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Zwei Drittel der User lesen vor einem Onlinekauf die Kundenbewertungen.

© Kai-Uwe Heinrich

BGH-Verhandlung: Wer haftet für falsche Kundenbewertungen im Internet?

Es geht um ein Produkt, dessen medizinische Wirkung nicht nachgewiesen ist. Dass die Haftungsfrage so kompliziert ist, liegt auch an Amazons Algorithmus.

„Schnell lässt der Schmerz nach“, schrieb ein Kunde als Rezension bei Amazon zu sogenannten Kinesiologie Tapes. „Die Linderung der Schmerzen ist spürbar“, meinte ein anderer. Auch englischsprachige User waren überzeugt: „This product is perfect for pain …“ Bei dem so angepriesenen Produkt handelt es sich um ein elastisches, selbstklebendes Band, das angeblich Schmerzen lindert. Die Wirkung ist allerdings wissenschaftlich unbewiesen, Kritiker halten sie für pure Einbildung.

Dennoch stehen sie dort bei Amazon, diese äußert werbewirksamen Rezensionen. Für die Händler sind sie enorm wichtig; laut einer Bitkom-Studie lesen zwei Drittel aller Online-Shopper die jeweiligen Kundenbewertungen vor dem Kauf. Doch wer haftet für deren Korrektheit? Um diese Frage ist ein Rechtsstreit entbrannt, dem sich heute der Bundesgerichtshof (BGH) widmet.

Kläger ist in diesem konkreten Fall (Az. I ZR 193/18) der Verband Sozialer Wettbewerb (VSW). Der beklagte Anbieter hatte sich gegenüber dem VSW verpflichtet, nicht mehr damit zu werben, dass die Produkte zur Schmerzbehandlung beitragen würden. Weil jedoch nach wie vor entsprechende Kundenbewertungen online unter den Produkten prangen, fordert der Verein nun eine Vertragsstrafe. Vor dem Landgericht Essen und dem Oberlandesgericht Hamm war der VSW mit seinem Anliegen bereits gescheitert und geht daraufhin nun in Revision.

Händler haben keinen Einfluss auf Rezensionen

Die Entscheidung ist auch deshalb so kompliziert, weil Amazon einen recht eigenwilligen Algorithmus hat, Kundenrezensionen auszuspielen. Die unter einem Artikel angezeigten Bewertungen sind nämlich nur dem Produkt zugeordnet, nicht aber dem Verkäufer. Das heißt, dass unter dem bei Händler A angebotenen Produkt die Rezension eines Kunden stehen kann, der die entsprechende Ware aber gar nicht bei Händler A, sondern bei Händler B gekauft hat. Mit anderen Worten: Händler haben keinen Einfluss darauf, welche Rezensionen unter ihren Produkten ausgespielt werden.

Aus Sicht des VSB müssen Händler dennoch dafür Sorgen, dass Amazon die entsprechenden Kundenbewertungen löscht. Tatsächlich hat der Verkäufer der Kinesiologie Tapes das sogar getan; mit Verweis auf interne Richtlinien lehnte der Amazon-Kundenservice die Anfrage allerdings ab. In diesem Fall, so die Auffassung des VSW, dürfe ein Händler sein Produkt einfach nicht mehr über Amazon anbieten. „Dadurch, dass die Beklagte die Kunden für sich sprechen lasse, mache sie sich die entsprechenden Angaben zu Eigen“, meint der VSW laut den Gerichtsunterlagen.

Der Beklagte hält dagegen: Abgesehen davon, dass man die Auswahl der angezeigten Rezensionen ohnehin nicht beeinflussen könne, „stellt sich Kundenbewertungen in der Wahrnehmung der Nutzer nicht als Werbemaßnahmen der Verkäufer dar. Vielmehr würden diese als Privatmeinung ohne wissenschaftlichen Anspruch verstanden werden.“ Die Vorinstanzen folgten dieser Sichtweise. „Zwar seien die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben irreführend“, urteilte das Landgericht Essen. Sie stellten aber keine Werbung dar. „Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen.“

VSW mit Abmahnwelle gegen Influencer

Welchen Stellenwert die Kundenbewertung haben, zeigt sich auch an der Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, die sich mit ihnen befassen. Auch bei Nahrungsergänzungsmitteln laufen derzeit Verfahren, weil in den Kommentaren gesundheitliche Wirkungen angepriesen werden, die wissenschaftlich nicht belegt sind. Zudem ist aus dem gewerblichen Erstellen positiver Rezensionen ein ganzes Geschäftsmodell geworden. Vor dem Landgericht München läuft derzeit ein Verfahren, in dem das Urlaubsportal Holidaycheck gegen die Firma Fivestar Marketing vorgeht, die Kundenbewertungen auf Bestellung zum Kauf anbietet.

Der VSW ist in solchen Fragen kein unbekannter Kläger. Der laut eigener Beschreibung 1975 von „namhaften Berliner Kaufleuten“ gegründete Verband hat es sich zur Aufgabe gemacht, unlauteren Wettbewerb und Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen. Konkret drückte sich das in den vergangenen Jahren vor allem durch eine Abmahnwelle gegen Influencer aus. Allein im Jahr 2017 und vor dem Landgericht Berlin hat der Verband nach Angaben des Magazins „Horizont“ insgesamt 142 Verfahren angestrengt.

Mit unterschiedlichem Erfolg; Im Frühjahr dieses Jahres unterlag der VSW vor dem Landgericht München gegen die Influencerin Katy Hummels. Das Start-up Szuro beförderte der VSW wiederum bis knapp vor den Ruin. Das Unternehmen hatte ein Online-Magazin herausgegeben, dessen Inhalt an die Influencerin xLaeta gebunden war. Weil hier die Grenzen zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt unklar waren, musste das Magazin eingestellt werden.

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