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Nachwuchssorgen. Die Deutsche Bahn will bundesweit 3600 Lehrlinge einstellen.

© Kitty Kleist-Heinrich/ Tsp

Azubi-Mangel: Die Deutsche Bahn schafft das Anschreiben ab

Die Deutsche Bahn verlangt von Azubis kein Bewerbungsschreiben mehr. Sie sollen es so einfach wie möglich haben. Das sieht nicht jeder so.

Wer sich künftig bei der Deutschen Bahn um einen Ausbildungsplatz bewirbt, muss nicht mehr erklären, warum. Ab Herbst reicht es aus, wenn Jugendliche über eine Online-Plattform den Lebenslauf und Zeugnisse einreichen. Das Anschreiben hat ausgedient.

„Wir wollen es den Bewerbern so einfach wie möglich machen“, sagt Personalerin Carola Hennemann. Für Schüler sei so ein Schreiben „schon schwierig“. Ein Bahn-Sprecher nennt am Montag noch einen Grund: „Wann ist der Text denn schon wirklich aussagekräftig? Da stehen so viele Floskeln drin – und bei dem einen oder anderen haben Mama, Papa oder Google mindestens geholfen.“

Der Konzern steht vor einer Pensionierungswelle und will dieses Jahr bundesweit rund 19 000 Mitarbeiter einstellen, darunter 3600 Auszubildende. Zwar hat die Deutsche Bahn weniger Probleme als andere Unternehmen, seine Stellen zu besetzen, aber auch sie muss sich bemühen. Seit Längerem nutzt das Unternehmen deswegen intern einen Bonus zur Personalsuche: Wirbt ein Mitarbeiter einen neuen Kollegen, bekommt er 1500 Euro. Die Bahn sucht stärker im Ausland als früher. Und: Schülerinnen und Schülern konnten sich in den vergangenen zwei Jahren schon aussuchen, ob sie ein paar Sätze über sich schreiben wollen, oder mit der App Job Ufo ein 30-sekündiges Video von sich schicken. „So erleben wir die Jugendlichen – und die sind mit Selfies und Videos groß geworden“, erzählte Kerstin Wagner, Chef-Recruiterin der Deutschen Bahn, bereits zuvor.

BVG erwägt den Schritt ebenfalls

Etwa die Hälfte der Belegschaft wird den Konzern in den kommenden zehn Jahren aus Altersgründen verlassen. Neben IT-Experten und Ingenieuren werden etliche Lokführer und Fahrdienstleiter gebraucht. Dass nun gar kein persönliches Motivationsschreiben mehr Pflicht ist, soll zunächst für Bewerber gelten, die 2019 als Lehrling anfangen wollen. Sind sie damit erfolgreich, wird der Konzern das Schreiben womöglich für weitere Job-Gruppen streichen. Andere große Arbeitgeber in Berlin wie Siemens, die Post, Vivantes, Daimler und die Telekom haben den Bewerbungsprozess durch Online-Plattformen zwar einfacher und schneller gemacht, aber sie bleiben beim klassischen Anschreiben. „Das gehört für uns unbedingt dazu, denn es zeigt beispielsweise, wie jemand formulieren kann“, sagt ein Telekom-Sprecher. Ein bisschen Mühe müsse noch sein.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) überarbeiten gerade ihren Azubi-Bewerbungsprozess. „Es gibt dabei ernsthafte Überlegungen, künftig auf ein Anschreiben zu verzichten“, sagt ein Sprecher. Bei der Drogeriemarktkette Rossmann ist das Anschreiben seit rund einem Jahr ein Kann, kein Muss. „Letztendlich liegt es beim Bewerber, ob er uns ein Anschreiben schicken möchte“, heißt es. Bei Azubis interessiere aber nach wie vor ihre Motivation für die Stelle. Der Softwarekonzern SAP legt nach eigenen Angaben ebenfalls weniger Wert auf Formalitäten. Wichtig sei, was Kandidaten individuell ausmache. „Die Form, wie das transportiert wird, ist nachrangig“, sagt SAP-Personalchef Cawa Younosi. Ob mit oder ohne Anschreiben, klassisch oder per Video, per Mail oder LinkedIn-Profil.

Nur zehn Prozent machen eine Lehre

Nach einer Schätzung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) sind aktuell rund 18 500 betriebliche Lehrstellen unbesetzt – 10 000 in Berlin, 8500 in Brandenburg. Deswegen befürwortet der Verband die Idee der Deutschen Bahn grundsätzlich. „Unternehmen gehen unterschiedliche und mitunter unkonventionelle Wege, um Jugendliche für sich zu gewinnen“, sagt Constantin Terton, Bereichsleiter Fachkräfte & Innovation. Zwar passe nicht jede Maßnahme zu jedem Unternehmen, aber die Hauptsache sei, dass Schulabgänger überhaupt arbeiten würden. „Derzeit sind es gerade einmal knapp zehn Prozent der Jugendlichen eines jeden Jahrgangs, die sich direkt nach der Schule für eine Ausbildung entscheiden“, sagt er.

Damit die Betriebe ihre Ausbildungsplätze besetzen können, sind sie schon seit geraumer Zeit zu Kompromissen bereit. Auch, wenn den Jugendlichen elementares Schulwissen fehlt. So hat eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer ergeben, dass inzwischen jedes dritte Unternehmen Nachhilfe anbietet. Die Deutsche Bahn ist auch hier radikaler: Die Bewerber müssen ihr Zeugnis vorlegen, um den Abschluss nachzuweisen, und einen Onlinetest bestehen. Die Schulnoten schaut sich der Konzern aber gar nicht mehr an.

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