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„Glyphosat ist nicht krebserregend“, sagt Andreas Hensel. Da sei sich die Wissenschaft einig.

© Mike Wolff

Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung: "Die Wissenschaft wird als Kampfmittel missbraucht"

Der Unkrautvernichter Glyphopsat ist nicht krebserregend, sagt Andreas Hensel. Die Wissenschaft sei sich da einig. Aber bestimmten politische Kreisen passe das nicht.

Es ist ein idyllischer Ort, an dem das Interview mit Andreas Hensel stattfindet. Der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) arbeitet in einem alten Gutshaus in Alt-Marienfelde mit Blick auf Ziegen und Hühner. Wenige Meter entfernt liegen die Labore des Instituts. Insgesamt 855 Mitarbeiter, darunter 345 Wissenschaftler, prüfen und bewerten hier seit 2002 Lebens- und Futtermittel auf ihre gesundheitliche Unbedenklichkeit. Seit 2003 leitet Hensel (56) die Behörde. Der Professor Dr. Dr. ist Veterinärmediziner, Mikrobiologe und Hygieniker.

Idyllisch ist seine Arbeit gerade nicht. Derzeit tobt ein Streit um das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, den auch das BfR nicht verschont. An diesem Montag wollen die EU-Mitgliedsstaaten noch einmal einen Versuch unternehmen, sich auf eine Verlängerung der Zulassung zu einigen. Bisher ist das nicht gelungen. Falls es auch dieses Mal nicht klappt, muss die EU-Kommission entscheiden.

Herr Hensel, an diesem Montag beschäftigt man sich in Brüssel noch einmal mit der Frage, ob man die Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat verlängern soll. Wie sehen Sie das? Soll man Glyphosat weiter zulassen?

Das ist eine politische Frage und keine wissenschaftliche. In der Wissenschaft ist die Sache abschließend geklärt. Sämtliche Bewertungsbehörden in den Mitgliedsländern der EU und alle EU-Behörden sind einhellig der Meinung, dass es keine gesundheitlichen Bedenken dagegen gibt, Glyphosat weiter zuzulassen. In der Wissenschaft ist das Urteil glasklar: Glyphosat ist nicht krebserregend. Aber es geht schon lange nicht mehr um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern um Landwirtschaftspolitik.

Aber so glasklar kann die Einordung doch nicht sein, wenn die IARC, die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO, Glyphosat für krebserregend hält?

Man muss sich dazu aber die Klassifizierungen der IARC anschauen. Für die IARC fällt alles unter die Rubrik „wahrscheinlich krebserregend“, wo es zum kanzerogenen Potenzial eines Stoffes noch Forschungsbedarf gibt. Aber damit steht die IARC allein da. Alle Zulassungsbehörden der Welt kommen zum selben Schluss wie wir, dass nämlich Glyphosat nicht krebserregend ist. Auch die zuständige Behörde der WHO – das JMPR –, die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA und die europäische Chemiekalienagentur ECHA sehen das so. Glyphosat ist seit 40 Jahren auf dem Markt. Es ist eine der am besten untersuchten Substanzen der Welt, es ist das wichtigste Pflanzenschutzmittel. Und erst kürzlich ist eine neue Studie aus den USA mit zehntausenden Probanden aus der Landwirtschaft erschienen, die zum selben Ergebnis kommt.

In Deutschland ist das BfR die Stimme der Wissenschaft. Nun wird Ihrer Behörde vorgeworfen, Sie hätten in Ihrem Gutachten nur die Informationen der Anbieter abgeschrieben. Was sagen Sie dazu?

Der Plagiatsvorwurf ist erfunden und haltlos. Es geht einzig darum, unser wissenschaftliches Urteil formal zu diskreditieren. Jeder, der behauptet, wir hätten abgeschrieben, sollte doch einfach einmal inhaltlich die 4500 Seiten lesen, die wir vorgelegt haben. Wir haben dort völlig transparent erklärt, wie wir vorgehen.

Aber eigene Untersuchungen haben Sie nicht durchgeführt?

Bei unserem Glyphosatbericht geht es um einen Bewertungsprozess zwischen Verwaltungsbehörden und nicht um die wissenschaftliche Publikation zur Beurteilung und Erforschung eines neuen Stoffs. Es gibt mehr als 20 Tierstudien und 1500 wissenschaftliche Publikationen zu Glyphosat. Die Experten der Behörden tauschen letztendlich Verwaltungsdokumente aus, und aus Gründen der Ökonomie fasst man die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen und stützt sich auf vorhandenes Wissen. Aber es ist nicht so, dass wir alles unkritisch durchwinken. Wenn es um die Frage geht, ob eine Substanz gesundheitlich bedenklich ist, sind wir eine der strengsten Behörden in Europa überhaupt. Aber wir können doch nicht einen Stoff für gesundheitlich problematisch erklären, der in Wirklichkeit unbedenklich ist, nur weil das bestimmten politischen Kreisen in den Kram passt.

Aber Glyphosat wird sogar im Bier gefunden. Ist das in Ordnung?

Ja, die Politik hat sich auf gesetzliche Höchstgehalte geeinigt, die für die Menschen ungefährlich sind und deshalb in Lebensmitteln enthalten sein können. Pestizide haben eine Wirkung auf Schadorganismen, sonst würden sie nicht eingesetzt. Aber sie sind nötig, um Ernten sicher zu machen. Die Bio-Landwirtschaft kommt ja auch nicht ohne chemische Spritzmittel aus, allerdings sagt sie, dass das nur Stoffe sind, die auch in der Natur vorkommen. Wir Wissenschaftler können mit einer solchen Unterscheidung der Chemie aber nicht viel anfangen. Wirkung ist Wirkung und Substanz ist Substanz.

