das ist Wunschdenken. Am Sonnabend verständigte sich die IG Metall mit den westdeutschen Stahlarbeitgebern auf eine Vertragslaufzeit von 15 Monaten bis Mai 2022. Die rund 70.000 Beschäftigten bekommen im Juni eine Corona-Prämie in Höhe von 500 Euro. Ferner verständigten sich die Tarifpartner auf „wiederkehrende Zahlungen zur Beschäftigungssicherung“. Ende dieses Jahres gibt es dazu 250 Euro und im Februar 2022 nochmals 250 Euro. Von Februar 2023 an steigt diese Summe, die jedes Jahr zu zahlen ist, auf 600 Euro.

Bereits im vorausgegangenen Tarifabschluss waren vor zwei Jahren 1000 Euro für die Stahlarbeiter vereinbart worden, die bei Bedarf in Freizeit getauscht werden können. In Summe stehen damit 1600 Euro zur Verfügung, das entspricht etwa acht Tagen oder knapp anderthalb Wochenstunden, die für eine Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich und damit zur Beschäftigungssicherung eingesetzt werden könnten.

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Das kann ein Modell sein für die Metallindustrie, jedenfalls die Systematik betreffend. Mit den Summen der Stahlindustrie wird sich die IG Metall indes nicht zufriedengeben, denn der letzte Tarifabschluss für die Metaller liegt drei Jahre zurück, die Stahlarbeiter haben zwischenzeitlich (2019) schon eine Tariferhöhung bekommen. Im Februar 2018 hatte die IG Metall ein tarifliches Zusatzgeld (T-Zug) durchgesetzt, das bestimmte Beschäftigtengruppen (Schichtarbeitende, Eltern und Pflegende) in Freizeit wandeln konnten. Nun könnte es ein T-Zug II geben, um mit dem Geld beschäftigungssichernde Arbeitszeitverkürzung zu finanzieren.

Er soll es richten: Arndt Kirchhoff, Unternehmer und Arbeitgeberpräsident von NRW, verhandelt den Pilotabschluss für die gesamte Metallindustrie. Sein Vorteil: Auch die IG Metall vertraut ihm.
Er soll es richten: Arndt Kirchhoff, Unternehmer und Arbeitgeberpräsident von NRW, verhandelt den Pilotabschluss für die gesamte Metallindustrie. Sein Vorteil: Auch die IG Metall vertraut ihm.

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Mehr Mitbestimmung im Wandel?

Dekarbonisierung und Digitalisierung prägen die Transformation der Industrie, die bislang relativ robust die verschiedenen Coronaphasen überstanden hat und in der zweiten Jahreshälfte durchzustarten hofft. Arbeitgeber und IG Metall erwägen nun die Einrichtung einer Transformationsagentur als Beratungsstelle vor allem für den Mittelstand. Die Arbeitgeber machen mit – wenn es jeder Firma freigestellt ist, auf die Agentur zurückzugreifen und die Transformation im Rahmen freiwilliger Betriebsvereinbarungen zu regeln.

Das übliche Rollenspiel: Die IG Metall pocht auf Verbindlichkeit, die Arbeitgeber beharren auf unternehmerischer Freiheit. In der Nacht von Montag auf Dienstag kommt es dann auf die Formulierung an: sollen, können oder müssen die Arbeitgeber sich auf mehr Mitbestimmung bei der Transformation einlassen oder nicht.

Keine Lösung für die Arbeitszeit im Osten

Und dann gibt es noch ein ganz spezielles Problem, das die Tarifparteien im Pilotabschluss von Düsseldorf nicht lösen können: Die tarifliche Arbeitszeit der Ost-Metaller, die bei 38 Stunden und damit drei Stunden über der im Westen liegt. In den vergangenen drei Jahren hat man sich im Osten vergeblich um einen Angleichungsprozess bis 2030 bemüht. Die IG Metall ist in der ostdeutschen Fläche zu schwach, um die Blockade der Arbeitgeber zu brechen. Ein „tarifliches Angleichungsgeld“ soll es jetzt geben.

Ohne ein Entgegenkommen der ostdeutschen Arbeitgeber werde man in Sachsen, Berlin und Brandenburg keinen neuen Tarifvertrag abschließen, heißt in der Gewerkschaftszentrale in Frankfurt am Main. Aber nach den Erfahrungen in den vergangenen drei Jahren klingt das wie das Pfeifen im Lande.

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