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Daniel Terzenbach ist seit März 2019 Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg.

© Kai-Uwe Heinrich

BA-Vorstand Daniel Terzenbach im Interview: „Wir haben nicht ohne Grund Milliarden gespart“

Daniel Terzenbach ist Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Im Interview spricht er über Fehler und den Einfluss der Behörde im Corona-Jahr.

Daniel Terzenbach, 40, ist Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA). Seine Karriere begann 2006 nach dem Studium des Social Managements im Jobcenter Märkischer Kreis. In seiner Funktion ist er nun auch operativ für 156 Arbeitsagenturen verantwortlich, die in der Coronakrise mit der Bearbeitung der Anträge auf Kurzarbeitergeld beschäftigt waren.

Herr Terzenbach, obwohl die Wirtschaft enorm leidet, war der negativste Ausdruck bei der Vorstellung der Arbeitsmarktzahlen in diesem Jahr: „Der Arbeitsmarkt steht unter Druck.“ Müssen Sie so vorsichtig formulieren, damit keine Panik ausbricht?
Unsere Zahlen gaben nie den Anlass, Panik zu haben. Natürlich ist es so, dass Kurzarbeit den Jobverlust von rund drei Millionen Menschen verhindert hat. Zu Beginn der 2000er Jahre galt Deutschland als kranker Mann Europas. Da hatten wir in der Spitze knapp über fünf Millionen Arbeitslose. Ohne Kurzarbeit wären es jetzt mehr. Wir hätten mit die größte Arbeitslosigkeit der Nachkriegsgeschichte.

2,7 Millionen Frauen und Männer haben derzeit keinen Job. Die sogenannte Unterbeschäftigung liegt bei 3,5 Millionen. Können Sie den Unterschied erklären?
Die 2,7 Millionen alle, die aktuell keine Arbeit haben und dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung stehen. Zur Unterbeschäftigung zählen zum Beispiel jene, die in Umschulungsmaßnahmen sind und diese sinnvollerweise erst beenden sollen, bevor wir nach Stellen schauen.

Das sind doch aber arbeitslose Menschen. Kritiker sagen: Sie schönen so die Statistik.
Wir selbst nutzen die Arbeitslosigkeit gar nicht als unsere wichtigste interne Messgröße. Das ist tatsächlich die Unterbeschäftigung; also die Zahl der Menschen, die bei uns in Beratung sind. Wenn wir unsere monatlichen Berichte veröffentlichen, geben wir beide Werte transparent bekannt.

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Wie oft sprechen Sie mit Betroffenen, um nicht zu vergessen, was für Schicksale sich hinter Nachkommastellen verbergen?
So oft ich kann. Vor allem im Sommer war ich viel in Arbeitsagenturen und Jobcentern. Neben den Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen, habe ich mit großen und kleinen Unternehmen gesprochen, aber gleichermaßen natürlich auch mit Menschen, die in dieser besonders schwierigen Situation einen Job suchen, um zu verstehen, wie gut unsere Prozesse funktionieren.

Erzählen Sie, was Sie erfahren haben.
Vor Corona haben wir zum Beispiel mit vielen Kundinnen und Kunden besprochen, eine Weiterbildung oder einen Sprachkurs zu machen: Wenn das klappt, werden sich deine Chancen deutlich verbessern, haben wir gesagt. Das wird anstrengend, aber wird sich lohnen! Nun haben das viele gemacht und es zahlt sich wegen der Pandemie erst später aus. Das ist frustrierend. Dann gibt es kleine Familienbetriebe, die verzweifelt anrufen, weil sie nicht weiterwissen. Menschen haben sich mal selbstständig gemacht, um ihren Traum zu verwirklichen. Denen erklären unsere Mitarbeiter am Telefon, dass man sich nicht schämen oder Angst haben muss, eine Zeit lang Grundsicherung zu bekommen. Das ist alles sehr berührend.

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Welche Jobs werden nicht nur kurzfristig Probleme haben?
Der Luftverkehr wird sehr lange brauchen, um sich zu erholen. Vor Corona wurden Flüge innerhalb Deutschlands aus Klimagründen kritisiert. Jetzt kommt dazu, dass wir selbstverständlicher über Videokonferenzen kommunizieren. Also steht mehr denn je die Frage im Raum: Muss ich überhaupt noch für ein zweistündiges Gespräch nach Berlin fliegen? Auch in der Autobranche werden sich Jobs verändern oder wegfallen. Das hat aber nicht nur mit Corona zu tun, sondern insbesondere mit dem Umstieg auf alternative Antriebe. Der Online-Handel ist auch kein neues Phänomen, aber die Menschen haben in diesem Jahr besonders viel digital eingekauft – und das werden sie weiterhin tun.

