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Handel klagt über enorm viele Diebstähle: „Ich fürchte Zustände wie in den USA, wo fast alles hinter Glas liegt“
Organisierte Gruppen, aggressive Einzeltäter: Der Schaden durch geklaute Ware ist in Deutschland nach Angaben des Handelsverbands drastisch gestiegen. HDE-Chef Genth warnt vor den Folgen.
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Alkohol oder auch Kaffee eingeschlossen in Glasschränken – dieses Bild kennen viele Kundinnen und Kunden in deutschen Supermärkten längst. Doch das Problem mit Ladendieben geht weit über diese Produkte hinaus und wird für den Einzelhandel einem Medienbericht zufolge immer größer.
„Tätergruppen fahren gezielt durch Innenstädte, stehlen hochwertige Ware – Parfüm, Schuhe, Elektronik – und verkaufen sie auf dem Graumarkt“, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), im Gespräch mit dem Portal „t-online.de“.
Der Schaden durch Ladendiebstahl lag 2024 bei drei Milliarden Euro – 20 Prozent mehr als 2022.
Stefan Genth, HDE-Hauptgeschäftsführer
Außer organisierten Banden machten auch aggressive Einzeltäter Sorgen, die Mitarbeiter angriffen, wenn sie erwischt werden. „Der Schaden durch Ladendiebstahl lag 2024 bei drei Milliarden Euro – 20 Prozent mehr als 2022“, so Genth. Mehr Ladendiebstähle durch die immer häufigeren Kassen, an denen die Kunden ihre Einkäufe selbst scannen und bezahlen, würden nicht verzeichnet.
„Einen belegbaren Zusammenhang zwischen Self-Scanning und Diebstahl gibt es nicht. In der Regel sind Mitarbeitende an den Kassen, die helfen und dabei auch kontrollieren“, sagte Genth zu Schätzungen, dass der Ladendiebstahl hier um 15 bis 30 Prozent höher liege als an bedienten Kassen.
Genth kritisierte in diesem Zusammenhang allerdings, dass zu viele Verfahren eingestellt würden. „Händler erstatten Anzeige, und die Staatsanwaltschaften stellen anschließend aus Effizienzgründen ein. In der Konsequenz melden viele Händler frustriert viele Ladendiebstähle nicht mehr bei der Polizei.“ Deshalb sei die Dunkelziffer extrem hoch, so Genth: „98 Prozent der Diebstähle werden nicht angezeigt.“
Einer Untersuchung des EHI Retail Institute zufolge, einer Forschungs- und Bildungsinstitut für den Handel und seine Partner, sind vor allem alkoholische Getränke, Markenkleidung, Sneakers, Elektrogeräte sowie Tabakwaren bei Dieben beliebt. In Drogerien stehen demnach Produkte wie Parfüms, Kosmetik, Babynahrung oder Rasierklingen im Fokus der Ladendiebe.
Auch das EHI stellte fest: „Ladendiebstähle werden immer häufiger organisiert begangen. Entweder als beauftragte Einzeltäter oder in Gruppen mit gezielter Aufgabenverteilung.“ Ein Grund für den Anstieg ist Experten zufolge der Personalmangel. Vor allem in kleineren Läden ist häufig nur eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter im Einsatz, muss aber mehrere Aufgaben erfüllen und kann oft genug nicht schnell reagieren.
Nach Angaben des EHI nimmt zudem wegen der zuletzt schlechten wirtschaftlichen Lage die Zahl der Menschen zu, „die sich bestimmte Produkte nicht mehr leisten können oder wollen“. EHI-Experte und -Studienautor Frank Horst sagte der Agentur dpa zufolge Ende Juni bei Vorstellung des Berichts: „Immer häufiger klauen auch Senioren und Familien.“
Genth fordert gesetzliche Änderungen, Investitionen in Sicherheit und eine bessere Ausstattung der Justiz. Für die Händler koste es viel Geld, sich gegen Diebstahl zu schützen. „Sie investieren massiv in Prävention: Warensicherungen, Videoüberwachung, Schulungen für Mitarbeitende und zusätzliches Sicherheitspersonal.“
In Innenstädten organisierten Händler teilweise gemeinsame Sicherheitsdienste, die mit Polizei und Ordnungsamt kooperieren. „Das kostet Geld – 1,5 Milliarden im vergangenen Jahr, die am Ende erwirtschaftet werden müssen.“
Genths Prognose: „Und es führt dazu, dass immer mehr Waren weggeschlossen werden. Ich fürchte Zustände wie in den USA, wo fast alles hinter Glas liegt“, sagte der Verbandschef. „Das ist ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber allen Kunden – obwohl über 90 Prozent ehrlich sind.“ (lem)
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