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Wenn schon Müll, dann sammeln, aufbereiten und wiederverwenden.

© imago images/Andia

Digital gegen den Müll : Studie zeigt Wege zur Kreislaufwirtschaft auf

Die Technologieakademie Acatech wirbt für einen digitalen Produktpass und Datenräume. Weltweit beträgt der Anteil der Sekundärrohstoffe nur sieben Prozent.

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Die mit Ex-und-hopp beschriebene Wegwerfkultur gilt keineswegs nur für Flaschen. Und sie „produziert“ nicht nur in westlichen Konsumgesellschaften unfassbare Müllmengen. Mit Textilien zum Beispiel. Jede Sekunde wird irgendwo auf der Erde ein Lastwagen mit Kleidung entweder auf Deponien gekippt oder verbrannt. Das darf nicht so bleiben, denn der Ressourcenverbrauch bedroht den Planeten. In einer neuen Studie entwirft die Akademie der Technikwissenschaften Acatech Lösungswege.

Anhand von drei Produkten – T-Shirt, Einfamilienhaus und Waschmaschine – untersuchen die Wissenschaftler die Potenziale der Kreislauswirtschaft: Recycling schafft Sekundärrohstoffe und reduziert Abhängigkeiten. Ohne eine funktionierende circular economy kein Klimaschutz: Den Vereinten Nationen zufolge verursacht die Nutzung von Rohstoffen, darunter Kohle, Öl und Gas, aktuell etwa 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.

60 Kleidungsstücke kauft der durchschnittliche deutsche Konsument im Jahr, 40 Prozent davon werden selten oder nie getragen. „Viele Kleidungsstücke werden schließlich entsorgt, da der Stil den sich rasch verändernden Kundenwünschen nicht mehr entspricht“, heißt es in der Acatech-Studie mit dem Titel „Digitale Enabler der Kreislaufwirtschaft“.

Dabei sind die Bundesbürger, denen großer Eifer bei der Mülltrennung nachgesagt wird, vergleichsweise nachhaltige Verbraucher: Jedes Jahr werfen sie knapp 1,2 Millionen Tonnen Altkleider und Heimtextilien in Sammlungsanlagen, rund 400.000 Tonnen landen in der Restmülltonne.

60 Prozent der gesammelten Altkleider und Heimtextilien werden für neue Kleidung wiederverwendet, 27 Prozent zu geringerwertigen Produkten wie Putzlappen oder Dämmmaterial recycelt und 11,5 Prozent verbrannt.

Indem qualitativ minderwertige Kleidung direkt auf Onlineplattformen gehandelt wird, werden Produktions- und Vertriebszeiten noch weiter verkürzt.

Acatech-Studie

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Produktion von Textilfasern fast verdoppelt hat – mit weiter steigender Tendenz. „Indem qualitativ minderwertige Kleidung direkt auf Onlineplattformen gehandelt wird, werden Produktions- und Vertriebszeiten noch weiter verkürzt.“ Der chinesische Modeanbieter Shein zum Beispiel bringe täglich 700 bis 1.000 neue Modelle heraus.

Gebrauchte Kleidungsstücke liegen in einer Müll-Deponie in der chilenischen Atacama-Wüste.

© picture alliance/dpa/Antonio Cossio

Aufgrund des hohen Globalisierungsgrades, mit komplexen Produktions- und Lieferantenstrukturen, seien „zirkuläre Ansätze bislang kaum wettbewerbsfähig“. Trotz großer ökologischer und ökonomischer Potenziale: Der weltweite Markt für Secondhand-Kleidung, Schuhe und Accessoires hat ein Volumen von rund 120 Milliarden Dollar.

„Vielversprechende Ansätze im Textilsektor fokussieren sich auf die Nutzungsintensität und -dauer sowie bessere Strukturen für die Sammlung, Sortierung und das Recycling textiler Materialien“, heißt es in der Acatech-Studie. Die EU-Kommission schaffe mit der Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien einen Rahmen für den Wandel zu einem zirkulär wirtschaftenden Textilsektor bis zum Jahr 2030.

2700 Liter Wasser für ein T-Shirt

Produkte sollen so konzipiert werden, dass sie langlebiger sind, leichter wiederzuverwenden und zu reparieren, recyclingfähig und außerdem energieeffizient hergestellt. Weniger ist mehr, das wird am Beispiel der T-Shirt-Herstellung deutlich, denn pro Baumwoll-Shirt werden 2700 Liter Süßwasser benötigt.

