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Schweizer Sorgenkind: Die Großbank Credit Suisse hat viele hausgemachte Probleme – aber auch Bedeutung fürs ganze Finanzsystem.

© imago images/Geisser

Silicon Valley Bank und Credit Suisse: Nur Einzelfälle oder Vorboten eines Crashs?

Nach der Silicon Valley Bank strauchelt auch die Credit Suisse. Das alles lässt die Furcht vor einer neuen Finanzkrise wachsen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Lukas Zdrzalek

Die Großbank Credit Suisse greift nach der Rettungsleine der Schweizer Nationalbank: Kredite über bis zu 50 Milliarden Franken (54 Milliarden Euro) sollen aufgenommen werden. Damit reagiert das Geldhaus auf einen grauenhaften Börsentag: Sein Aktienkurs war am Mittwoch zeitweise um mehr als 30 Prozent abgestürzt. Das löste ein Börsenbeben aus, Aktien anderer Geldhäuser stürzten ebenso ab wie der deutsche Leitindex Dax.

Das alles lässt die Furcht vor einer neuen Finanzkrise wachsen – nur eine Woche, nachdem die US-amerikanische Silicon Valley Bank insolvent gegangen ist. Warum löst ein Kurssturz einer einzelnen Bank gleich eine solche Panik aus? Wieso sind Börsenbeben bei Geldhäusern so gefährlich? Und droht nun gar eine neue Finanzkrise? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

1 Warum sind Kursstürze bei Banken so gefährlich?

Sie können zu einem sogenannten Bank-Run führen. Damit ist eine Situation gemeint, in der die Kunden einer Bank rasch ihre Ersparnisse abziehen, die sie bislang dort geparkt haben. Ein stark fallender Aktienkurs symbolisiert, dass die Aktionäre, also die Eigentümer, das Vertrauen in eine Bank verlieren. Und wenn ausgerechnet sie schon nicht mehr an die Bank glauben, geht es rasch auch den Kunden so. Wenn dann viele Kunden auf einmal ihr Geld abheben, entsteht ein Bank-Run, der die Bank überfordert, weil sie nie alle Einlagen auf einmal ausbezahlen kann.

Das kann rasch zur Pleite eines Geldhauses führen – so wie bei der Silicon Valley Bank geschehen. Bloß würde der Untergang der Credit Suisse gigantische Schockwellen auslösen – viel größere als die Insolvenz der Silicon Valley Bank. Denn die Credit Suisse ist viel bedeutsamer für das Weltfinanzsystem als die US-Bank.

2 Wieso kann eine Bank nie alle Kunden auf einmal auszahlen?

Banken verleihen den Großteil ihrer Kundeneinlagen als Kredite an andere Kunden weiter; diese Darlehen kann keine Bank einfach so kündigen. Zwar parken Banken einen Teil der Kundeneinlagen auch auf Konten bei ihrer jeweiligen Zentralbank, damit sie jederzeit Einlagen zurückzahlen können – und die Credit Suisse betont, sie verfüge über genug Gelder, selbst bei einem Kundenansturm. Sollte das Geld jedoch nicht reichen, droht der Credit Suisse ein ähnliches Drama wie der Silicon Valley Bank. Denn auch die Credit Suisse hat einen Teil ihres Geldes in eigentlich hochsichere Anleihen investiert. Normalerweise könnte sie diese einfach verkaufen und die so erzielten Einnahmen an ihre Kunden weiterreichen. Das Problem ist nur, dass die Kurse vieler, auch vermeintlich sicherer Anleihen, zuletzt gesunken sind. Die Credit Suisse würde also bei einem Verkauf womöglich Verluste machen. Sie hätten dann nicht genügend Geld, um den Kundenansturm in den Griff zu kriegen.

3 Wie kam es zum Kurssturz bei der Credit Suisse?

Ende vergangener Woche verschob Credit Suisse die Veröffentlichung ihres Jahresabschlusses, weil die US-Finanzaufsicht SEC Nachfragen hatte. Am Dienstag musste die Bank dann einräumen, sie habe „wesentliche Mängel“ in ihren Finanzberichten gefunden.

