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Auf dem Land nannte man es Fahrgemeinschaft, in der Stadt Mitfahrgelegenheit. Nun zeigt sich, dass ein geteiltes Auto – im 21. Jahrhundert Carsharing genannt – auch im ländlichen Raum Anhänger findet.

© dpa/Marijan Murat

Autos teilen im ländlichen Raum: Wie Carsharing auch ohne Share-Now und Co. funktioniert

Carsharing ist nur etwas für die Stadt? Auf dem Land gibt es solche Angebote auch – analog oder digital und häufig mit elektrischen Fahrzeugen.

Ohne Auto geht es im ländlichen Raum nicht, heißt es. Weil Busse und Bahnen zu selten oder gar nicht fahren. Weil die Jungen ein eigenes Auto immer noch cool finden und die Älteren sich daran gewöhnt haben. Weil man mit dem Pkw bequemer und flexibler zur Schule, zur Arbeit oder in den Sportverein kommt.

Beispiele dafür, dass es auch anders geht, liefern Dörfer und Gemeinden, die Klixbüll, Jesberg, Neuenwalde, Ebersberg oder Tarmstedt heißen. Hier wird praktiziert, was man eigentlich nur aus Großstädten kennt: Carsharing. Abseits der Geschäftsgebiete der großen Anbieter Share-Now, We-Share oder Sixt werden hier Autos – häufig mit Elektromotor – geteilt.

Der Bundesverband Carsharing zählte im vergangenen Jahr 374 Gemeinden in Deutschland mit weniger als 20 000 Einwohnern, in denen es ein Carsharing-Angebot gab. Von den insgesamt 185 Anbietern hierzulande hatten 140 weniger als 20 Fahrzeuge in der Flotte. Verlässliche Zahlen, wie viele der bundesweit rund 2,5 Millionen registrierten Kunden an ländlichen Projekten teilnehmen, gibt es zwar nicht. „Carsharing auf dem Land ist aber verbreiteter als man denkt“, heißt es beim Verband. Erstaunlich: Häufig seien die Angebote dort zu finden, wo ein ÖPNV-Netz in der Umgebung erreichbar sei.

Einen guten Überblick über die dörflichen Carsharer hat Michael Minis. Den braucht er auch, weil der Gründer und Geschäftsführer der Aachener Digital Mobility Solutions GmbH mit seinem Produkt in der Provinz ins Geschäft kommen will. Auf der „Grünen Woche“ in Berlin hat er gerade seine Smartphone-App mit dem Namen „Moqo“ der Zielgruppe vorgestellt. „Unser Ziel ist es, Mobilität so einfach konsumierbar zu machen wie Spotify oder Netflix“, sagt Minis im Gespräch mit Tagesspiegel Background.

Smartphone-App für Buchung, Abrechnung und Service

Moqo ist eine cloudbasierte Plattform, die es jedem ermöglichen soll, Shared Mobility Services anzubieten, überall, in Unternehmen und Immobilienprojekten, in der Stadt – und auf dem Land. Moqo liefert dafür die notwendige Hard- und Software, die nötig ist, um ein Carsharingauto zu buchen, die Miete abzurechnen und das Fahrzeug schlüssellos zu öffnen und zu schließen. Hinzu kommt der Kundenservice des Unternehmens. Berechnet wird eine feste Gebühr pro Fahrzeug, unabhängig von der Auslastung.

„Wir befähigen lokale oder regionale Anbieter, etwa Vereine, ohne große Kostenstruktur ein Carsharing-Modell aufzusetzen“, sagt Minis. Funktioniert hat das zum Beispiel mit „Dörpsmobil“ in Schleswig-Holstein. Die Einwohner der Gemeinde Klixbüll im Kreis Nordfriesland organisieren mit der Moqo-App ihr dörfliches Carsharing-Projekt mit einem Elektroauto, das Strom lädt, den Windräder vor Ort erzeugen. Das Beispiel hat Schule gemacht: Der gemeinnützige Trägerverein Akademie für die Ländlichen Räume Schleswig-Holsteins e. V. fördert das Dörpsmobil als landesweites Kooperationsprojekt. „65 Ortschaften machen schon mit, und es kommen jede Woche neue hinzu“, sagt Michael Minis.

Bis sein Businessmodell richtig fliegt, wird freilich noch Zeit vergehen. „Der Teufel steckt im Detail“, räumt Minis ein. „Im Marketing können wir noch besser werden.“ Die Tücken der Dezentralität: Dass es die digitale Dienstleistung der Aachener gibt, muss sich auf dem Land erst noch herumsprechen.

Und es gibt starke Wettbewerber. Die Deutsche Bahn hat rund um das Flinkster-Carsharing ein Partnernetzwerk aufgebaut, das gezielt auch Kommunen, Stadtwerke und kleine Städte anspricht. Wunder Mobility bietet Kommunen ebenfalls eine „All-in-one-Sharing-Plattform“ als App-basierte Dienstleistung an. Das 2013 gegründete Start-up Mobilesdorf.de aus der Eifel empfiehlt sich mit einer eigenen Carsharing-Software und bundesweiten Referenzprojekten. Aus Österreich stammt die professionelle Software-as-a-Service-Lösung der jungen Firma Zemtu.

Autohändler baut unbürokratisches Angebot auf

Für ein paar Euro pro Stunde ein E-Auto im Carsharing zu mieten – dafür braucht es aber nicht zwingend eine App. Der VW-Händler Wolf Warncke startete 2015 ganz analog. In der Samtgemeinde Tarmstedt zwischen Hamburg und Bremen verkaufte Warncke vor fünf Jahren einen Elektro-Golf, den der neue Besitzer nicht alleine nutzen wollte.

Die Idee, ein Carsharing-Modell aufzusetzen, entstand. Bald wurden aus einem E-Auto acht, finanziert mit günstigen, geförderten Leasingverträgen des Autohauses Warncke. Auch der Bürgermeister und der örtliche Landarzt machten mit. Am Autohaus wurde eine Schnellladesäule installiert, den Strom liefert der regionale Anbieter EWE.

„Es ging uns um ein unbürokratisches Angebot“, sagt Warncke. Die Elektro-Golf-Modelle bekamen einen Aufkleber mit den Telefonnummern und Standorten der Halter. Dort wurden den Nutzern die Schlüssel übergeben. Mit der Versicherung handelte Warncke spezielle Tarife aus. Die Sorge, dass die Fahrzeuge stehen bleiben, hatte niemand. „Die Grundauslastung war durch die Besitzer garantiert“, erinnert sich der Händler.

Inzwischen hat die kleine Carsharing-Community das Modell professionalisiert – und digitalisiert. 2018 ging man eine Kooperation mit dem Carsharing-Anbieter Greenwheels ein, einer VW-Tochter und Marktführer in Holland. Über dessen Plattform können heute sieben elektrische VW Golf rund um die Uhr in Tarmstedt gemietet werden.

„Carsharing auf dem Land ist möglich“, ist Wolf Warncke überzeugt. „Man kann sofort loslegen.“ Es müsse lediglich ein Umdenken bei Vereinen, Bürgerinitiativen, in Rathäusern und Kommunalverwaltungen geben. Einen Vorteil haben die Carsharer in der Provinz: Die großen Anbieter werden ihnen nicht in die Quere kommen. Deren komplexe Geschäftsmodelle rechnen sich nicht einmal in jeder Stadt.

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