Wirtschaft: Ein Job für die Politik (Leitartikel)
Das sieht aus wie ein Erfolg im hartnäckigen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Endlich wieder weniger als vier Millionen ohne Jobs.
Das sieht aus wie ein Erfolg im hartnäckigen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Endlich wieder weniger als vier Millionen ohne Jobs. Wie gerne würde man jubeln. Vier Jahre ist es her, dass Nürnberg eine so "geringe" Arbeitslosenzahl im April gemeldet hat. Aber einen Grund zur Freude bieten diese neuen Zahlen nicht. Die erhoffte "goldene Dekade" mit Vollbeschäftigung ist so weit entfernt, so sehr Utopia, wie vor einem oder zwei Jahren. Nicht einmal die jüngsten optimistischen Weissagungen der Banken, die von einer Halbierung der Arbeitslosenzahlen auf zwei Millionen innerhalb von vier Jahren künden, haben mit den jüngsten Zahlen an Plausibilität gewonnen.
Im Gegenteil. Eigentlich hätte der kräftige Rückenwind, der die deutsche Wirtschaft treibt, am Arbeitsmarkt stärkere Spuren hinterlassen sollen. Aber im boomenden Westteil der Republik sind es saisonbereinigt gerade einmal 14.000 Arbeitslose weniger als im März. In den neuen Bundesländern gibt es sogar ein Plus von 6000 Arbeitslosen. In Berlin und Brandenburg zählt man fast 19.000 mehr als im April 1999, eine betrübliche Bilanz. Und das alles bei einem überaus sonnigen konjunkturellen Klima, bei rekordhohen Exporten, kräftigen Investitionen und anziehendem Konsum.
Es zeigt sich eben, die Arbeitslosigkeit in diesem Lande ist nur zum kleinsten Teil konjunkturell bedingt - und kann mit einer guten Konjunktur eben auch nur zu einem kleinen Teil abgebaut werden. Auf ein Fünftel, oder 800.000 Köpfe, schätzen die Experten diesen Teil. Der Rest ist die böse Folge von überalterten, hemmenden Strukturen. Weit über drei Millionen Menschen in diesem Land sind so Opfer unterlassener, zu später oder halbherziger Reformen. Immer wieder und zu Recht wird der Finger auf die Verkrustungen an den Arbeitsmärkten, falsche Preissetzungen für Arbeit, mangelhafte Qualifikationen und zu hohe Kosten ineffizienter Sozialsysteme gelegt. Das deutsche Dauer-Trauerspiel einer verpassten durchgreifenden Steuerreform gehört zuoberst in das Sündenregister dieser und der Vorgängerregierung.
Keine Frage, die Regierung von Gerhard Schröder hat in den fast 20 Monaten, in denen sie ihre vagen Vorstellungen von moderner Wirtschaftspolitik in konkrete Gesetzesvorlagen umzusetzen versucht hat, manches angestoßen und einiges auf den Weg gebracht. Aber die Reformen sind zu zaghaft. Die enttäuschenden Nürnberger Zahlen zeigen es. Die Neue Wirtschaft braucht dringend noch freundlichere - sprich flexiblere - Rahmenbedingungen, damit sie auch hierzulande gedeiht. Die zum Teil gespenstische Diskussion um all die vielen Bedingungen, die qualifizierte Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten erfüllen müßten, um in Deutschland arbeiten zu dürfen, zeigt, wie weit einige Politiker noch zurück liegen auf ihrer Lernkurve unter der Überschrift "Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert".
Sicher, in den nächsten Monaten werden die Arbeitslosenzahlen noch weiter nach unten zeigen. Es entstehen heute auch wieder mehr neue Arbeitsplätze in Deutschland, als der strukturelle Wandel vernichtet. Aber ein wirklicher Durchbruch ist noch lange nicht in Sicht. Leider. Arbeitslosigkeit läßt sich nun mal nie wirksam direkt bekämpfen - auch nicht mit großen öffentlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist aber ein unbestechlicher Gradmesser für die Qualität - oder Modernität - der Wirtschafts- und Beschäftigungspolititik. Zwei Adressaten für diese alte, und unverändert gültige Einsicht gibt es zur Zeit in Deutschland: Die Regierung und die Tarifparteien. Gerhard Schröder scheint, so zeigen einige seiner Initiativen, im Laufe der Zeit ein kleines Licht aufgegangen zu sein. Bei der ÖTV tappt man dagegen ganz offenbar weiterhin im Dunkeln.
Auch in den Vereinigten Staaten ist kürzlich die magische Zahl Vier am Arbeitsmarkt unterschritten worden: vier Prozent. In Deutschland sind wir jetzt mühsam bei einer Arbeitslosenquote von 9,8 Prozent angelangt. Kein Wunder, dass die internationale Finanzwelt für den Standort Deutschland noch einen gewaltigen Reform- und Innovationsbedarf sieht. Wer die Politik auf den rechten Kurs bringt, tut Entscheidendes für mehr Jobs - und für den Kurs des Euro.
Heik Afheldt