Acatech regt die Einführung von digitalen Produktpässen an, die Informationen zu Recycling und Pflege, zu Material- und Produktnachhaltigkeit „und deren Zertifizierung über komplexe Lieferketten hinweg allen beteiligten Akteuren zur Verfügung“ stellen. Die Qualität von Rezyklaten ließe sich durch eine automatisierte Qualitätsmessung „besser und effizienter charakterisieren“, heißt weiter es in der Studie. Die Daten würden in digitalen Datenräumen für den Rohstoffhandel zur Verfügung stehen.

Ferner wird die Etablierung von Secondhand-Plattformen und Online-Reparatur-Plattformen ebenso vorgeschlagen wie „smarte Sammlungslösungen“ und automatisierte Sortierungsanlagen, die Materialströme erfassen und die Wiederverwendung erleichtern.

7
Prozent beträgt der Anteil der weltweit genutzten Sekundärrohstoffe

Der Anteil von Sekundärrohstoffen – also von Rohstoffen, die häufiger genutzt werden – beträgt in Deutschland 13 Prozent; weltweit sind es sieben Prozent. Digitale Technologien schaffen die Grundlage für mehr. „Nur sie ermöglichen den nötigen Informationsaustausch, auf dessen Grundlage neue zirkuläre Geschäftsmodelle entstehen können“, meint der Ökonom und Acatech-Studienleiter Christoph M. Schmidt.

30 Prozent weniger CO₂ im Bausektor möglich

Etwa 50 Prozent der in der EU gewonnenen Rohstoffe werden im Bausektor eingesetzt. Gebäude beanspruchen 65 Prozent des EU-weit eingesetzten Zements, 33 Prozent des Stahls, 25 Prozent des Aluminiums und 20 Prozent der Kunststoffe. Durch zirkuläre Wirtschaftsstrategien könnten die durch Verwendung dieser vier Materialien verursachten Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 30 Prozent gesenkt werden.

Mit 2,5 Tonnen fällt jährlich pro Kopf hierzulande etwa zehnmal so viel Bauabfall wie Hausmüll an. Und nur 19 Prozent der Baumaterialien für neue Gebäude stammen aus Recycling oder nachwachsenden Rohstoffen.

Nur knapp ein Fünftel der Baumaterialien ist nachhaltig.

© Marcus Brandt/dpa

Mit digitalen Anwendungen können Planungsvarianten unter Berücksichtigung der jeweiligen Ökobilanz miteinander verglichen werden. 3D-Modelle von Bestandsgebäuden helfen bei der energetischen Sanierung, meinen die Acatech-Autoren. Und Informationen zu verbauten Materialien sollten in einem digitalen Gebäuderessourcenpass einfließen.

Etwa 96 Prozent der privaten Haushalte in Deutschland besitzen eine eigene Waschmaschine, in Summe sind es 36 Millionen Geräte. Waschmaschinen tragen zu einem Fünftel zu den gesamten Umweltauswirkungen von Haushaltsgeräten bei. Auch hier empfiehlt Acatech einen Produktpass.

„Eine Vernetzung zwischen Herstellern und Kundschaft, zum Beispiel über den digitalen Produktpass, könnte Reparaturmöglichkeiten stärker ins Verbraucherbewusstsein rücken“, heißt es in der Studie. Digitale Technologien ermöglichten dazu die effiziente Reparatur und Aufbereitung von Geräte. „Das betrifft auch nachträgliche Leistungsverbesserungen, die softwarebasiert als Over-the-Air-Updates durchgeführt werden können.“

Alles in allem zeigten die drei Anwendungsbeispiele, dass die Kreislaufwirtschaft im Vergleich zur linearen Wirtschaft deutlich mehr Informationsaustausch zwischen allen Akteuren erfordere. Digitalisierung ermögliche die Beschaffung, Aufbereitung und Anwendung von Daten.

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Die Bundesregierung habe den Bedarf erkannt und deshalb die Initiative digitaler Produktpass gestartet. Bis 2028 werden Leuchtturmprojekte für die Bereiche Kunststoffe, Textilien, Elektronik, Lebensmittel, Wasser und Nährstoffe, Verpackungen, Batterien und Fahrzeuge, Bauwirtschaft und Gebäude gefördert.

Und der Entwurf für eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie berücksichtige die Relevanz von Datenräumen, lobt Acatech die Bemühungen der Ampel-Regierung. Ferner ist das Ziel festgeschrieben, den Rohstoffverbrauch von heute 15,3 Tonnen pro Kopf bis 2045 auf acht zu halbieren – dazu bedarf es einer rund laufenden Kreislaufwirtschaft. Was aus der Strategie nach der Bundestagswahl wird, ist offen.

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