... Andererseits werden IT-Expertinnen und Pfleger stärker gebraucht.

In der IT werden viele Fachkräfte gesucht, im Gesundheitswesen, in Pflegeheimen – allein schon demografisch bedingt. Wir haben über Probleme im stationären Handel gesprochen: Durch das digitale Einkaufen wächst aber zugleich der ganze Markt rund um Postkuriere und Lieferservices enorm. Und die Industrie automatisiert zwar immer mehr Prozesse. Gleichzeitig wird sie in einer alternden Gesellschaft mehr Produkte im Gesundheitsbereich anfertigen müssen. Es werden wie schon so oft Jobs in einigen Bereichen wegfallen und dafür woanders neue entstehen.

Werben Sie Pflegekräfte aus anderen Ländern ab, die dort in der Pandemie dringend gebraucht werden?
Ich war natürlich schon vor Corona für eine faire Mobilität und bin es noch. Das ist eine ethische Debatte. In besonders betroffenen Ländern wie Mexiko und Brasilien sind wir weiterhin im Gespräch, aber würden aktuell nicht dringend benötigte Ärzte abwerben. Anders ist es beispielsweise mit Jordanien. Dort will die Regierung gerade jetzt mit uns kooperieren.

Warum?
Die Jugendarbeitslosigkeit explodiert dort wegen der wirtschaftlichen Krise. Deswegen ist die Regierung an uns herangetreten. Sie weiß, dass wir Menschen aus technischen, Transport- und logistischen Berufen suchen. Wobei man nicht vergessen darf, dass Mobilität nicht nur politisch gesteuert wird. Wenn Menschen in anderen Ländern bessere Perspektiven für sich sehen, dann machen sie sich auf den Weg. Egal was für staatliche Programme es gibt. Das könnte sich durch Corona verstärken.

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Wie haben Sie Ihre Behörde umorganisiert, um die Krise zu meistern?
Vor dem Ausbruch der Pandemie haben wir darauf gesetzt, unsere Kundinnen und Kunden persönlich zu sehen. Das ging plötzlich nicht mehr. Deswegen haben wir mit mehr als 8000 Kolleginnen und Kollegen die Telefonie gestärkt, um über die Distanz hinweg erreichbar zu sein. Es gab Tage, an denen das eine Million Menschen versucht haben. Ende März bekamen wir in einer Woche so viele Kurzarbeitsanzeigen-Anträge wie während der gesamten Finanzkrise. Also waren etliche Kollegen, die eigentlich Jobsuchende beraten, damit beschäftigt, die Anträge zu prüfen und Gelder auszuzahlen. Dass dabei auch Fehler passieren können, mussten wir in Kauf nehmen.

Was für Fehler?
Beantragt ein Unternehmen Kurzarbeit, führen wir ein langes Beratungsgespräch. Dafür war keine Zeit. In den Anträgen fehlten deswegen mal Angaben oder eine Unterschrift. Weil unsere Kolleginnen und Kollegen sehr schnell geschult wurden, wussten sie zum Beispiel manchmal nicht, wie Sonn- und Feiertage abgerechnet werden. Uns ging es aber erstmal um Schnelligkeit und Flexibilität, um die Existenz hunderttausender Betriebe zu sichern. Da, wo jetzt mehr Genauigkeit notwendig ist, holen wir das jetzt nach. Der reguläre Kurzarbeitsprozess, der vor Corona richtig war, hätte dazu geführt, dass wir wahrscheinlich noch heute an Anzeigen aus dem März säßen.

