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Mit mehr Tests hätten Infizierte früher erkannt werden können.

© Hendrik Schmidt/dpa

Auch der Wirtschaft wäre geholfen: "Eine breite Teststrategie könnte den Schaden begrenzen"

Der Schaden für Mensch und Wirtschaft hätte sich mit einer früheren Teststrategie begrenzen lassen. Aber auch jetzt würde sich das noch lohnen. Ein Gastbeitrag

Stand:

Die aktuelle Entwicklung in der Pandemie hat einen härteren Lockdown in Deutschland zum Schutz von Menschenleben und wirtschaftlicher Wertschöpfung notwendig gemacht. Wir werden es aber kaum schaffen, unser Leben über weitere Monate herunterzufahren, bis wir die Zeit bis zur Herdenimmunität durch Impfstoffe überbrückt haben. Ein entschiedenes, koordiniertes Handeln zur Umsetzung einer breiten Teststrategie könnte Lockerungen ermöglichen und den weiteren gesellschaftlichen Schaden begrenzen.

Zu Beginn der Pandemie haben Wissenschaftler:innen schnell festgestellt, dass die Eindämmung der Pandemie im Kern ein Informationsproblem ist. Wäre jede infektiöse Person sofort erkennbar, ließe sich die Übertragung des Virus leicht eindämmen. Dies ist jedoch bei einem Virus wie SARS-Cov-2 dadurch erschwert, dass erkennbare Symptome weitgehend denen gängiger Infekte gleichen und ein beträchtlicher Anteil der Infektionen ohne oder mit milden Symptomen verlaufen. Aus diesem Grund läuft selbst eine gut ausgestattete Kontaktnachverfolgung dem Infektionsgeschehen stets hinterher, besonders insoweit sie symptombasiert erfolgt.

 Mit PCR-Tests läuft man der Pandemie hinterher

Die beste Technologie zur Erkennung von Infektionen mit SARS-Cov-2 sind die bekannten PCR-Tests, die Infektionen im gesamten Verlauf mit hoher Sicherheit bestätigen und ausschließen können. Diese Art von Tests wurde in Deutschland früh intensiv genutzt, was sicher zum kontrollierten Verlauf im Frühjahr beigetragen hat. Bei steigender Inzidenz stoßen die Labore aber an Kapazitätsgrenzen, was sich in verzögerten Testergebnissen und schließlich der Fokussierung auf symptombasierte Testungen niederschlägt. Da damit eine kontrollierte Eindämmung quasi unmöglich wird, bleiben nur drastische individuelle Verhaltensänderungen und schließlich der Lockdown mit all seinen sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Hannes Ullrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Unternehmen und Märkte am DIW Berlin.

© DIW / Florian Schuh

Während bei der Erforschung von Impfstoffen überragende Erfolge erreicht wurden, erscheint die Umsetzung von skalierbaren Screeningstrategien und -infrastrukturen weniger Beachtung gefunden zu haben. Hürden stellten hierbei unter anderem die Skepsis gegenüber Tests von vermeintlich geringerer diagnostischer Qualität dar. Dabei ist aber entscheidend für die Qualität eines Tests, welches Ziel verfolgt wird: PCR-Tests können zuverlässig Infektionen diagnostizieren und die Inzidenz abbilden. Antikörpertests können Hinweise auf überstandene Infektionen liefern. Antigentests können Personen schnell und häufig, zum Beispiel mehrmals pro Woche, informieren, ob von ihnen eine akute Ansteckungsgefahr ausgeht. Regulatorische Vorgaben und Skepsis in medizinischen Kreisen bremsen insbesondere Antigentests aus. Nicht zuletzt werden auch Bedenken geäußert, dass negative Testergebnisse ungewünschte, risikofreudigere Verhaltensreaktionen hervorrufen könnten. Diese Bedenken basieren aber nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Vergleichbare Bedenken konnten bereits in Sachen Mund-Nasen-Schutz wissenschaftlich widerlegt werden.

Darüber hinaus führte der Fokus auf Tests als diagnostische Instrumente und weniger als Mittel, die Inzidenz in der Bevölkerung zuverlässig zu messen, dazu, dass Einschätzungen zu den Schwerpunkten des Infektionsgeschehens in Deutschland noch heute selbst unter Fachleuten zu spekulativ sein müssen. Hierzu wären randomisierte Studien unerlässlich, die durch eine entsprechend ausgestattete, wissenschaftlich begleitete task force umgesetzt werden könnten. Schwerwiegende politische Entscheidungen ließen sich dadurch auf noch zuverlässigerer Faktenlage treffen und wären insbesondere robuster gegen politisch motivierte Kritik an Experteneinschätzungen.

 Infektionskontrolle würde weniger scharfen Lockdown ermöglichen

Hätte der Staat seine Milliarden auch in Testtechnologien und -infrastrukturen investiert, hätte sich das vermutlich schon früh in geringeren Infektionszahlen niedergeschlagen. Es würde sich aber auch heute noch lohnen. Denn mit einer ausreichenden Impfrate, mit der wir wieder zur Normalität zurückkehren können, ist vor dem Sommer 2021 nicht zu rechnen. Insbesondere die nun erhältlichen Selbsttests könnten zahlreiche Infektionsketten brechen, wenn sie niederschwellig, regelmäßig und ohne weitere Kosten für alle Haushalte erhältlich sind. Wichtig sind hierbei begleitende Informationen dazu, was ein Testergebnis aussagt und welche Handlungsempfehlungen daraus abzuleiten sind. Ebenso wichtig ist aber in der aktuellen Situation, dass die Umsetzung nicht durch falsche Perfektion und übermäßige bürokratische Kontrolle hinausgezögert wird. Falls dies gelänge, hätte unsere Gesellschaft ein leicht zugängliches Instrument zur Infektionskontrolle in der Hand, um die Inzidenzen trotz der Verbreitung neuer Mutanten zu senken. Somit würden weniger scharfe und lange Kontaktbeschränkungen bis zum Sommer ermöglicht – und der steigenden Pandemiemüdigkeit entgegengetreten.

Einige Gemeinden verfolgen bereits aktive Teststrategien und sind damit erfolgreich. Genau wie die Bundesregierung Wirtschaftshilfen in dreistelliger Milliardenhöhe zugesprochen hat, könnten Gemeinden und Länder auch mit einem Milliardenbetrag an Bundesmitteln bei der Umsetzung niederschwelliger Testmöglichkeiten unterstützt werden. Hervorzuheben ist, dass aufgrund der hohen individuellen Mobilität und sozialen Vernetzung ein koordiniertes, großflächiges Vorgehen die größte Wirksamkeit hätte. Diese Investition wäre nur ein Bruchteil der bereits getragenen staatlichen und gesellschaftlichen Kosten und würde Leben retten. Es ist daher zu bedauern, dass die Bundesregierung nicht bereits viel umfassender und früher in diesen Teil der Pandemiebekämpfung investiert hat.

Eine mutige Umsetzung einer Teststrategie hätte nicht nur einen direkten positiven Effekt, sondern wäre auch eine sinnvolle Investition in die Zukunft, in der Pandemien mit möglicherweise noch gefährlicheren Krankheitserregern Teil der Realität sein werden. 

Der Gastbeitrag ist erstmals am 15. Dezember 2020 im Tagesspiegel erschienen. Er wurde vom Autor am 3. März 2021 aktualisiert.

Hannes Ullrich

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