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Außergerichtlicher Vergleich bei Alstom: Bahnkonzern zahlt Urlaubsgeld zurück
Seit Jahren streiten Management und Arbeitnehmervertreter über den Umgang mit einem Tarifvertrag. Nun soll ein Kompromiss den Betriebsfrieden wiederherstellen.
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Gute Nachricht für die Arbeitsgerichte: Der Schienenfahrzeughersteller Alstom hat sich mit den Arbeitnehmervertretern außergerichtlich verständigt und zahlt einbehaltenes Urlaubsgeld zumindest teilweise aus. Im Gegenzug ziehen fast 2000 Alstom-Beschäftigte ihre Klagen gegen den Arbeitgeber zurück.
Der französische Konzern, der 2021 die kanadische Bombardier Transportation mit einem Dutzend Standorten und gut 9000 Mitarbeitenden in Deutschland übernommen hatte, beendet somit eine knapp zweijährige Auseinandersetzung um Sanierungsmaßnahmen und Investitionen.
Der Vergleich ist Teil des ASB-Programms von Tim Dawidowsky; ASB steht für „Alstom strikes back“. Der frühere Siemens-Energy-Manager Dawidowsky ist seit gut einem Jahr im Unternehmen und hat den Auftrag, schwarze Zahlen zu erreichen. Im vergangenen Jahr hatte Alstom dem Vernehmen nach 200 Millionen Euro Verlust auf dem deutschen Markt eingefahren, 2025 sei das Minus deutlich niedriger, heißt es in Konzernkreisen.
Anfang 2023 hatte Alstom mit der IG Metall einen „Zukunftstarifvertrag“ abgeschlossen, um die defizitäre deutsche Tochter in die Spur zu bringen: Die Beschäftigten verzichteten auf Geld, das Unternehmen verpflichtete sich im Gegenzug zu Investitionen und garantierte die Arbeitsplätze. Den Arbeitnehmern entgingen zwischen 2023 und 2025 rund 90 Millionen Euro, der Großteil davon Urlaubsgeld.
Dass der Zukunftstarifvertrag jedoch einseitig umgesetzt wurde, zeigte sich spätestens 2024, als Alstom die Schließung des Traditionsstandorts in Görlitz ankündigte. Immerhin kann ein Großteil der dortigen Belegschaft vor Ort weiterarbeiten: Das Rüstungsunternehmen KNDS übernahm das Alstom-Werk.
Anfang 2024 kündigte die IG Metall den Zukunftstarifvertrag, da sich das Unternehmen aus Sicht der Arbeitnehmer nicht an die Absprachen hielt. 1836 Alstom-Beschäftigte, die meisten davon aus den Werken in Hennigsdorf, Bautzen, Kassel und Siegen, klagen seitdem vor den Arbeitsgerichten auf rückwirkende Zahlung des Urlaubsgelds.
Der nun von der IG Metall ausgehandelte Vergleich sieht die Rücknahme aller Klagen vor; im Gegenzug zahlt das Unternehmen im kommenden Frühjahr in mehreren Etappen rund 30 Millionen Euro Urlaubsgeld zurück. Das ist knapp die Hälfte der Summe, auf die allein die Tarifbeschäftigten auf der Grundlage des Zukunftstarifvertrags verzichtet haben.
Am Dienstag stimmten insgesamt gut 90 Prozent der IG Metall-Mitglieder bei Versammlungen in Hennigsdorf, Bautzen und Görlitz, Kassel und Siegen dem Vergleich zu. Außer dem Urlaubsgeld bekommt jeder der 1836 Kläger eine Prämie von 1000 Euro – das soll die Beschäftigten motivieren, ihre Klage zurückzuziehen und sich auf den Vergleich einzulassen.
Andernfalls würde der Rechtsstreit womöglich erst in einigen Jahren vom Bundesarbeitsgericht gelöst. Das möchten beide Seiten verhindern.
„Die Stimmung ist allgemein schlecht“, sagte der Alstom-Gesamtbetriebsratschef Stefan Lüer dem Tagesspiegel. Seit vielen Jahren nerven Spar- oder Sanierungsprogramme die Belegschaft. Mit dem Programm ASB versucht Dawidowsky nun eine nachhaltige Trendwende zu erreichen, indem für jedes Werk Perspektiven festgeschrieben werden.
Derzeit beschäftigt Alstom nach eigenen Angaben 9600 Mitarbeiter in Deutschland, der Marktanteil liege bei 60 Prozent. Künftig werden Schienenfahrzeuge nur noch in Bautzen und Salzgitter montiert, der Rohbau findet in Osteuropa statt.
In Hennigsdorf produzieren gegenwärtig rund 2000 Mitarbeitende eine U-Bahn sowie einen Hochgeschwindigkeitszug für schwedische Kunden. Nach dem Abarbeiten dieser Aufträge möchte Dawidowsky das Service-Geschäft aus Görlitz, Mannheim und Kassel in Hennigsdorf konzentrieren. „Fahrzeugentwicklung, Test- und Prüfbetrieb sollen weiter in Hennigsdorf stattfinden“, teilt Alstom dazu mit.
Mindestens bis März 2028 sind betriebsbedingte Kündigungen im Fertigungsbereich ausgeschlossen, der Betriebsrat in Hennigsdorf möchte diese Frist bis Ende 2028 verlängern.
„Die Zahl unserer Mitarbeiter soll mittelfristig weitgehend gleichbleiben“, hatte Konzernchef Henri Poupart-Lafarge im Sommer dem „Spiegel“ gesagt. Für Alstom sei Deutschland einer der größten Bahnmärkte der Welt, „hier möchten wir auch in Zukunft eine zentrale Rolle als Industrieunternehmen spielen“.
Poupart-Lafarge wird indes im kommenden Frühjahr von Martin Sion abgelöst, der aus der Luft- und Raumfahrt stammt und seit 2023 die Ariane-Group leitet.
Ob Alstom, ähnlich wie der Wettbewerber Stadler, eine befristete Verlängerung der Arbeitszeit anstrebt, ist offen. Gegebenenfalls wären vermutlich die westdeutschen Standorte betroffen, wo die tarifliche Wochenarbeitszeit 35 Stunden beträgt. Im Osten arbeitet die Alstom-Belegschaft 38 Stunden.
Ähnlich wie Alstom hatte auch Stadler zuletzt einen Verlust von rund 200 Millionen Euro erwirtschaftet und deshalb mit einem Stellenabbau in Berlin-Pankow gedroht. Die IG Metall ließ sich auf eine befristete Arbeitszeiterhöhung von 38 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich ein, dafür wird dann Anfang der 2030er Jahre bei Stadler die 35-Stunden-Woche eingeführt.
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