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Mit der Inflationsprämie sollen die Arbeitgeber den Beschäftigten über den Winter helfen. So das Kalkül der Bundesregierung.

© IMAGO/U. J. Alexander

Inflationsprämie statt Coronaprämie: Ein Angebot an die Tarifpartner

Die steuerfreie Prämie von bis zu 3000 Euro werden vor allem Beschäftigte mit Tarifvertrag bekommen - das zeigen Erfahrungen mit der Coronaprämie.

Auf Seiten der Gewerkschaften rief Michael Vassiliadis am lautesten Hurra. Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) lobte die Ampel-Parteien für „ein starkes Angebot an die Tarifpartner, 3000 Euro zusätzlicher Zahlungen von Unternehmen an ihre Beschäftigten steuer- und abgabenfrei zu stellen“. Vor zwei Wochen hatte Vassiliadis genau das gefordert, indem er mit Blick auf die bevorstehende Tarifrunde für 580 000 Chemiebeschäftigte ein „tarifliches Entlastungsgeld“ ankündigte: Eine befristete Sonderzahlung, die vom Staat steuer- und abgabenfrei gestellt wird. Nach dem Vorbild der Corona-Prämie, doch mit einem gravierenden Unterschied: Die Coronaprämie war bei 1500 Euro gedeckelt.

Coronaprämie von 90 bis 1300 Euro

Wie viele Beschäftigte einen Corona- Prämie bekommen haben, ist eine offene Frage. Daten dazu haben weder das Statistische Bundesamt noch die Ministerien für Finanzen und Arbeit/Soziales. Ein Anhaltspunkt findet sich in der Auswertung von Tarifabschlüssen des Coronajahres 2021: „Die Vereinbarungen zur Corona-Prämie variieren zwischen 90 Euro in der Süßwarenindustrie und 1300 Euro im öffentlichen Dienst bei den Ländern“, schreibt das Tarifarchiv der gewerkschaftlichen Böckler-Stiftung. „Die meisten Tarifvereinbarungen sahen Corona-Prämien zwischen 400 und 600 Euro vor.“ Da bundesweit nur knapp die Hälfte der Arbeitnehmer nach Tarif entlohnt wird, dürften die meisten Beschäftigten überhaupt keine Sonderzahlung bekommen haben.

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Bei der Inflationsprämie von 3000 Euro wird das kaum anders sein. Welcher Arbeitgeber zahlt schon freiwillig seiner Belegschaft eine spezielle Prämie, zumal die Energiekosten auch die Betriebe belasten und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Richtung Rezession läuft?

"Maßnahme zur Mitarbeiterbindung"

Als eine „Maßnahme zur Mitarbeiterbindung“ würdigt die Chefin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Ingrid Hartges, die Möglichkeit der steuerfreien Sonderzahlung, die von vielen Unternehmen genutzt worden sei. Wie viele der knapp 200 000 Betriebe im Gastgewerbe eine Corona-Prämie gezahlt haben, kann Hartges indes nicht sagen. Für sie ist wichtig, dass die Unternehmen die Prämien „auf freiwilliger Basis“ zahlen – allein der Arbeitgeber entscheidet, ob und wie viel gezahlt wird.

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) begrüßte „die Steuerbefreiung von bis zu 3000 Euro (...) als konstruktiven Beitrag vor der nächsten ,Konzertierten Aktion' mit den Sozialpartnern“. Dazu hat Olaf Scholz am 15. September Arbeitgeber und Gewerkschafter eingeladen.

Prämie auch für Minijobber

Den Gewerkschaften kann die Inflationsprämie helfen, in den kommenden Tarifrunden den Erwartungen der Mitglieder gerecht zu werden und die Unternehmen mit Lohnprozenten nicht zu stark zu belasten. Das ist das Kalkül der Arbeitgeber – und der Ampel. „Die Bundesregierung diskutiert im Rahmen der ,Konzertierten Aktion' gemeinsam mit den Sozialpartnern, wie mit den gestiegenen Preisen und den damit einhergehenden realen Einkommensverlusten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umgegangen werden kann“, heißt es im 3. Entlastungspaket zur Begründung der Inflationsprämie. Und weiter: „Die Sozialpartner entwickeln praxisnahe Lösungen.“ Was auch immer das heißen mag. Mit den Sozialpartnern sind die Tarifparteien gemeint. Nur die werden verbindliche Absprachen treffen können über die neuen Sonderzahlung.

Prämie jetzt, Lohnprozente später

Das Corona-Steuerhilfegesetz vom 19. Juni 2020 sah die Corona-Prämie vor, die mehrmals verlängert wurde und schließlich im Frühjahr auslief. Von März 2020 bis März 2022 konnte insgesamt eine Sonderzahlung des Arbeitgebers von 1500 Euro von Steuern und Abgaben befreit werden. Auch im Rahmen einer geringfügig entlohnten Beschäftigung (450 Euro-Minijob) oder für Teilzeitbeschäftigte war die Gewährung der Corona- Prämie möglich. Voraussetzung für die Steuerfreiheit war, dass die Zuwendung zusätzlich zum Arbeitslohn geleistet wird.

Verdi-Chef Frank Werneke hält nicht viel von Einmalzahlungen: Weil die Preise dauerhaft steigen, müssten auch die Löhne dauerhaft steigen.
Verdi-Chef Frank Werneke hält nicht viel von Einmalzahlungen: Weil die Preise dauerhaft steigen, müssten auch die Löhne dauerhaft steigen.

© dpa

„Während die Corona-Prämie ursprünglich vor allem für diejenigen Beschäftigungsgruppen gedacht war, die unter den Bedingungen der Pandemie besonderen Belastungen ausgesetzt waren, wurde sie in vielen Tarifvereinbarungen auf alle Beschäftigten ausgedehnt und trat an die Stelle einer regulären Tariferhöhung“, schreibt die Böckler-Stiftung. Typisch dafür ist der Tarifabschluss für mehr als eine Million Beschäftigte der Bundesländer im vergangenen Herbst: Verdi und die Tarifgemeinschaft der Länder verständigten sich auf eine Corona-Prämie von 1300 Euro, die Anfang 2022 ausgezahlt wurde. Die Erhöhung der Entgelte um 2,8 Prozent kommt dafür erst im kommenden Dezember.

Erst die Industrie, dann der öffentliche Dienst

Im Anschluss an die Industriegewerkschaften Chemie und Metall, die in diesem Herbst für <NO1>insgesamt<NO>insgesamt 4,5 Millionen Beschäftigte neue Tarife verhandeln, ist Verdi für den öffentlichen Dienst in den Kommunen und beim Bund gefordert. Für Verdi-Chef Frank Werneke kommt dabei eine Prämie nicht in Betracht. „Einmalzahlungen bringen uns in der derzeitigen Situation nicht weiter, weil wir dauerhaft steigende Preise haben. Und dauerhaft steigende Preise müssen mit dauerhaft wirkenden Einkommenserhöhungen ausgeglichen werden.“ Doch jetzt liegt das Angebot der Regierung auf dem Tisch: 3000 Euro netto für brutto – das erweitert den Spielraum für die Tarifparteien erheblich und kann zu einer Kombination von Prozenten und Prämie führen.

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