zum Hauptinhalt
Das 17. Euro-Land. Der Chef der estländischen Zentralbank, Andres Lipstok, bei der Eröffnung einer Euro-Ausstellung in Tallinn.
© dpa

Euro-Einführung: Estland setzt die Krone ab

"Belohnung für den baltischen Tiger": Das kleinste baltische Land führt am 1. Januar den Euro ein – und verbindet große Hoffnungen damit.

Stockholm - „Wenn es stürmt, ist es sicherer an Bord.“ So fasste der liberale estnische Finanzminister Jürgen Libi wenige Tage vor der Einführung des Eesti (Euro) die Lage seines Landes treffend zusammen. Estland bekommt am 1. Januar als 17. Land die Gemeinschaftswährung. Vor den Banken standen bereits am Donnerstag Bürger Schlange, die ihr Geld umtauschen wollten. Mit seinen nur 1,4 Millionen Einwohnern ist Estland eines der kleinsten der insgesamt 27 EU-Länder. Der Euro wird nun als Belohnung für die Strapazen der Finanzkrise und als Symbol für eine bessere Zukunft angesehen. Denn der „baltische Tiger“ durchlief in den vergangene Jahren eine radikale Hungerkur, die andernorts in Europa zu Revolten geführt hätte.

Das kleinste baltische Land hat sich erfolgreich gegen die Finanzkrise behauptet. Dabei hatte es im Winter 2008 zunächst düster ausgesehen: Die im gesamten Baltikum dominierenden schwedischen Banken standen vor dem Aus. Sie hatten bedenkenlos Kredite ins Land gepumpt, die Estland jahrelang zu den Wachstumsspitzenreitern Europas machten. Die Verankerung in der wirtschaftlichen Realität indes fehlte häufig. Das Muster erinnerte an Island. In Tallinn, der Hauptstadt der ehemaligen Sowjetrepublik, verstopften Porsche, BMW und Hummer die Straßen. In den Einkaufszeilen der hübschen Hansestadt reihten sich Luxusgeschäfte aneinander. Die Immobilienpreise schossen in die Höhe.

Die kleine, neue Oberschicht wurde mit Spekulationsgeschäften reich, bekam immer neue Kredite in Auslandswährungen. Die schwedischen Banken SEB, Swedbank und Nordea verliehen umgerechnet rund 47 Milliarden Euro an Estland und an das härter betroffene Lettland. Dann kam die Kreditkrise, die Zinsen schossen in die Höhe. Die Banken wollten ihr Geld zurück. Luxusautos füllten plötzlich die Höfe der Gebrauchtwagenhändler.

Die anfänglich diskutierte Idee, die Landeswährung abzuwerten, wurde auch aus Rücksicht auf internationale Verpflichtungen, Nothilfen und Versprechungen von allen führenden politischen Kräften fallen gelassen. Stattdessen wurde der öffentliche Dienst – von den Schulen bis zur Polizei – beschnitten. Diejenigen im öffentlichen Dienst, die noch Arbeit haben, mussten 20 Prozent Lohnkürzungen hinnehmen. Im privaten Sektor liegen die Lohnkürzungen bei bis zu 40 Prozent und die geringen Sozialleistungen verschwanden fast ganz. Während die Isländer gegen ähnliche Einschnitte auf die Straße gingen, standen die Esten hinter den Sparmaßnahmen. Das Bruttoinlandsprodukt sank von plus sieben Prozent im Jahr 2007 auf minus 13,9 Prozent im Jahr 2009. Doch die Esten bissen die Zähne zusammen. Nach Jahrzehnten der Sowjetdiktatur wollten sie beweisen, dass sie zum Westen und der EU gehören.

„Wir haben hier die nordische Tradition mit einer hohen Arbeitsmoral und flachen Hierarchien. Aber hinzukommt, dass wir auch wissen, wie es in der Sowjetzeit war, als es an allem fehlte und wir Suppe auf Campingkochern erwärmen mussten“, glaubt IT-Großunternehmer Sten Tamkivi. Das habe seine Landsleute abgehärtet und erfindungsreich gemacht.

Im ersten Aufschwung seit der Unabhängigkeit von Russland im Jahr 1990 profilierte sich das Land vor allem als Internetpionier. Schon frühzeitig konnte im Internet gewählt, die Steuererklärung per SMS abgeschickt werden; Kommunikationsanbieter wie Skype verbreiteten sich in Estland rasant. Genau hier will das Land zu seinen alten Stärken zurückfinden. Und der Euro soll Vertrauen schaffen. Unternehmer stellen erleichtert fest, dass es wieder einfacher geworden ist, Geld zu leihen, das produktiv investiert wird und Arbeitsplätze schafft. Fast jeder Fünfte ist ohne Job, die Arbeitslosenrate stieg von sieben Prozent im Jahr 2007 auf offizielle 17,5 Prozent für 2010.

Doch die Esten wissen, dass der Aufschwung nicht über die Neujahrsnacht mit dem Euro kommt, an dessen Kurs die estnische Krone ohnehin schon seit Jahren fest gekoppelt ist. Aber die Hoffnung ist spürbar. Und die Bedingungen für Investoren sind günstig: Für 2010 prognostiziert die Notenbank ein Wachstum von 1,2 Prozent. Die Inflation – 2010 lag sie bei 1,5 Prozent – soll im ersten Eurojahr nicht über 2,5 Prozent steigen. Die Einheitssteuer liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt, das Haushaltsdefizit ist stabil geblieben, selbst im Krisenjahr 2009 konnte es bei geringen 1,7 Prozent gehalten werden (2010 bei 2,2 Prozent). Und der Staatsapparat ist schnell – in Estland kann man eine Firma im Internet in 18 Minuten gründen. André Anwar

Zur Startseite