Wirtschaft: "Der Riester hat einfach Pech gehabt"
BONN .Er sieht hager aus.
BONN .Er sieht hager aus.Die Falten im Gesicht wirken tiefer.Die braunen Augen melancholischer.Die Abgeordneten im Bundestag debattieren über den Etat des Arbeitsministers, doch Walter Riester scheint nicht hinzuhören.Er hat die Augenlider runtergeklappt, und auf seinem Gesicht liegt wieder dieser traurige Eulenblick.Riester wirkt weit weg, als wollte er die Keulenschläge der Opposition einfach wegdenken.Sie nennen ihn "Mogelminister", der den Billigjobbern "voll auf die Schnauze" haue.Einen "Schrankenwärter, der nicht mitbekommen habe, das die Eisenbahnstrecke längst stillgelegt" sei.Riester ein Minister mit Ablaufstempel.
Später hält er sich trotzig am Rednerpult fest.Es wird eine matte Rede.Er lobt tapfer das Programm für Jugendarbeitslosigkeit und seinen aufgestockten Etat.Die umstrittenen Gesetze zu den 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit erwähnt er kaum.Trotzdem klatschen die SPD-Abgeordneten lange.Sie müssen sich selbst Mut machen gegenüber einem Kanzler, der Riester über die Medien mobbt.Für Schröder ist er eine "Riesenenttäuschung", streuen Kanzlervertraute.Schließlich galt er als Modernisierer, und jetzt bremse er.Riester wird verantwortlich gemacht, wenn Tausende Bäckerei-Verkäuferinnen, Kellner oder Zeitungsträger ihren 630-Mark-Job hinschmeißen.Auf ihn richtet sich der Zorn von Architekten oder Taxifahrern, die plötzlich Rentenbeiträge zahlen sollen.Riester, der Pate der SPD-Sozialmafia.Schon sieht Bonn den nächsten Minister von der Bühne schwinden.
Vermutlich denkt Riester in diesen Tagen viel über seinen Image-Wandel nach, seit im März vergangenen Jahres das Telefon schrillte und Gerhard Schröder ihm das Amt des Arbeitsministers andiente.Damals schrieben die Zeitungen von einem klugen Schachzug.Riester war der Hoffnungsträger.Er sollte ohne sozialdemokratischen Mief im Sakko den Sozialstaat umbauen.Der gebürtige Allgäuer hatte sich vom Fliesenleger zum zweiten Vorsitzenden der IG Metall hochgearbeitet, und seine linken Positionen aus der 68er Zeit hinter sich gelassen.Er handelte fortschrittliche Tarifverträge aus und stieg dabei zum Unternehmerliebling auf.VW-Chef Piëch wollte ihn zum Personalvorstand ernennen, die Deutsche Bank druckte sein Gesicht auf Werbeanzeigen und mit dem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt verbinden ihn enge Bande, seit sie in Stuttgart Tarifverträge aushandelten.
So einen wie Riester brauchte Schröder für die neue Mitte.Und Riester brauchte Schröder.Er hatte sich in der Frankfurter IG-Metall-Zentrale isoliert.Das Tandem, das er mit IG-Metall-Chef Klaus Zwickel bildete, brach auseinander."Der mußte weg", sagt ein Insider."Der hatte doch Todfeinde in der Gewerkschaft." Also ging er nach Bonn und die Lichtgestalt verdunkelte sich zum Schattenmann.Riester sieht keinen Wandel.Er versteht die Aufregung nicht.Er sieht nur eine "Kesselschlacht", die man durchstehen müsse.Schließlich wollte er nur den Mißbrauch bei den 630-Mark-Jobs und der Scheinselbständigkeit bekämpfen.Außerdem stellten sich viele Menschen besser, sie seien jetzt sozialversichert und hätten Ansprüche an die Rentenversicherung."Irgendwann werden diese Argumente zu den Menschen durchsickern", sagt er.Ganz bestimmt.Da will er beharrlich bleiben gegen die Meinungsöffentlichkeit, die er als "Gleichschaltung der deutschen Presselandschaft" erlebt.
