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Selten im Bett. 7,2 Stunden Schlaf pro Nacht sind heute der Schnitt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch neun Stunden.

© Arman Zhenikeyev - Fotolia

Beruf und Gesundheit: „Wir sind eine 24-Stunden Gesellschaft“

Wie Arbeitszeit und Schlafbedürfnis heutzutage kollidieren, beschreibt der Berliner Wissenschaftler Ingo Fietze.

Herr Fietze, wer beruflich aufsteigen will, für den ist Müdigkeit Alltag. Ist das noch gesund?

Man kann über mehrere Tage ohne Probleme mit vier bis sechs Stunden Schlaf klarkommen. Wichtig ist aber, dass man zumindest am Wochenende ein- bis zweimal Zeit hat, um auszuschlafen. Denn Schlaf ist ein guter Indikator für Gesundheit und Leistungsfähigkeit.

Leben wir in einer übermüdeten Gesellschaft?

Insgesamt schlafen wir Menschen immer weniger. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es im Schnitt noch neun Stunden pro Nacht. Heute sind es 7,2 Stunden. Es gibt aber eine Untergrenze für den Schlaf, und die haben wir langsam, aber sicher erreicht. Viele versuchen in unserer heutigen 24-Stunden-Gesellschaft, möglichst lange wach zu bleiben, viel zu arbeiten und zu erleben. Aber wenn man dadurch seine Gesundheit gefährdet, geht das zu weit. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass Schlafstörungen heute viel häufiger auftreten. Und wenn etwa ein Drittel der Menschen schlecht oder nicht genug schläft, dann ist das zu viel.

Welche Probleme haben schlechte Schläfer?

Sie wachen nach drei bis vier Stunden auf. Sie brauchen dann meist anderthalb Stunden, um wieder müde zu werden. Sie könnten sich also in der Nacht ein wenig beschäftigen, mit Lesen oder Arbeiten, und sich dann wieder hinlegen. Das passt aber meist nicht, weil sie um 6 Uhr aufstehen und zur Arbeit gehen müssen. Um wenigstens ein bisschen Ruhe zu haben oder schnell wieder einzuschlafen, kann man eine Schlaftablette nehmen. Wären die Arbeitszeiten flexibler, könnte das diesen Menschen auch schon helfen.

Was passiert, wenn man zu wenig schläft?

Schlafmangel kann schnell negative Folgen haben. Experimente mit jungen Menschen haben gezeigt: Wer eine Nacht mal „nur“ sechs Stunden schläft, kann schon Konzentrations-, Geschicklichkeits- und Gedächtnisprobleme bekommen. Und das ist eine Schlafdauer, über die die meisten Kurzschläfer – oft sind es Manager – lachen.

Je höher die Position, desto länger die Arbeitszeit. Kann man einen Führungsjob und ausreichend Schlaf überhaupt vereinbaren?

Wer einen Beruf mit viel Stress und wenig Schlaf wählen will, sollte wissen, dass dies nicht gutgeht, wenn man ein sensibler oder schlechter Schläfer ist. Sie werden also kaum eine Führungsaufgabe mit guter Bezahlung finden und gleichzeitig ausschlafen können. Manager, die bei mir in Behandlung waren, sagten, sie können sich zum Beispiel nicht schnell genug vom Jetlag erholen und leiden einige Tage auf dem neuen Kontinent unter Schlafstörungen und Müdigkeit. Da müssen sogar hochkarätige Führungskräfte manchmal die Bremse ziehen und erkennen: Es geht so nicht weiter, dafür eigne ich mich nicht. Auch für Schichtarbeit kommt ja nicht jeder Mensch infrage.

Gibt es keine andere Möglichkeit?

Wenn man seinen Job nicht an seinen Schlafrhythmus anpassen kann und unter Schlafproblemen leidet, dann muss man zum Arzt und darf keine Angst haben vor Schlaftabletten. Deren Ruf war einmal sehr schlecht, weil sie große Nebenwirkungen und Gewöhnungseffekte hatten. Das ist heute nicht mehr so. Schlafstörungen sind eine chronische Krankheit und gehören daher auch chronisch behandelt.

Ingo Fietze leitet das Interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum der Charité und erklärt, wo die Untergrenze für gesunden Schlaf liegt.
Ingo Fietze leitet das Interdisziplinäre Schlafmedizinische Zentrum der Charité und erklärt, wo die Untergrenze für gesunden Schlaf liegt.

© PR

Gewöhnt man sich an das Schlafdefizit?

Nein, die nötige Schlafmenge ist jedem Menschen in die Wiege gelegt. Und geborene Kurzschläfer sind sehr selten. Im Normalfall holt sich der Körper den Schlaf, den er braucht. Das kann auch während der Arbeit passieren.

Was kann man dann dagegen tun?

Ein Powernap zwischen zehn und 40 Minuten reicht, um für die nächsten drei bis vier Stunden klarzukommen. Ein ganzer Schlafzyklus zwischen 90 und 100 Minuten, also ein echter Mittagsschlaf, ist noch besser. Das Powernappen ist kein pauschaler Tipp. Sensible Schläfer etwa brauchen ihr Schlafdefizit, um nachts überhaupt einschlafen zu können. Jeder kann das Powernappen aber mal ausprobieren. Funktioniert es nicht? Augen zu und entspannen reicht dann völlig aus.

Die Fragen stellte Jan Guldner/HB

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