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Viele Auszubildende haben derzeit keinen Berufsschulunterricht, der Spracherwerb gerät ins Stocken.

© Ingo Wagner/dpa

Coronakrise gefährdet Ausbildungsplätze: Geflüchtete in Ausbildung bangen um ihre Zukunft im Land

Existenzielle Angst in der Krise: Für Auszubildende mit Fluchthintergrund hängt vom Arbeitsplatz der befristete Aufenthalt in Deutschland ab.

Ob die letzten Jahre umsonst gewesen sind, werden sie bald wissen. Ulla Kampers ist Personalleiterin der Firma Nordluft, wo zwei Geflüchtete arbeiten. Ein Afghane wird noch ausgebildet, ein Syrer ist inzwischen Fachkraft. „Das größte Problem für unseren Auszubildenden mit Fluchthintergrund ist, dass er derzeit weder Berufsschul- noch Sprachunterricht erhält“, erzählt Ulla Kampers. „Bis zu seinen Prüfungen im Sommer muss er also sehr schnell viel nachholen.“ Sie hofft, er schafft es.

Jungen Menschen stehen in Deutschland ungewisse Monate bevor. Gibt es für Schülerinnen und Schüler genug Ausbildungsplätze? Behalten Azubis ihre Stellen, wenn immer mehr Betriebe in Not geraten? Werden sie übernommen? So viele Fragen. Eine Gruppe hat allerdings noch mehr.

„Bei geflüchteten Menschen in Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung hängt vom Arbeitsplatz auch der befristete Aufenthalt in Deutschland ab“, sagt Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Fünf Jahre nach dem großen Flüchtlingszuzug ist fast die Hälfte erwerbstätig.

Etwa 55 000 Mädchen und Jungen mit Staatsangehörigkeit der acht Hauptherkunftsländer machen eine Ausbildung. Endet diese vorzeitig, bleiben einem Geduldeten sechs Monate, um einen neuen Platz zu finden.

Drei Monate Zeit, um einen neuen Job zu finden

Geflüchtete, die sich in einer Beschäftigungsduldung befinden, haben nach dem Verlust ihrer Arbeit drei Monate Zeit, einen neuen Job zu finden. Zwar sind aufgrund der aktuellen Einschränkungen Asylverfahren und Abschiebungen ausgesetzt, doch inwieweit die gesetzlich geregelte Frist zur Suche nach einer neuen Stelle reicht und wie viele Menschen ansonsten von einer Abschiebung bedroht sind, wird sich noch zeigen.

Das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ wurde 2016 als Initiative des DIHK und Bundeswirtschaftsministeriums gegründet und stellt Betriebe wie Nordluft vor, um auf die Ausnahmesituation der Geflüchteten hinzuweisen. Projektleiterin Marlene Thiele geht davon aus, dass es etliche Schwierigkeiten geben wird. Auch für jene, die über einen sicheren Aufenthaltstitel verfügen.

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„Die Vorbereitung auf die Prüfungen ist momentan enorm schwer“, erzählt sie. „Anders als Azubis, die bei ihren Eltern wohnen, haben viele Geflüchtete keinen Laptop, um dem digitalen Unterricht zu folgen.“ Verständnisprobleme seien schwerer zu lösen als direkt in der Schule. Was sie dennoch beobachtet? Durch ihre Kontakte ins Ausland hätten viele Geflüchtete einen sehr dankbaren Blick auf Deutschland und welche Hilfen es hier gebe.

Es gibt bereits weniger angebotene Lehrstellen

Wie der Rest des Landes hofft Marlene Thiele, dass der Arbeitsmarkt nicht zu sehr unter der Krise leiden wird. In den vergangenen Jahren hätten die Geflüchteten sehr davon profitiert, dass es in manchen Branchen einen extremen Fachkräftemangel gab. Zum Beispiel in der Gastronomie. Schwinden hier die Stellen, schwinden ihre Jobchancen.

„Arbeit ist aber so wichtig für die Integration“, sagt Marlene Thiele. „Und die Stimmung, die Akzeptanz gegenüber Geflüchteten könnte sich verschlechtern, wenn es zu mehr Konkurrenz kommt.“

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Bei den angebotenen Lehrstellen gab es Anfang Mai bereits ein Minus von knapp acht Prozent im Vergleich zum Vormonat. Darauf machte vor Kurzem Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) aufmerksam. Die Bundesagentur für Arbeit befürchtet, dass Betriebe zugesagte Lehrstellen im Juni oder Juli aufkündigen könnten, wenn sich die Wirtschaftslage bis dahin nicht verbessert hat.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) möchte verhindern, dass Arbeitsplätze und Lehrstellen verschwinden. Für Ende Mai werde die Bundesregierung Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände in der Ausbildungsallianz zu Beratungen einladen. Der DIHK drängelt. Angesichts fehlender Einnahmen und geschlossener Berufsschulen werde es für die mehr als 400 000 Ausbildungsbetriebe „von Tag zu Tag schwieriger“, die Ausbildung aufrechtzuerhalten und Plätze für das kommende Jahr anzubieten.

Forderungen nach einem „Schutzschirm für Ausbildung“

Der Verband fordert Kurzarbeitergeld für Lehrlinge ohne Einschränkungen. Bislang gilt für sie eine sechswöchige Wartefrist. Für zusätzliche Lehrstellen ab dem Herbst sollte eine staatliche Bonuszahlung diskutiert werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht ebenfalls von einem „Schutzschirm für Ausbildung“. „Wir wollen einen Bonus für Unternehmen, die Auszubildende aus insolventen Betrieben übernehmen“, meint die stellvertretende Chefin Elke Hannack.

Christian Schröder ist noch frei von Sorgen. Er ist Personalleiter im mecklenburgischen Ressort Schloss Fleesensee, in dem auch Geflüchtete ausgebildet werden. „Kurzarbeitergeld für Auszubildende ist bei uns glücklicherweise noch kein Thema“, sagt er. Er spreche viel mit den Berufsschulen, um Lehrinhalte abzusprechen.

Die Azubis würden feste Lernzeiten bekommen. Trotz der Schließung gebe es außerdem genug zu erledigen. So hätten die Auszubildenden in den vergangenen Wochen geplante Renovierungsarbeiten auf dem Gelände endlich in die Tat umgesetzt.

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