Ein hoher Wirtschaftsfunktionär wiegt den Kopf und grübelt.Er hat oft mit Riester in den Runden des Bündnisses für Arbeit gesessen und sah keinen doktrinären Politiker: "Der Riester hat einfach Pech gehabt".Ähnlich denken einflußreiche Grüne: "Der ist irgendwie zwischen die Mühlsteine geraten, zwischen Modernisierer und Traditionalisten in der SPD." Riesters Abstieg begann bereits beim Bonner Siegesparteitag im Hotel Maritim, als Ex-Parteichef Oskar Lafontaine vorschlug, Arbeits- und Pflegeleistungen nur den Bedürftigen zu gewähren - aber Riester nicht einweihte.Später wollte Riester das Problem der Billig-Jobs angehen und griff auf Oppositionsvorlagen der SPD und Unionspläne zurück.Nur Schröder hatte eigene Ideen und das 630-Mark-Gesetz geriet zum Symbol für Chaostage in Bonn.Riesters Vorschlag für Tariffonds, mit denen 60jährige leichter in Rente gehen sollten, watschten Gewerkschaften und Arbeitgeber ab.Beim Bündnis für Arbeit blieb ihm nur die Nebenrolle, neben Kanzleramtsminister Bodo Hombach.Über das Gesetz zur Scheinselbständigkeit klagten Freiberufler so laut, daß die Koalitionsspitzen bei Schröder Korrekturen verlangten.Doch Riester blieb standhaft, und die SPD-Fraktion stützte ihn.Also darf eine Expertenkommission forschen.Die Bild-Zeitung titelte "1:0 für Riester".Seitdem ist das Verhältnis zwischen Kanzler und Arbeitsminister zerrüttet."Der Kanzler merkt sich das", heißt es.
Irgendwie sind sich beide fremd.Der aufrechte Metaller und der machtbewußte Kanzler.Riester findet sich in der Bonner Kunstwelt mit ihren Eitelkeiten nicht zurecht.Er haßt "Gockelauftritte", und wenn ein Phototermin ansteht, muß er mit sanfter Gewalt vor die Linse gezogen werden.Er verweigert sich dem Bonner Bandenspiel und reicht keine Details über Kabinettskollegen an Journalisten weiter.Er will der "anständige Walter" bleiben, als den ihn sein Vorgänger Norbert Blüm bezeichnete.
Aber Politik in Bonn ist nicht anständig.Nicht für einen Arbeitsminister, der kompliziert denkt und redet - und dessen Interviews oft wie Zeitbomben zünden.So will er die Folgen der Steuerreform für die Rentenversicherung erklären und in den Schlagzeilen bleibt hängen "Riester will an die Rente ran".Er grübelt über eine Grundsicherung für das Alter und Rentenexperten sind entsetzt über die Debatte zur Grundrente, die er nebenbei anstößt.Er kennt die Welt der Gewerkschaften mit ihren Plänen von geordneten Arbeitsverhältnissen und Tarifverträgen.So tut sich Riester schwer mit einem Kanzler, der in Kategorien von Gewinner und Verlierer denkt - und der von seinen Ministern keine Niederlage beigebracht bekommen möchte.Nur löst er ihn deshalb ab? "Den brauchen wir doch als Ersatz für Lafontaine", sagt ein Schröder-Vertrauter.Er redet von den Traditionalisten in der Partei, die eine Gallionsfigur bräuchten.Und was ist mit den Gewerkschaften? Sie würden kaum weiter am Bündnistisch sitzen, sollte Riester gehen.Also wird er bleiben, und die umstrittenen Gesetze weiter verteidigen.Nur manchem Grünen wird Angst, wenn er an die Europawahl denkt und die Innenpolitik den Kosovo-Krieg überlagert."Die Wähler werden uns einen Denkzettel verpassen", sagt er."In der Innenpolitik haben wir doch nichts richtig hinbekommen."
ANDREAS HOFFMANN