Damit setzte ein Kurssturz ein, der sich am Mittwoch zum Börsenbeben ausweitete. Die Investoren interpretierten offenbar eine Aussage des saudi-arabischen Großinvestors der Credit Suisse als Misstrauensvotum. Ein Vertreter hatte gegenüber einem Reporter erklärt, er werde aus vielen Gründen „auf keinen Fall“ weiteres Kapital in die Bank investieren.

30%
weniger wert waren die Aktien der Credit Suisse am Mittwoch plötzlich

Zwar nannte er dafür einen nachvollziehbaren Grund, aber in der ohnehin angespannten Situation nach der Pleite der Silicon Valley Bank verunsicherten diese Sätze die Investoren zusätzlich. „Der Manager hätte sich auch anders äußern können“, meint Jan Pieter Krahnen, emeritierter Finanzprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität. So hätte er etwa versichern können, alles dafür zu tun, frisches Kapital aufzutreiben, falls die Credit Suisse dieses benötigt.

4 Hatte die Credit Suisse schon länger Probleme?

Die Bank war in mehrere Großskandale verwickelt, etwa in die Pleite des Hedgefonds Archegos und den Untergang des Finanzimperiums Greensill. In der Folge hat sie heftige Verluste eingefahren. Allein im vergangenen Jahr belief sich das Defizit auf umgerechnet mehr als sieben Milliarden Euro.

5 Kann die Credit Suisse gerettet werden?

Womöglich. Die Schweizerische Nationalbank hat der Großbank de-facto eine Einlagengarantie abgegeben: Sie werde die Credit Suisse stützen und ihr Geld leihen, falls zu viele Kunden auf einmal ihre Guthaben abzögen. Und die Credit Suisse macht davon Gebrauch. Neben den Krediten über bis zu 50 Milliarden Franken will sie eigene Schuldtitel zurückkaufen.

Damit könnte die Nationalbank die Gefahr eines Bank-Runs abgewendet haben, weil nun kein Anreiz mehr besteht, möglichst rasch Geld abzuheben. Zudem betonten die Nationalbank und die Schweizer Finanzaufsicht Finma, die Bank erfülle alle Anforderungen und verfüge über ausreichend Geld, um Kunden auszahlen zu können.

Bei aller Unruhe an den Finanzmärkten nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank besteht kein Risiko, wie es sich ab 2007 zur Weltfinanzkrise entwickelte.

Michael Hüther,
Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft

Der Schritt könnte zwar die Panik um die Credit Suisse beenden, aber womöglich beschleunigt er mittelfristig den seit Jahren laufenden Niedergang der Bank: Kunden könnten die Krise der vergangenen Tage zum Anlass nehmen, zu einem anderen Geldhaus zu wechseln, weil sie ein solches Drama nicht noch einmal erleben wollen. Und ohne ausreichend viele Kunden wäre das Institut ebenfalls in seiner Existenz bedroht.

6 Droht eine neue Finanzkrise wie schon 2008/2009?

Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), erwartet keine neue Finanzkrise wie vor 15 Jahren. „Bei aller Unruhe an den Finanzmärkten nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank besteht kein Risiko, wie es sich ab 2007 zur Weltfinanzkrise entwickelte“, sagte Hüther der „Rheinischen Post“. Die laufende Anpassung an steigende Zinsen sei für Banken in Deutschland kein Problem. „Während vor 15 Jahren der Ausweg für die Anleger nur in dem Abzug von Mitteln aus der Finanzindustrie überhaupt lag, beobachten wir derzeit eine Verlagerung zu stabil bewerteten Banken (wie der Deutschen Bank) als Flucht in die Qualität.“

Susannah Streeter, Analysting der britischen Investmentgesellschaft Hargreaves Lansdown, bestätigt, dass die Institute aus 2008 gelernt hätten: „Das Systemrisiko für den Sektor wird nach wie vor als gering eingeschätzt, da größere Banken durch die Finanzkrise größere Kapitalpuffer aufgebaut haben und über stabile Einlagen verfügen.“ Auch Andreas Venditti von der Bank Vontobel gibt sich zuversichtlich: Die Unterstützung der Credit Suisse durch die Schweizer Behörden sei „ein starkes und wichtiges Signal. Wir hoffen, dass die Maßnahmen die Märkte beruhigen und die Negativspirale durchbrechen werden.“