[Die Coronavirus-Krise ist auch für die Politik eine historische Herausforderung. Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Inwiefern haben Sie bei den politischen Beschlüssen Einfluss gehabt?
In normalen Zeiten dürfen sich Politiker in ihrem Gestaltungswillen in einer Demokratie nicht von den Umsetzungsmöglichkeiten von Verwaltungen limitieren lassen, finde ich. Aber in dieser Mega-Krise haben wir im Gespräch mit der Politik unsere Hinweise eingebracht – und die Politik hat uns umgekehrt bei manchen Gesetzgebungsprozessen miteingebunden und früh gefragt: Ist das umsetzbar? Oder würden wir ein politisches Wolkenkuckucksheim bauen, das wir gesellschaftlich nicht umgesetzt kriegen? Manche Beschlüsse gingen immerhin sehr schnell. Wir haben beim Kurzarbeitergeld beraten und bei der Anpassung des Arbeitslosengeldes. Das können die Menschen in diesem Jahr drei Monate länger beziehen.

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Wie schwer ist das Abwägen zwischen gesundheitlichen und ökonomischen Argumenten?
Das ist sehr schwer, aber beides bedingt sich auch. Wird die Wertschöpfung einer Gesellschaft ignoriert, sind die gesundheitlichen Folgeschäden riesig. Gleichzeitig würde eine unkontrollierte Pandemie die Wirtschaft hart treffen. Aus meiner Sicht ist die Balance bislang auch im internationalen Vergleich gelungen.

Zum Ende des Jahres geht die BA von Kosten für die Kurzarbeit von mehr als 21 Milliarden Euro aus. Was wird der Preis für das massive Geldausgeben sein?
Mir ist die Diskussion um die hohe Staatsverschuldung bewusst. In der gesellschaftlich größten Krise seit Gründung der Bundesrepublik brauchten wir aber erstmal extrem viel Stabilität. Deswegen sind die hohen Ausgaben richtig. Außerdem haben wir als BA nicht ohne Grund seit der Finanzkrise über 26 Milliarden Euro an Rücklagen angespart. Die Verschuldungsquote ist viel geringer als in den 90er Jahren oder Anfang der 00er Jahre. Die Krise wird unter anderem genau wegen dieses Prinzips in Deutschland gemeistert: In Zeiten, in denen es dem Land gut geht, werden Rücklagen gebildet für schwerere Zeiten. So kann man sich auf etwas vorbereiten, das niemand vorhersehen konnte.

Bald werden Sie den Menschen aber wieder erklären müssen, wofür alles kein Geld da ist.
Für uns in der BA gilt für die nächsten Jahre, wieder Rücklagen aufzubauen ohne an den Leistungen für die Menschen deutlich zu kürzen. Mittelfristig wird man aber Leistungssteigerungen wie beim Kurzarbeitergeld, die während der Coronakrise berechtigt sind, wieder auf das Vorkrisenniveau zurückfahren müssen.

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Welche Rolle hat die öffentliche Verwaltung in diesem Krisenjahr eingenommen?
Oft werden öffentliche Institutionen nicht wirklich wahrgenommen oder es wird darüber geschimpft. In Ausnahmesituationen wie jetzt merken die Menschen aber, wie gut es ist, wenn ein Staat eine funktionierende Verwaltung hat. Wir sind aber noch nicht da, wo wir sein müssten. Durch Corona haben wir nochmal neue Hausaufgaben mitbekommen, was unsere Modernisierung und Digitalisierung angeht. Vieles haben wir aber auch, wie ich finde, sehr gut gemacht.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de. ]

Nennen Sie etwas.
Die Verwaltungen haben sich untereinander geholfen. Bei der BA arbeiten mehrere hundert Ärztinnen und Ärzte, die Gutachten darüber anfertigen, ob jemand an einer Umschulung teilnehmen kann oder einen Rehaantrag stellen. Sie haben nun bei den Gesundheitsämtern geholfen. Unter anderem hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge uns wiederum bei den Anträgen für Kurzarbeit geholfen, da gerade viel weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen. Ich sehe außerdem, wie schnell Prozesse und Gesetze angepasst werden können, wenn es wirklich notwendig ist. Diesen Elan sollten wir beibehalten.

Die Pandemie setzt starke Emotionen frei. Was macht Sie wütend?
Als Privatperson machen mich Menschen wütend, die gewisse Tatsachen der Pandemie leugnen oder Corona als Vehikel benutzen, um ganz andere Themen wie Extremismus zu rechtfertigen. Beruflich ärgert es mich, wenn wir Soloselbstständigen mit Grundsicherung in der Not helfen wollen und Stimmen dieses System direkt diskreditieren und den Menschen noch mehr Angst machen, zu einem Jobcenter zu gehen.

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