Die Menschen gehen davon aus, dass Bio-Lebensmittel für sie gesünder sind. Stimmt das nicht?

Nein. Wenn man ein gleichartiges konventionelles und ein organisches Produkt untersucht, so kann man die beiden in der Analyse nicht unterscheiden. Die sind praktisch gleich. Bio mag die bessere Art der Landwirtschaft sein, aber am konkreten Produkt merkt man das nicht.

Glyphosat killt alles, was grün ist. Tötet die Chemikalie damit nicht auch Pflanzen ab, die wir für die Artenvielfalt brauchen?

Ja, so wirkt ein Totalherbizid. Glyphosat ist aber auch die Schlüsselsubstanz für die Gentechnik. Große Saatgutfirmen haben glyphosatresistente Pflanzen gezüchtet. Wenn man politisch Glyphosat kippt, kippt man damit auch die Gentechnik. Daher kommt auch der politische Furor. Ich wäre nur froh, wenn nicht die Wissenschaft als Kampfmittel in diesem Konflikt missbraucht werden würde.

Viele Menschen zweifeln an der Unabhängigkeit der Wissenschaftler. Wie können Sie Vertrauen zurück gewinnen?

Wir sind vor 15 Jahren von der grünen Agrarministerin Renate Künast als Reaktion auf die BSE-Krise gegründet worden. Wir sollten unabhängig sein und objektiv, das war von Anfang an klar. Wir merken jetzt aber, dass, sobald wir eine Bewertung veröffentlichen, die nicht auf die politische Agenda passt, wir öffentlich der Unfähigkeit bezichtigt werden. Ich bin deshalb in großer Sorge. Wenn man wegen eines politischen Erfolgs – in diesem Fall dem Ende von Glyphosat – alle Bewertungsbehörden diskreditiert, braucht man Institute wie das BfR oder die Efsa nicht. Wir landen dann aber in einer Facebook-Wissenschaft, wo jeder seinen Senf dazu gibt, egal ob er in der Sache Kenntnis hat oder nicht. Es gibt auf der Welt nur wenige Wissenschaftler, die Toxizitätsstudien sachgerecht auswerten können, aber trotzdem redet jeder mit. Ich vermute, so mancher will sich in seinen Vorurteilen bestätigt sehen.

Richtet sich Ihre Kritik gegen die Grünen?

Ich möchte das nicht auf eine Partei beschränkt verstanden sehen. Aber es ist schon auffällig: Wir machen im Jahr rund 3000 Risikobewertungen und nur bei zweien gibt es Ärger: bei Glyphosat und der Gentechnik.

Welche Rolle spielen die wirtschaftlichen Konsequenzen bei Ihrer Bewertung?

Keine. Das war ein zentraler Punkt bei unserer Gründung. Wir sind unabhängig, wir haben einen eigenen Etat, wir nehmen keine Gelder von der Industrie, und wir haben in der Wissenschaft keine Fachaufsicht. Selbst die Kanzlerin kann uns fachlich nicht stoppen. Wir urteilen gnadenlos. Nicht nur bei Glyphosat, sondern auch bei Antibiotikaresistenzen, Aluminium im Deo, Mineralölrückständen in Adventskalendern oder Pyrrolizidinalkaloiden in Honig oder Tees. Die wirklichen Probleme liegen nicht bei den Pflanzenschutzmittelrückständen. Das Risiko durch Haushaltschemikalien ist exorbitant höher. Selbst Kinderspielzeug kann viel gefährlicher sein. Wir wären heilfroh, wenn Kinderspielzeuge nur annähernd so streng reguliert wären wie Pflanzenschutzmittel. Für die Beurteilung des Risikos einer Substanz ist immer auch wichtig, wie hoch die Exposition ist. Also wie stark komme ich mit einem Stoff in Berührung? Wenn Sie niemals schwimmen gehen, ist es für Sie völlig egal, ob Haie töten können. In der Gesellschaft werden aber zunehmend Phantomdiskussionen geführt.

Wie meinen Sie das?

Die Leute haben Angst vor der Chemie in der Nahrung, aber tatsächlich krank werden sie von Bakterien, Pilzen oder Viren im Essen. Ein Beispiel: Die Salmonellen-Infektionen gehen zurück, wir hatten früher 200 000 Fälle im Jahr, jetzt sind es noch 10 000. Dafür nehmen die Campylobacter-Erkrankungen enorm zu. Das sind Bakterien, die schlimme, lang anhaltende Durchfälle verursachen. Millionen von Deutschen sind jedes Jahr von Lebensmittelinfektionen betroffen, ein Teil davon ist so schwer, dass Menschen daran sterben.

Wo holt man sich diese Bakterien?

Etwa bei rohem Geflügelfleisch oder nicht pasteurisierter Milch. Vor allem junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren werden krank. Die gucken zwar Kochshows, wissen aber nichts über Küchenhygiene. Sie tranchieren Hühnchen, wechseln danach aber nicht das Schneidbrett oder das Messer. Oder Sie nehmen beim Grillen die Würstchen vom Grill und legen Hühnerschenkel drauf. Es reicht schon, wenn Sie mit den Hähnchenfingern anschließend die Würste zur Seite schubsen. 500 Bakterien sind genug, um Sie und Ihre Familie krank zu machen. Das sind die echten Risiken.

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