zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Der doppelte Twist

Aufsehen erregt der holländische Architekt Ben van Berkel nicht nur mit spektakulären Bauten, sondern auch mit zukunftweisenden Möbelentwürfen

Unter dem Titel „Architektur ist die Botschaft“ lud vor kurzem die Niederländische Botschaft in Berlin den Stararchitekten Ben van Berkel (1957) ein, die Arbeiten seines gemeinsam mit Caroline Bos 1998 in Amsterdam gegründeten UN Studios zu präsentieren, darunter das im letzten Jahr eröffnete Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart und die Erasmus Brücke in Rotterdam. Auch als Designer macht Ben van Berkel von sich reden. „Circle“ nennt sich sein von „Walter Knoll“ produziertes Sofa, das unter anderem 2006 mit dem „Red Dot Award“ ausgezeichnet wurde. Nora Sobich sprach mit Ben van Berkel.

Herr van Berkel, Sie sind ein viel beschäftigter Mann. Ihr Architekturbüro „UN Studio“ realisiert Projekte in der ganzen Welt, sie halten international Vorträge und sind zudem Professor an der Städelschule in Frankfurt. Wann kommen Ihnen die besten Ideen?

Wenn ich reise. Ich habe auf den Kanarischen Inseln einen schönen Ort, wo ich vier bis fünf Mal im Jahr hingehe und dann alles Wichtige mitnehme. Gern zeichne ich in der Nacht, kurz vor dem Schlafengehen. Meine besten Ideen kommen mir zwischen neun und elf Uhr.

Architektur sollte in die Zukunft schauen, haben Sie einmal gesagt. Warum das?

Das hat etwas mit der Autonomie zu tun, die man in Zukunftsobjekten findet. Als ich den neuen iPod zum ersten Mal sah, und zwar ohne die kleinen Kopfhörer, so dass ich nicht sofort erkennen konnte, was es eigentlich war, dachte ich: Was für ein futuristisches Objekt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man dann, dass es nicht nur sehr futuristisch ist, sondern auch sehr attraktiv und innovativ.

Vermissen Sie in der zeitgenössischen Gestaltung den Blick in die Zukunft?

Ich glaube, Architektur sollte sehr viel mehr in die Zukunft schauen. Nicht nur wegen des Stylings oder des Images, sondern eher so, wie man auch in der Kunst oder in der Wissenschaft nach vorn schaut. Wir sind sehr ängstlich, wenn Produkte oder Architektur futuristisch wirken. Obwohl sie dies manchmal nur für einen Tag oder ein halbes Jahr tun. Dann akzeptiert man es und genießt es. In diesem Sinne sollten wir auch mit neuen Technologien nicht so ängstlich sein.

Was heißt für Sie neue Technologien?

Dass wir etwa wie im Augenblick mehr darüber nachdenken, neue Formen für das Energiesparen zu entwickeln oder neue Konzepte für Screenbuildings. Das verlangt auch neue Formen in der Architektur. Neue Technologien machen die Architektur in ihren Qualitäten progressiver.

Würden Sie auch Ihr Sofa „Circle“ als progressiv bezeichnen?

Ja, ich glaube ja. Weil es im Grunde mehr ist als ein Sofa. Es stellt die Idee der separierten Lebensbereiche infrage, indem es ein Schlaf-, Wohn- und Arbeitsmöbel ist. Ich habe dort auch schon oft gearbeitet – mit meinem Laptop und meinen Sachen um mich herum. Es ist sehr interaktiv. Man kann dort mit seiner Familie oder seinen Freunden sitzen und einen Dialog haben oder allein ein Buch lesen.

Auch hier in der Niederländischen Botschaft steht ein „Circle“ und zwar in der Lobby.

Ja, man kann es in vielen verschiedenen Kontexten nutzen. Das war mir wichtig, dass es zu unterschiedlichen Orten eine Beziehung aufbauen kann.

Haben Sie selbst ein „Circle“-Sofa bei sich zu Hause stehen?

Nicht bei mir zu Hause, aber im Büro. Es ist wunderbar und wird viel genutzt. Wir haben insgesamt 80 Mitarbeiter und es kommt vor, wenn wir einen Wettbewerb haben, dass ich morgens ins Büro komme und dort nach durchgearbeiteter Nacht noch fünf Leute schlafen.

Ein Sofa ist wahrscheinlich nicht das allererste Objekt, das ein Architekt entwirft. Eher einen Stuhl oder eine Leuchte.

Ein Sofa zu entwerfen, ist schwer. Viele Leute denken: Ach, das ist einfach, viel einfacher, als ein Gebäude zu entwerfen. Aber es ist tatsächlich fast genauso schwer. Und es braucht Zeit, bis man zu der Idee kommt, in diesem Fall fast zwei Jahre.

Die Inspiration kam Ihnen, während Sie in Stuttgart das Mercedes-Benz-Museum entwarfen. Was war das für eine Idee?

Die Idee des Kreises, des „Circles“: Wie kann man in einem Kreis zusammenkommen und kommunizieren, wie wird aus einem Kreis ein Raum. Die zweite Idee war, dass es komfortabel ist.

Es bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Sitzpositionen einzunehmen.

Ja, man kann gerade sitzen, man kann sich aber auch zurücklehnen. Also auf der einen Seite ist da eine große Flexibilität, auf der andern Seite ist es in seiner Flexibilität auch sehr spezifisch.

Mit seiner dynamischen Rennbahnform wirkt das Sofa wie eine Skulptur – die etwas mit uns macht, mit der aber auch wir etwas machen können.

Man kann es in sehr vielen verschiedenen Varianten zusammensetzen. Es ist die Vorstellung vom Twist. Es ist ein Twist im doppelten Sinne. Sowohl im Sozialen wie auch im Formalen und auch in der Art, wie wir auf den Twist von Möbeln schauen.

Es ist auch ziemlich groß …

Es ist sehr groß und das ist nicht so leicht, wenn man ein kleines Wohnzimmer hat.

Meinen Sie, es verlöre ohne die Größe seinen Charakter?

Manchmal denke ich, dass wir vielleicht noch eine kleinere Version machen sollten. Aber ich mag, dass es eine große Geste hat, und die Leute kaufen es. Es läuft sehr gut. Ich weiß nicht genau, wie viele bereits verkauft wurden, aber für über 300 000 Euro allein im letzten Jahr.

War es für Sie als Architekt eine neue Erfahrung, Möbel zu entwerfen?

Nein, ich mochte es schon immer. Ich habe einen Interieur-Hintergrund und mich deswegen auch schon immer für Möbel und Produkte interessiert. Früher habe ich allerdings nur Einzelanfertigungen gemacht.

Inzwischen arbeiten Sie auch für die italienische Designschmiede „Alessi“.

„Alessi“ ist sehr inspirierend für mich. Gerade weil man mir dort das Gefühl gibt, dass ich als Architekt einen anderen Blick für Design habe als etwa ein Industriedesigner, mehr auf die Organisation schaue als nur auf das Objekt an sich, auf die Ästhetik.

Haben Sie derzeit noch weitere Möbel in Planung?

Für den dänischen Hersteller „Fritz Hansen“ entwerfe ich gerade einen Stuhl. Beziehungsweise es ist eigentlich kein Stuhl, eher eine schmale Bank für drei bis vier Personen. Mehr kann ich jetzt aber noch nicht sagen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false