Der Verband der Deutschen Treasurer (VDT) warnt hingegen die in Unternehmen für Finanzen Verantwortlichen davor, die derzeitige Lage zu unterschätzen. Selbst wenn sie nicht direkt oder indirekt vom Kollaps der Silicon Valley Bank betroffen seien, sollten sie ein wachsames Auge auf die amerikanischen Märkte haben. „Die Geschwindigkeit und Reichweite solcher Krisenentwicklungen im Kapitalmarkt sind immer wieder bemerkenswert“, erklärte VDT-Riskmanager Carsten Linker. Sowohl die Verflechtungen der Kapital- und Finanzmärkte als auch Einzelrisiken wie die Credit Suisse könnten schnell weitere Probleme auslösen.

7 Gibt es Parallelen zur damaligen Finanzkrise?

Der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers jagte 2008 Schockwellen durch das globale Finanzsystem. Banken mussten Milliardenverluste verkraften, das Vertrauen innerhalb der Branche erodierte. Die Institute liehen sich untereinander kein Geld mehr. Viele Geldhäuser wurden mit Steuermilliarden vor dem Kollaps gerettet. Die jetzt zusammengebrochene Silicon Valley Bank (SVB) ist für das weltweite Finanzsystem aber deutlich weniger bedeutend, als es Lehman es war.

Dennoch: „Der Druck steigender Zinsen und fallender Marktwerte bei Finanzanlagen mit langer Laufzeit trifft auch die europäischen Banken“, sagte der Chef des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo), Clemens Fuest, unlängst. „Kreditinstitute, die aufgrund anderer Fehler bereits geschwächt sind, laufen jetzt Gefahr, das Vertrauen ihrer Kunden zu verlieren.“

8 Was hat sich seit der Finanzkrise 2008/2009 geändert?

Um die Branche krisenfester zu machen, müssen Banken inzwischen deutlich mehr Eigenkapital vorweisen, mit dem sie in Krisen Verluste abpuffern können. Die EZB überwacht die großen Institute im Euroraum zentral. Zudem werden seit 2016 in Europa im Fall der Schieflage eines Instituts zunächst Eigentümer und Gläubiger zur Kasse gebeten. Erst als letztes Mittel geht es an Einlagen von Sparern sowie Gelder aus einem von den Banken finanzierten Krisenfonds (Single Resolution Fund).

9 Wie gefährlich ist die Zinspolitik von EZB und Fed für Banken?

Die Zinswende hat für die Banken zwei Seiten: Der Zinsüberschuss steigt, er ist in Deutschland traditionell die wichtigste Ertragsquelle von Banken und Sparkassen. Auf der anderen Seite mussten zum Beispiel die deutschen Sparkassen Milliardenabschreibungen auf Wertpapierbestände hinnehmen, was den Gewinn schmälerte. Der Zinsanstieg hatte zu Kursverlusten etwa bei Staatsanleihen geführt.

Das ist kein Problem, solange die Anleihen bis zur Fälligkeit gehalten werden und sich Wertkorrekturen in den nächsten Jahren ausgleichen. Der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) jedoch hat die Finanzwelt aufgeschreckt: Das auf Start-up-Finanzierung spezialisierte US-Institut hatte in der Niedrigzinsphase viel Geld etwa in US-Staatsanleihen mit langer Laufzeit investiert. Mit der Zinswende verloren viele der Wertpapiere erheblich an Wert.

Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut sagt, dass die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) immer damit rechnen mussten, dass Zinserhöhungen negative Nebenwirkungen für die Finanzmärkte haben können. „Die Zentralbanken dürfen aber nicht übersehen, dass auch eine sich verfestigende Inflation ganz erhebliche Stabilitätsrisiken mit sich bringt“, so Heinemann. „Insofern besteht ein klassischer Zielkonflikt: Eine entschlossene Inflationsbekämpfung ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.“ Die Turbulenzen um SVB und Credit Suisse zeigten deutlich, unter welchen Stress die Zinserhöhungen den Bankensektor setzen. „Kommt es zu einer umfassenden Bankenkrise, dann wird auch die EZB ihren Zinserhöhungskurs abbrechen müssen.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Wirtschaftswoche. Er wurde mit Material von dpa und Reuters ergänzt.

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